Technologie & Rechte

Gängige Ablenkungsmanöver autoritärer Regime

Während die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihr absurdes "Holocaust-Gesetz" gerichtet war, schaltete die polnische Regierung einen Gang rauf und drückte Gesetzesänderungen durch, die ihr viel wichtiger waren.

by Jonathan Day

Als in Polen Anfang dieses Jahres ein Gesetz verabschiedet wurde, das die Behauptung, das Land sei an NS-Kriegsverbrechen beteiligt gewesen, pauschal unter Strafe stellt, folgte der Aufschrei der Empörung so direkt er war so weit verbreitet, dass viele Kommentatoren die Auffassung vertraten, die Regierung habe sich vollkommen verschätzt. Was aber, wenn sie sich gar nicht verschätzt hätte? Was, wenn der Aufruhr genau das war, was die polnische Regierung erreichten wollte?

Alle großen europäischen Presseorgane widmeten sich auf der Titelseite dem so genannten Holocaust-Gesetz und machten so aus einem umstrittenen nationalen Gesetz eine internationale Affäre. Es ist eher unwahrscheinlich, dass der regierenden PiS-Partei das Gesetz wirklich sehr stark am Herzen lag. Sicher, es gefiel den nationalistischsten Anhängern der Partei, aber es war nicht so, dass es ihre gesamte Basis vereint, oder wenigstens ihr Fundament spürbar verbreitert hätte. Auch wenn es manche anderes sahen, die Reaktion war eigentlich ziemlich vorhersehbar – man nehme das vielleicht sensibelste Thema auf dem Kontinent und schaffe ein Gesetz, das es unnötig verkompliziert darüber zu sprechen oder aufzuklären und das deshalb Juden wie Nichtjuden gleichermaßen erzürnen wird, und schon hat man alle Zutaten für einen internationalen Eklat. Und das ist der Punkt.

Hey, schau mal da drüben!

Während die Welt wie besessen über das Holocaust-Gesetz stritt, hat die PiS-Regierung diskret Gesetzesänderungen durchgesetzt, die ihr viel wichtiger waren und die viel schädlicher für die polnische Demokratie sind: eine vollständige Überarbeitung des Wahlprozesses des Landes. Die Änderungen sind außerordentlich folgenreich. Fast alle Wahlbeamten, auch auf regionaler Ebene, werden jetzt von der Regierung handverlesen. Während die Nationale Wahlkommission, die Wahlen überwacht und bestätigt, bisher aus neun Richtern bestand, die zu gleichen Teilen von den drei höchsten Gerichten des Landes (Verfassungsgericht, Oberster Gerichtshof und Oberstes Verwaltungsgericht) ernannt wurden, werden in demGremium jetzt nur noch zwei Richter sitzen, während die restlichen sieben Mitglieder vom Unterhaus des Parlaments gewählt werden. Diese handverlesenen Wahlbeamten dürfen darüber hinaus die Wahlbezirke neu einteilen und sie sind auch dafür zuständig alle Änderungen, die unabhängig von lokalen Regierungen vorgenommen werden, zu überprüfen.

Alle diese Maßnahmen helfen der Regierung sicherzustellen, dass sie an der Macht bleibt. Die Regierung hat nie ernsthaft den Versuch unternommen zu erklären, warum die Änderungen überhaupt notwendig waren, aber eigentlich ist die Antwort offensichtlich. Die Macht der PiS war nie so fest verankert wie die der benachbarten populistischen Regime (ja genau, Du bist gemeint Ungarn). Die PiS erreichte in der Wahl von 2015 mit 235 von 460 Sitzen im Parlament eine Mehrheit, die nur knapp über 50 Prozent lag. Dies gelang der PiS aber mit nur 37,6 Prozent der Stimmen. Unter diesen Umständen liegt es nahe, dass eine missbräuchliche und autoritäre Regierung, alles daransetzt, ihre Macht zu festigen.

Und was ist jetzt aus dem Holocaust-Gesetz geworden? Die Regierung hat eine Kehrtwende vollzogen, entfernte die umstrittensten Teile und verwässerte es bis zu dem Punkt, an dem es kaum noch rechtliche Auswirkungen hat. Und weißt du was? Auch das war absolut vorhersehbar. All dies Tricks kommen direkt aus dem Strategiebuch, das von Autoritären weltweit verwendet wird. Putin konsolidiert die Macht durch Gefängnis oder Mord an seinen Gegnern; die Regierungen in Ungarn und Polen erreichen dies, indem sie die Medien und Gerichte kontrollieren und Gesetze ändern, um ihnen den Wahlsieg zu erleichtern. Einige dieser Veränderungen erregen nationale und internationale Aufmerksamkeit, aber sehr häufig gehen sie auch unbemerkt vonstatten. Hier kommen NGOs - ein weiteres Hauptziel der Angriffe von Autoritären - ins Spiel. Wir fordern die Regierung heraus, wenn sie ihre Macht missbraucht, auch (oder gerade) wenn das Thema nicht die medial Aufmerksamkeit erhält, die es verdient.

Demokratie auf dem Totenbett?

Noch nie zuvor wurden die Werte der Europäischen Union so heftig bedroht, und die Angreifer sind die Regierungen der Mitgliedstaaten. Aus politischen Gründen erweist es sich für die EU als schwierig, ihre eigenen Interessen zu schützen, aber was wirklich auf dem Spiel steht, ist die Stärke der Demokratie im gesamten Block. Das polnische Holocaust-Gesetz stellte tatsächlich ein ernsthaftes Risiko für die freie Meinungsäußerung und andere Grundrechte dar, aber es war kein Frontalangriff auf die Rechtsstaatlichkeit des Landes. Die Änderungen der Regierung am Wahlprozess sind aber genau das.

Die Demokratie stirbt in der Regel nicht durch Gesetze, die internationale Empörung hervorrufen; viel öfter wird die Demokratie leise getötet, durch schrittweise Veränderungen, die umgesetzt werden, während die Öffentlichkeit damit beschäftigt ist, sich an den Ablenkungsmanövern aufzureiben.

Wenn Du möchtest, dass auch Deine Freunde mehr über die gängigen Strategien der autoritären erfahren, dann teile unsere Video-Serie 'Überleben im Autoritarismus'.

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