Teil 2 der Serie beschäftigt sich damit, dass nach dem neuen Gesetz die Sozialleistungen für Asylsuchende gekürzt werden sollen. Aus der Zivilgesellschaft gab es heftige Kritik.
Die neue Gesetzeslage
- „Sachleistungen statt Bargeld“: Asylsuchende, die in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen, sollen kein Bargeld mehr bekommen. Früher waren das 143 EUR sogenanntes Taschengeld, das ihnen für Fahrkarten, Telefonkarten oder Sachen, die sie persönlich brauchen, zur Verfügung stand (soziokulturelles Existenzminimum). Das sollen sie jetzt als Sachleistung erhalten. Wohnen, Kleidung, Essen und Hygieneartikel werden in der Erstaufnahmeeinrichtung wie bislang auch gestellt (physisches Existenzminimum).
- „Weder Sachleistungen noch Bargeld“: Personen, die verpflichtet sind auszureisen und aus Gründen, die sie selber zu vertreten haben, nicht abgeschoben werden können oder noch nicht ausgereist sind, erhalten nur noch Leistungen zur Deckung des physischen Existenzminimums. Sie sollen grundsätzlich keine weiteren Leistungen erhalten.
Nach Angaben der Bundesregierung sollen durch die Kürzung von Sozialleistungen „Fehlanreize“ beseitigt werden. Abgelehnte Asylsuchende sollen schneller ausreisen.
Aus einer Grund- und Menschenrechtsperspektive
Laut Experten ist die Annahme, „Fehlanreize“ würden Menschen mobilisieren, nicht haltbar. Zu migrieren sei teuer, aufwendig und oft riskant. Die Vorstellung, einige Euro Taschengeld könnten Menschen dazu bewegen, eine solche Entscheidung zu treffen, gehe an der Realität vorbei. Die neue Regelung birgt auch grund- und menschenrechtliche Probleme.
- Jeder in Deutschland lebende Mensch hat – unabhängig von seiner Nationalität – ein Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dieses Recht basiert auf Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (Menschenwürde) in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz (Sozialstaatsgebot). Es schützt die physische Existenz, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, aber auch, dass Menschen zwischenmenschliche Beziehungen pflegen und am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilnehmen können. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Grundrecht in einem Urteil von 2012 auch für Asylbewerberinnen und Asylbewerber klar bestätigt. Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen zu vermeiden, könnten kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Denn die Menschenwürde sei migrationspolitisch nicht zu relativieren. Wie sollen die neuen Regelungen damit vereinbar sein?
- Auch aus dem Sozialpakt ergeben sich entsprechende Rechte: So hat jeder Mensch ein Recht auf soziale Sicherheit (Artikel 9) und ein Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben (Artikel 15 Absatz 1, a).
Menschenrechte bergen Rechtsansprüche
Deutschland hat sich verpflichtet, Grund- und Menschenrechte zu achten und zu schützen. Werden Grund- und Menschenrechte in Deutschland verletzt, können die Betroffenen dies geltend machen. In Deutschland spielen das Grundgesetz und die Grundrechte dabei natürlich eine wichtige Rolle. Über diese Ebene hinaus existieren für Deutschland weitere menschenrechtliche Verpflichtungen, die zur Auslegung der deutschen Gesetze und auch des Grundgesetzes herangezogen werden müssen. Dazu gehören zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention und weitere Konventionen auf Ebene der Vereinten Nationen (UN-Kinderrechtskonvention, Sozialpakt usw.).
Im Asylrecht wird dies zukünftig eine große Rolle spielen. Nach aktuellen Berichten plant das deutsche Innenministerium bereits eine neue Gesetzesänderung zur weiteren Verschärfung des Asylrechts. Die drängende Frage wird sein, ob und wie Deutschland dabei seinen Grund- und Menschenrechtsverpflichtungen gerecht werden kann.