Neue Erkenntnisse des Bulgarian Helsinki Committee (BHC) zeigen die Anpassungsfähigkeit der bulgarischen politischen Werbetreibenden, die lernen, soziale Medien zu nutzen, um Wähler anzusprechen. Die bulgarischen Regulierungsbehörden haben derweil Schwierigkeiten, mit dem digitalen Zeitalter Schritt zu halten. Sie lassen politische Parteien relativ ungestraft in sozialen Medien werben, auch wenn sie dabei die Regeln für nationale Kampagnen missachten.
Zerrissene Parteienlandschaft im Jahr 2024
Eine zerrissene politische Landschaft im Jahr 2024
Die gleichzeitig stattfindenden Parlaments- und Europawahlen in Bulgarien im Jahr 2024 wurden von innenpolitischen Skandalen dominiert, vor deren Hintergrund die jüngsten Reformen zur Korruptionsbekämpfung, die Haltung Bulgariens zum Krieg in der Ukraine und die weitere EU-Integration des Landes diskutiert wurden. Die rechtsextreme Partei Vazrazhdane konnte neue Anhänger gewinnen, während die Sozialistische Partei deutlich an Boden verlor. Die jüngsten Korruptionsskandale führten zu Desillusionierung und Apathie bei den Wählerinnen und Wählern und damit zu einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung.
Facebook und die Verbreitung von Desinformation
Eine der größten Herausforderungen für Bulgarien ist die geringe Medienkompetenz. Viele Bürgerinnen und Bürger sind daher nicht in der Lage, Fake News zu erkennen oder die Glaubwürdigkeit politischer Informationen zu beurteilen. Diese Anfälligkeit ist besonders im Zusammenhang mit sozialen Medien gefährlich, da Plattformen wie Facebook die politische Werbelandschaft in Bulgarien dominieren.
Untersuchungen des BHC zufolge hat die Koalition aus PP und DB die Reichweite von Facebook genutzt, um mehr als doppelt so viele Stimmen wie andere Parteien zu erhalten, was unterstreicht, dass soziale Medien die öffentliche Meinung unkontrolliert und stark beeinflussen können.
Da es in Bulgarien kaum Ressourcen für die Überprüfung von Fakten gibt, erreichen politische Botschaften, insbesondere solche, die die Gesellschaft spalten, Millionen, selbst wenn sie auf irreführenden oder unvollständigen Informationen beruhen.
Regelungslücken in den sozialen Medien
Obwohl Bulgarien über Gesetze verfügt, die politische Werbung in traditionellen Medien regeln, fehlen vergleichbare Transparenzstandards für politische Werbung in sozialen Medien. Diese Regelungslücke hat es inoffiziellen Seiten ermöglicht, undurchsichtige Kampagnen auf Plattformen wie Facebook durchzuführen. Zwar gibt es eine Stelle, die für die Überwachung politischer Werbung zuständig ist, diese hat jedoch kein Mandat, Beschwerden über Kampagnen in sozialen Medien nachzugehen. Die BHC-Studie schlägt eine naheliegende Lösung vor: die Aktualisierung des Rechtsrahmens, um soziale Netzwerke in den Anwendungsbereich des Wahlgesetzes einzubeziehen. Die Schließung der Regelungslücke würde die Plattformen in die Verantwortung nehmen und die Transparenz politischer Online-Inhalte erhöhen.
Demokratische Zukunft sichern
Da der technologische Fortschritt die Art und Weise verändert, wie Parteien mit ihren Wählern kommunizieren, müssen die Vorschriften mit diesen Veränderungen Schritt halten. Eine stärkere Regulierung der sozialen Medien, die Förderung der Medienkompetenz und die Wiederherstellung des Vertrauens der Wähler sind wichtige Schritte, um mit der neuen Medienumgebung in Bulgarien - und überall in Europa - umzugehen.
Über die Studie
Dieses wissenschaftliche Gutachten des Bulgarian Helsinki Committee (BHC) war ein Beitrag zum Projekt „Electoral Integrity and Political Microtargeting: An Evidence-Based Analysis in Six EU Member States“, das von der Civil Liberties Union for Europe (Liberties) koordiniert wurde. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde politische Online-Werbung im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 in sechs EU-Ländern beobachtet: Bulgarien (BHC), Frankreich (VoxPublic), Deutschland (Reset Tech), Ungarn (HCLU), Polen (PAF) und Spanien (Xnet), unterstützt von Who Targets Me (WTM) als technischem Partner. Das Projekt stützte sich hauptsächlich auf Daten, die während des Wahlkampfs für die Wahlen zum Europäischen Parlament aus politischen Werbeanzeigen politischer Organisationen auf Facebook gesammelt wurden. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten, ob die politischen Akteure die nationalen Vorschriften für Wahlwerbung und die europäischen Datenschutzbestimmungen einhielten, indem sie die Daten analysierten, die von den Bürgerinnen und Bürgern freiwillig über eine datenschutzfreundliche Desktop-Browser-Erweiterung zur Verfügung gestellt wurden. Das Projekt wurde von Civitates und The Open Society Foundations kofinanziert.
Weitere Ressourcen:
Enthüllung zur EU-Wahl: Wer will deine Stimme auf Facebook beeinflussen?
BHC’s research brief (Kurzfassung des Forschungsberichts auf Englisch)