Liberale Demokratien weisen in der Regel folgende Bestandteile auf:

1. Allgemeines Wahlrecht

In einer liberalen Demokratie können alle Bürgerinnen und Bürger durch die Teilnahme an Wahlen an der demokratischen Entscheidungsfindung teilhaben. Früher waren Frauen oder andere Minderheiten davon ausgeschlossen, aber dank der sogenannten Suffragetten-Bewegung und anderer politischer Entwicklungen wurde dieses Recht nun auf alle berechtigten Mitglieder der Gesellschaft ausgeweitet. Wenn nicht alle gleichermaßen in den Wahlprozess einbezogen werden, repräsentieren die Entscheidungen, die durch Abstimmungen oder von gewählten Führungspersonen getroffen werden, nicht den Willen der Gesellschaft.

2. Freie, faire und regelmäßige Wahlen

Die Qualitäten "frei", "fair" und " regelmäßig" sind die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Wahlergebnis legitim ist. Wenn diese Standards erfüllt sind, können die Bürger*innen eine informierte Entscheidung treffen, die frei von Manipulation und Zwang ist. Die Informationen zu den Wahlen müssen leicht verständlich und korrekt sein und die Wahlbüros und andere Wahlmethoden müssen für alle zugänglich sein.

3. Rede- und Versammlungsfreiheit

In einer liberalen Demokratie muss es den Menschen erlaubt sein, friedlich und ohne Repressionen gegen politische Entscheidungen zu protestieren. So können politische Meinungen offen diskutiert werden und, was noch wichtiger ist, es wird ein Rahmen geschaffen, in dem die politischen Vertreter*innen zur Verantwortung gezogen werden können.

4. Gewählte Vertreter

In einer liberalen repräsentativen Demokratie müssen zwei oder mehr Optionen - entweder politische Gruppen oder Kandidaten - zur Auswahl stehen, um die Meinungsvielfalt in einer vielfältigen Nation widerzuspiegeln. Eine Alternative zu dieser Form der liberalen Demokratie wäre die direkte Demokratie, über die du hier mehr erfahren kannst.

5. Freiheit der Medien und Informationsfreiheit

Der Zugang zu Informationen muss unparteiisch sein. Das bedeutet, dass sich politische Akteure nicht in unabhängige Medien einmischen dürfen, die für die Wähler*innen eine wichtige Informationsquelle für ihren Entscheidungsprozess sind.

Da all diese Bedingungen notwendig sind, um eine freie Demokratie zu verwirklichen, scheint der Begriff "illiberale Demokratie" ein Widerspruch in sich zu sein (weshalb auch heftig darüber diskutiert wird, ob man sie überhaupt als Demokratie bezeichnen kann).

Illiberale Demokratien sind ein modernes Phänomen, das im 21. Jahrhundert in einer Welle antidemokratischer politischer Stimmung aufkam. Im Gegensatz zu direkter Gewalt, wie sie in der Vergangenheit häufig vorkam, sind diese Angriffe auf die Demokratie jedoch subtiler. Moderne Herausforderer der Demokratie sind vorsichtiger und setzen auf destabilisierende Taktiken undoffiziell gewählte Politiker. Mit dieser Methode demontieren sie demokratische Strukturen diskret von innen heraus. Um zu verstehen, wie das in der Praxis funktioniert, schauen wir uns Beispiele an.

Illiberale Demokratien in Europa:

Ungarn

In Ungarn schuf die Fidesz-Partei von Victor Orbán die "ideale" Form der illiberalen Demokratie und ebnete damit den Weg für politische Nachahmer auf der ganzen Welt. Orbán hielt eine berühmte Rede, in der er argumentierte, dass eine illiberale Demokratie "nur" eine neue Form der Demokratie sei. Seit er 2010 an die Macht kam, hat seine Partei die Pressefreiheit und die Rechtsstaatlichkeit durch Verfassungsänderungen und Änderungen des Wahlrechts subtil, aber effektiv ausgehöhlt.

Slovakei

Die Slowakei hat kürzlich ihren illiberalen Präsidenten Robert Fico zum vierten Mal wiedergewählt. Er nutzt die Polarisierung in den Medien und den Nationalismus, um die Wählerinnen und Wähler des Landes in Meinungslager zu spalten. Infolgedessen ist seine illiberale Partei nach wie vor die beliebteste Option für alle, die gegen die "liberale" Norm sind. Die politische Opposition wächst jedoch und strebt danach, die slowakische Demokratie wieder mit einer vielfältigen politischen Vertretung zu versehen.

