In ganz Europa kommt es immer häufiger vor, dass korrupte Politiker und mächtige Unternehmen Gesetze und Gerichte dazu missbrauchen, um Journalisten und Aktivisten zu schikanieren, in den Bankrott zu treiben und zum Schweigen zu bringen. Dazu nutzen sie willkürliche und verleumderische Klagen, sogenannte SLAPPs. Die Europäische Kommission steht kurz davor, ihren Aktionsplan zur Demokratie vorzustellen. Paralel dazu, haben Liberties und xx andere europäische NGOs gerade ein beispielhaftes EU-Gesetz gegen SLAPPs veröffentlicht, um den politischen EntscheidungsträgerInnen der Union zu zeigen, dass Regeln zum Schutz öffentlicher Watchdogs vor diesen Knebelklagen möglich sind und dringender gebraucht werden, als je zuvor.
Anfang dieses Jahres schloss sich Liberties einer Gruppe von NGOs aus der gesamten EU an, um deren Bemühungen zu unterstützen, politische Entscheidungsträger zum Handeln zu drängen und den als SLAPPs bezeichneten Knebelklagen ein Ende zu setzen, mit denen Watchdogs wie investigative Journalisten, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger in Europa von den Mächtigen schikaniert werden. Das Ergebnis unseres Engagements ist die Vorlage eines beispielhaften EU-Anti-SLAPP-Gesetzes, mit dem wir die Union drängen wollen, möglichst bald strenge Regeln aufzustellen, um die Wahrer unserer Demokratien vor diesem Missbrauch zu schützen.
Was sind SLAPPs und warum sind sie ein Problem?
zu dem Zeitpunkt als Daphne Caruana Galizia aus Rache für ihre Enthüllungsberichte ermordet wurde, liefen bereits mehr als 40 fadenscheinige Gerichtsverfahren gegen die maltesische Journalistin, von denen viele auch heute noch gegen ihren Witwer und ihre drei Söhne weiterverhandlet werden. Polens zweitgrößte Tageszeitung, die Gazeta Wyborcza, wurde seit 2015 mit mehr als 55 juristischen Drohungen und Klagen von Seiten verschiedener Akteure, unter anderem der polnischen Regierungspartei, überzogen. Der französische Geschäftsmann Vincent Bolloré und mit der Bollore-Gruppe verbundene Unternehmen haben Journalisten und NGOs mit Verleumdungsklagen überschüttet, um sie daran zu hindern, über seine Geschäfte in Afrika zu berichten. In Spanien verlangt der Fleischproduzent Coren 1 Million Euro Schadenersatz von einem Umweltaktivisten, weil er seine Abfallbewirtschaftungspraktiken kritisiert hat, nachdem er zuvor Aktivisten und Wissenschaftler bedroht hatte, die den Nitratgehalt in den örtlichen Gewässern erforschten. Überall auf dem Kontinent wird immer wieder über SLAPP-Fälle gegen Journalisten und Aktivisten berichtet.
"SLAPP" steht für "strategic lawsuit against public participation", also eine strategische Klage gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit. Es geht bei SLAPPs nicht darum, einen Fall vor Gericht zu gewinnen, denn es reicht oft vollkommen, kostspielige Gerichtsverfahren einzuleiten, um sie über Jahre hinweg in die Länge zu ziehen, um Ressourcen zu binden, den Ruf der Betroffenen zu schädigen und das Privatleben der so ins Visier genommenen Journalisten und Aktivisten zu zerstören. SLAPPs sind eine aggressive Form der Zensur, die von mächtigen Akteuren eingesetzt wird, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und sich vor unerwünschter öffentlicher Kontrolle zu schützen. Tatsächlich schreckt die Bedrohung durch SLAPPs erschreckend viele Journalisten und Organisationen davon ab, auch nur zu versuchen, schädliche Praktiken korrupter Unternehmen und Politiker zu untersuchen und das Bewusstsein der Öffentlichkeit dafür zu schärfen.
Akteure wie Journalisten, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger tragen dazu bei, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ordnungsgemäß funktionieren. Durch ihre Arbeit decken sie Fehlverhalten und Korruption auf, ermöglichen es den Bürgern, gut informierte Meinungen zu bilden und die Entscheidungen der Machthaber in Angelegenheiten zu beeinflussen, die ihr Leben und die Gesellschaft, in der sie leben, betreffen. Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die in unseren Demokratien das Sagen haben. SLAPPs zu tolerieren bedeutet, zwielichtigen Unternehmen und korrupten Politikern zu erlauben, unsere Gesetze und unsere Gerichte zu missbrauchen, um jene öffentlichen Kontrollorgane auszuschalten, auf die sich die Bürger verlassen, um die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen. Es bedeutet, zuzulassen, dass Bürger aus ihren Demokratien ausgeschlossen werden. Deshalb ist es umso weniger zu verstehen, dass es in keinem EU-Land angemessene Regeln gibt, um diesem Missbrauch Einhalt zu gebieten.
