Das Seenot-Rettungsschiff 'Aquarius' der beiden Hilfsorganisationen Médecins Sans Frontières (MSF) und SOS Méditerranée, war gezwungen, seine Such- und Rettungsaktionen (SAR) im Mittelmeer einzustellen. Die beiden NGOs bedauerten, aufgrund einer " unerbittlichen, von mehreren europäischen Staaten unterstützten, andauernden politischen, juristischen und administrativen Kampagne " ihren Einsatz ab dem 6. Dezember einstellen zu müssen.
Nelke Manders, die Generaldirektorin von Ärzte ohne Grenzen, sprach von einem "dunklen Tag" und sagte: "Europa hat nicht nur keine Such- und Rettungskapazitäten bereitgestellt, sondern auch aktiv die Versuche anderer sabotiert, Leben zu retten. Das Ende der Aquarius bedeutet mehr Tote auf See, mehr vermeidbare Todesoper, die nicht mehr gesehen werden."
Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben ihre Unterstützung für MSF und SOS Méditerranée zum Ausdruck gebracht. Kumi Naidoo, der Generalsekretär von Amnesty International, sagte in einem Interview: "Heute Grüßen wir die Aquarius und ihre mutige Besatzung. Wir werden ihnen weiterhin zur Seite stehen, um einer grausamen und rechtswidrigen Politik, die Menschen dazu verdammt, auf See zu sterben, etwas entgegenzusetzen." Laut MSF war die Aquarius das letzte von einer NGO gecharterte Rettungsschiff, das vor der Küste Libyens operierte.
Die Aquarius war seit Februar 2016 in Betrieb und half gut 30.000 Migranten auf See. Im Sommer erregte das Schiff weltweite Medienaufmerksamkeit, als ihm das Recht verweigert wurde, in Italien und Malta mit 629 Flüchtlingen an Bord anzulegen (Am Ende nahm Spanien die Migranten auf). Danach wurde die Aquarius gleich zweimal ihrer Registrierung beraubt: einmal im August, als ihre Flagge von Gibraltar eingezogen wurde, und einmal im September, als sie von Panama eingezogen wurde. MSF kritisierte diese Aktionen und erklärte, sie seien auf "eklatanten wirtschaftlichen und politischen Druck der italienischen Regierung" zurückzuführen. Seit dem Verlust der Registrierung konnte die Aquarius den Hafen von Marseille nicht mehr verlassen.
Im November beschuldigten die italienischen Behörden die NRO, sie würde illegal Giftmüll entsorgen und warfen der Aquarius vor, sie würde Infektionskrankheiten wie HIV und Tuberkulose einführen. Dabei ignorierte sie die Aussage internationaler Gesundheitsorganisationen, dass diese Krankheiten nicht durch Kleidung übertragen werden können. Italien drohte auch damit, das Schiff zu beschlagnahmen, sollte es in einem seiner Häfen anlegen. Der rechtsextreme Innenminister Italiens, Matteo Salvini, kann sich jetzt endlich zu seinem den Sieg über das, was er als "Migrantentaxis" bezeichnet, gratulieren. Er reagierte auf das Ende des Einsatzes mit dem Tweet: "Weniger Ausfahrten, weniger Ankünfte, weniger Todesfälle. Das ist gut."
Angriffe auf humanitäre Helfer
Während die EU-Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung zur Rettung der Menschen im Mittelmeerraum nicht gerecht werden, sind NGOs, die SAR-Operationen durchführen, sogar ständigen Angriffen ausgesetzt. Die europäische Grenzagentur Frontex beschuldigte NGOs, das Geschäftsmodell der Schmuggler zu stärken, indem sie mehr Menschen ermutigten, das Meer zu überqueren. Bereits im August letzten Jahres hatten die italienischen Behörden das Schiff Iuventa der deutschen NGO Jugend Rettet mit der Begründung beschlagnahmt, sie würden die illegale Einwanderung aus Libyen unterstützen.
Im Internet werden humanitäre Hilfsorganisationen täglich durch den Dreck gezogen. Statt Mitgefühl erleben sie Hass und Morddrohungen. Als die deutsche private Hilfsorganisation Sea-Eye letzte Woche ankündigte, mit einem neuen Schiff, der Professor Albrecht Penck, in See stechen zu wollen, forderten Internet-Trolle dazu auf, das Schiff zu versenken und die Besatzung zu ermorden.
Solche Angriffe können auch körperlich werden, wie am 5. Oktober in Marseille, wo 22 Personen den Hauptsitz von SOS Méditerranée stürmten. Glücklicherweise gab es keine Todesopfer, aber die Mitarbeiter erlitten körperliche, emotionale und psychologische Schäden. SOS Mediterrannée hat Klage gegen die Täter eingereicht.
Libyen-Abkommen: Die EU ist an Menschenrechtsverletzungen beteiligt
Im Rahmen einer Vereinbarung, welche die EU 2017 mit Libyen getroffen hat, um die Zahl der Ankünfte von Menschen aus dem Mittelmeerraum zu verringern, bilden europäische Streitkräfte die libysche Küstenwache aus. Wenn die libysche Küstenwache diese Menschen abfängt, schickt sie sie in Gefangenenlager, wo sie Folter, Zwangsarbeit, Vergewaltigung und Tod riskieren. Ein 28-jähriger Eritreer erzählte es Al Jazeera: "Die Menschen sterben lieber im Meer als in den Lagern." Nachdem er davon gehört hat, was mit der Aquarius passiert ist, sagte ein anderer, dies werde die Menschen nicht daran hindern, zu kommen.
Obwohl die Situation in Libyen gut dokumentiert und den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten bekannt ist, wird die Zusammenarbeit mit Libyen fortgesetzt. MSF wandte sich mit einem Brief über die erzwungene Rückkehr von Migranten nach Libyen an den UN-Sonderbeauftragten Ghassan Salamé. In dem Schreiben fordert die Organisation: "Es ist an der Zeit, unmissverständlich ein Ende dieser unheilvollen Politik zu fordern".
Die Ankündigung von MSF und SOS Méditerranée, den Einsatz der Aquarius zu beenden, erfolgte vier Tage vor dem 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in der es in Artikel 14 heißt: "Jeder hat das Recht, in anderen Ländern Asyl vor Verfolgung zu suchen und zu genießen."
Wenn die EU Rettungsorganisationen kriminalisiert, die Menschen, die Asyl suchen, unterstützen und stattdessen mit der libyschen Küstenwache, einem notorischen Menschenrechtsverletzer, zusammenarbeitet, wird es schwer zu behaupten, die EU komme ihrer Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen nach.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration sind im Mittelmeerraum in diesem Jahr bisher 2.160 Migranten gestorben - etwa sechs pro Tag. Und während die Zahl der Ankünfte zurückgegangen ist, steigt der Anteil der Ertrunkenen. Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge berichtete im September, dass es zwischen Januar und Juli 2018 durchschnittlich einen Todesfall pro 18 Ankünfte gab, verglichen mit einem Todesfall pro 42 Ankünfte im Jahr 2017.