Serbien

Auch Serbien hat Schwierigkeiten, seine Demokratie zu konsolidieren und wird von der rechtsextremen Partei von Aleksander Vucic bedrängt, die den Ultranationalismus in dem fragilen ehemaligen jugoslawischen Land nutzt, um an der Macht zu bleiben. Durch Angrife auf unabhängige Medien, starke Polarisierung und möglichen Wahlbetrug ist die Demokratie in Serbien derzeit gefährdet.

Tschechische Republik

Die Medienlandschaft in der Tschechischen Republik ist durch eine hohe Konzentration des Medienbesitzes korrumpiert. Dadurch ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien im Jahr 2023 so niedrig wie nie zuvor. Außerdem gab es mehrere Verleumdungskampagnen gegen investigative Journalistinnen und Journalisten, über die wir in unserem jährlichen Bericht zur Medienfreiheit berichtet haben, sowie die kürzliche Abschaffung der staatlichen Sonderbehörde für Desinformation, die auch nicht wieder eingerichtet werden soll. Es ist also damit zu rechen, dass sich die ohnehin schon prekäre Situation noch weiter verschlechtern wird.

Griechenland

In Griechenland zeichnet sich ein ähnliches Muster der politischen Kontrolle über die Gerichte ab, wie es in Polen zu beobachten ist. Obwohl die Justiz eine unabhängige Institution ist, wurde sie politisiert. Das heißt, dass politisch motivierte Personen wichtige Positionen in den Gerichten einnehmen. Die Folge ist ein Mangel an Transparenz, vor allem wenn es um die höchst umstrittenen Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze geht.

Demokratie im Rückwärtsgang: Das Spielbuch der Autoritären

Haben sich illiberale Politiker*innen erst einmal an die Macht wählen lassen, stehen ihnen eine Reihe von Strategien zur Verfügung, um die Säulen der Demokratie ihres Landes zu demontieren. Dieser Prozess der Demontage wird oft als "democratic backsliding" oder "Demokratische Erosion" bezeichnet:

1) Polarisierung

Zu Beginn, oft schon während des anfänglichen Wahlkampfs, ist es eine wirksame Strategie, bei kontroversen Themen gezielt zu polarisieren. Geeignete Themen sind meist reproduktive Rechte, LGBTQI+-Rechte oder Migration.

2) Angriffe auf unabhängige Medien

Um die Kontrolle über die Darstellung in der Öffentlichkeit zu erlangen, diskreditieren autoritäre Politiker Schritt für Schritt die unabhängigen Medien, indem sie z. B. mit sogenannten SLAPPs (missbräuchliche Klagen) gegen Journalisten oder Medienunternehmen vorgehen und diese zur Selbstzensur zwingen. Noch mehr Schaden wird angerichtet, wenn unabhängige und öffentlich-rechtliche Medien von der Regierungspartei vereinnahmt werden, denn eine einseitige Berichterstattung führt dazu, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien sinkt. In unserem Bericht zur Medienfreiheit 2024 (Media Freedom Report 2024), zeigen wir, wie dies am stärksten in Ungarn, aber auch in Ländern wie den Niederlanden, Kroatien und Frankreich zu beobachten ist.

3) Die Kontrolle über die Judikative übernehmen

Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Kontrolle der Gerichte und der Abbau der Rechtsstaatlichkeit, da die Justiz die Institution ist, die am meisten Macht hat, um illiberale Politiker für ihr Handeln zur Rechenschaft zu ziehen. Dies geschieht, indem Richterinnen und Richter in wichtigen Positionen ersetzt werden, und manchmal sogar durch direkte Angriffe auf die Verfassung. In Polen wurden voreingenommene Richter*innen ernannt, was zu eine kontinuierlichen "Kommerzialisierung" der Justiz des Landes zur Folge hatte. Es wird viel Arbeit erfordern, um den Schaden, der der Rechtsstaatlichkeit in Polen zugefügt wurde, wieder rückgängig zu machen, nachdem die PiS abgewählt wurde. Wir werden diesen Prozess in unseren jährlichen Berichten zur Rechtsstaatlichkeit genau im Auge behalten.

4) Repression der politischen Opposition

Für den wahrscheinlichen Fall, dass es als Reaktion auf die neue antidemokratische Politik zu Protesten kommt, ist es eine wirksame Strategie, wichtige Positionen innerhalb der Exekutive, wie zum Beispiel bei der Polizei, zu ersetzen. Wenn Politiker*innen mit großen Demonstrationen konfrontiert werden, unterdrücken die Strafverfolgungsbehörden die Protestierenden und versuchen Kampagnen durch Verhaftungen, Demonstrationsverbote und Polizeigewalt zu unterdrücken.