EU-weite Regeln können das Blatt wenden
SLAPPs stellen eine Bedrohung für die europäischen Werte und die Rechtsordnung der EU dar.
Sie untergraben die Demokratie, indem sie gerade diejenigen zum Schweigen bringen, die es den Bürgern ermöglichen, in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse mitzureden und zu erkennen, was die Mächtigen im Schilde führen. Sie untergraben die bürgerlichen Freiheiten, indem sie das Ausüben von Rechten und Freiheiten behindern. Das betrifft unter Anderem die Meinungsfreiheit, das Demonstrationsrecht oder das Recht auf einen wirksmen Rechtsbehelf. Sie bedrohen die Rechtsstaatlichkeit, indem sie verhindern, dass Fehlverhalten und Korruption unverzüglich angeprangert und verfolgt werden. Indem sie das Gesetz und die Gerichte missbrauchen und deformieren, überlasten SLAPPs auch unsere Justizsysteme und stellen eine Bedrohung für das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der EU-Länder dar. Darüber hinaus halten sie potenzielle Angriffsziele davon ab, ihre Arbeit in EU-Ländern frei auszuüben, in denen das von den SLAPPs ausgehende Risiko höher ist, was die ungehinderte Bewegungsfreiheit beeinträchtigt.
Unter den politischen Entscheidungsträgern der EU wächst das Bewusstsein für dieses Problem. Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Věra Jourová, hat versprochen, "alle möglichen Optionen zu prüfen", um der von den SLAPPs ausgehenden Bedrohung entgegenzuwirken. Der EU-Aktionsplan für Demokratie soll die Initiativen ankündigen, welche die EU-Kommission im Jahr 2021 zur Lösung dieses Problems vorzulegen gedenkt.
Wir sind davon überzeugt, dass SLAPPs ein europäisches Problem sind, das nach europäischen Lösungen verlangt. Eine Schlüssel für die Lösung des Problems liegt in der EU-weiten Gesetzgebung. Ein starkes Anti-SLAPP-Gesetz der EU würde für ein hohes und einheitliches Schutzniveau gegen SLAPPs in allen EU-Ländern sorgen und könnte darüber hinaus als Modell für Länder im erweiterten Europa und der Welt dienen.
Unser Vorschlag für eine EU-Anti-SLAPP-Richtlinie
Zur Unterstützung des gemeinsamen Appells (collective call for action) von NGOs aus der gesamten EU an die Politikerinnen und Politiker der EU haben Liberties und andere NGOs untersucht, wie ein mögliches Anti-SLAPP-Gesetz der EU aussehen könnte und aussehen müsste. Heute veröffentlichen wir das Ergebnis dieser Arbeit: ein Modell für eine EU-Anti-SLAPP-Richtlinie, die von Liberties unter Mitwirkung eines breiten Spektrums von AkademikerInnen, AnwältInnen, PraktikerInnen und SLAPP-Opfern aus ganz Europa und darüber hinaus verfasst wurde.
- Das EU-Mustergesetz schlägt eine Reihe von Regeln vor, die, einmal in Kraft gesetzt, sicherstellen würden, dass in jedem EU-Land, wie in anderen Teilen der Welt
- SLAPP-Klagen bereits in einem frühen Verfahrensstadium abgewiesen werden, um zu vermeiden, dass sie sich über Jahre hinziehen und damit ihre schädlichen Auswirkungen entfalten können
- diejenigen, die SLAPP-Klagen einreichen, zahlen für den Missbrauch des Gesetzes und der Gerichte und werden dafür in der Öffentlichkeit bloßgestellt
- Mächtige Personen werden davon abgehalten, SLAPPs innerhalb und außerhalb der EU gegen in der EU ansässige Watchdogs zu starten
- SLAPP-Opfer erhalten Hilfe, um sich vor Gericht zu verteidigen und diejenigen besser zu schützen und zu unterstützen, die für diesen Missbrauch am anfälligsten sind
Da Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der gesamten EU zunehmend unter Druck geraten, hoffen wir, dass dies die EU-Gesetzgeber dazu inspirieren wird, schnelsEU-Anti-SLAPP-Regeln vorzuschlagen, um öffentliche Überwachungsinstitutionen zu schützen, die dazu beitragen, die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen und die demokratische Debatte am Leben zu erhalten.
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