5) Die Zivilgesellschaft zum Sündenbock machen

Eine weitere Taktik illiberaler Politiker*innen zur Konsolidierung ihrer Macht ist die Kontrolle der Zivilgesellschaft. Dazu gehört auch die unrechtmäßige Einschränkung bürgerlicher Freiheiten wie des Rechts auf Privatsphäre und freie Meinungsäußerung. Zivilgesellschaftliche Organisationen können mit rechtlichen Einschränkungen und sogar Verleumdungskampagnen konfrontiert werden, wie wir es gerade in Georgien erleben. Illiberale Regierungen schüchtern normale Bürgerinnen und Bürger oft mit digitalen Überwachungsinstrumenten wie Pegasus oder Predator ein. Um Kritik zu vermeiden, wird die Überwachung in der Regel im Namen "nationaler Sicherheitsinteressen" durchgeführt, also achte auf solche Formulierungen.

Es gibt noch viele weitere komplexe Schritte, die zur Aushöhlung der Demokratie beitragen, aber diese Liste zeigt die häufigsten Strategien auf, auf die du achten solltest, um autoritäres Verhalten frühzeitig zu erkennen.

Warum sind illiberale Demokratien gefährlich?

Das Hauptziel der Führung einer illiberalen Demokratie ist es, um jeden Preis an der Macht zu bleiben - die Antithese zu demokratischen Werten. Nachdem wir nun einige der Schritte genannt haben, die illiberale Politiker/innen unternehmen, um ihre Macht zu festigen, ist es nun umso wichtiger zu verstehen, wie schädlich diese Erosion ist.

Für wen ist eine illiberalen Demokratie am gefährlichsten?

Minderheitengruppen sind in einer illiberalen Demokratie am meisten gefährdet. Eine illiberale Regierung stoppt alle Fortschritte, die zum Schutz von Minderheitengruppen vor Diskriminierung gemacht wurden, und macht sie sogar wieder rückgängig. Diese Strategie zielt oft auf die LGBTQI+-Gemeinschaft ab, indem sie ihre Rechte beschneidet und ihr tägliches Leben noch schwieriger macht. In Polen und den USA wurden wir Zeuge der Aushöhlung der reproduktiven Rechte von Frauen, was Empörung auslöste und die Polarisierung vorantrieb, während in Schweden der Rassismus institutionalisiert wurde. Eine solche diskriminierende Politik geht Hand in Hand mit extremem Nationalismus und kann Fremdenfeindlichkeit im ganzen Land verstärken, so dass sie akzeptabler erscheint als zuvor.

Wie können wir den Verfall der Demokratie verhindern?

Es ist schwierig, ein Standardrezept gegen die Aushöhlung der Demokratie zu präsentieren, denn jedes Beispiel, das die Entstehung einer illiberalen Demokratie erfolgreich verhindert hat, ist sehr individuell auf den jeweiligen nationalen Kontext zugeschnitten. Es gibt jedoch einige grundlegende Taktiken.

Demokratischen Rückschritt zu stoppen, ist eine Frage der Prävention. Immer wenn eine politische Partei oder Kandidaten, die sich um ein Amt beweren, alarmierende Anzeichen einer antidemokratischen Ideologie zeigen, ist es an der Zeit zu handeln. Zum Beispiel könnten Parteien, die normalerweise nicht zusammenarbeiten, ein Bündnis eingehen - eine Taktik, die in Frankreich erfolgreich eingesetzt wurde, um Marine le Pens Rassemblement National an der Regierungsbildung zu hindern.

Ein solches Bündnis sollte sich von jeder Form des Illiberalismus distanzieren, die von der anderen Seite propagiert wird, ohne die illiberale Partei als Ganzes zu delegitimieren, denn das bietet ihr zu viel fruchtbaren Boden, um sich in der Öffentlichkeit als Opfer darzustellen. Da antidemokratische radikale Parteien in Krisenzeiten in der Regel an Popularität gewinnen, muss der Bündnisblock die Missstände in der Öffentlichkeit ansprechen. Auf diese Weise werden die Probleme offen angesprochen und die illiberale Partei wird nicht mehr als die einzige Möglichkeit wahrgenommen, diese Probleme zu überwinden.

Wenn diese Strategie nicht erfolgreich ist, gibt es noch ein anderes wirksames Mittel, um Illiberale zu stoppen: breite friedliche Proteste. Wenn die Proteste groß genug sind, um den Alltag zu stören, wird die politische Führung gezwungen, auf sie zu hören. Das war in Polen der Fall, wo die Opposition gegen die regierende PiS protestieren konnte, weil diese die Demokratie aushöhlte und die Rechte von Minderheiten, insbesondere den Zugang zu Abtreibungen, gefährdete. Die Proteste hielten monatelang an und verschafften der Oppositionskoalition schließlich genug Unterstützung, um die Parlamentswahlen 2024 zu gewinnen.

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