Weltweit sind Klicks, Wisch- und Tippbewegungen für eine immer größer werdende Anzahl von Wählenden zu grundlegenden Mitteln der politischen Einflussnahme geworden. Politische Diskussionen finden inzwischen hauptsächlich im Internet statt, und auch politische Parteien und ihre Kandidat*innen nutzen Social-Media-Werbung zur Wähleransprache. Neue Untersuchungen von Liberties untersuchen diesen Trend anhand der Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 und gehen der Frage nach, wie das digitale Zeitalter moderne Wahlkampagnen prägt und ob die bestehenden Vorschriften eingehalten werden.
Compliance-Bewertung: Werden die EU-Vorschriften über politische Werbung respektiert?
Die EU hat in den letzten Jahren mehrere Rechtsvorschriften zum Schutz der Integrität von Wahlen eingeführt. Dazu gehören vor allem die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), das Gesetz über digitale Dienste (DSA) und die Verordnung über Transparenz und das Targeting politischer Werbung (TTPA). Im Rahmen unserer Studie wurden Online-Wahlkampagnen in sechs Ländern (Bulgarien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Polen und Spanien) analysiert, um festzustellen, ob diese EU-Schutzmaßnahmen befolgt oder missachtet wurden.
Fehlende Transparenz beim Targeting politischer Werbung
Die Ergebnisse unserer Untersuchung der Wahlen zum Europaparlament 2024 ergeben ein komplexes und manchmal bedrohliches Bild der Online-Targeting-Praktiken, mit erheblichen Transparenzproblemen und klaffenden Regulierungslücken.
Eine in den sozialen Medien weit verbreitete Methode von Auftraggebern politischer Werbung war die gezielte Ansprache von Nutzern auf der Grundlage benutzerdefinierter Listen und sogenannter Lookalike Audiences (ähnlich wirkender Zielgruppen). Mangels Transparenz war kaum ersichtlich, wie diese Listen und Lookalike Audiences zusammengestellt wurden und ob dafür auf illegale Datenverarbeitung zurückgegriffen wurde. Insbesondere wurde festgestellt, dass Algorithmen zur Anzeige von Werbung möglicherweise zur Fragmentierung des öffentlichen Diskurses beitragen, was zu einer stark individualisierten Darstellung von Inhalten führt.
Abgesehen von fragwürdigen Targeting-Techniken gab es bei den letzten Wahlen zahlreiche Transparenzprobleme. Sowohl Google als auch Meta (Facebook) stellten in ihren Ad-Repositories nur unzureichende Informationen zur Verfügung. Google versäumte es sogar, auf seinen Berichtsseiten eine Aufschlüsselung nach Suchbegriffen und plattformspezifischen Daten bereitzustellen. Diese Versäumnisse erschweren es Forschenden, für die Durchsetzung zuständigen Behörden, Gesetzgebern und der interessierten Öffentlichkeit, die undurchsichtige Werbelandschaft zu verstehen, und schreckt von weiteren Analysen ab.
Lösungen für das digitale Dilemma der EU
Wir haben aber nicht nur problematische Unternehmenspraktiken im Zusammenhang mit politischer Online-Werbung identifiziert, wir haben auch Lösungen für einige dieser Probleme formuliert.
Auf EU-Ebene haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Kapazitäten zur Durchsetzung der oben genannten bestehenden Vorschriften gestärkt werden, damit die Praktiken der Plattformen wirksam überwacht werden können. Leitlinien für Plattformen und politische Akteure könnten es diesen erleichtern, die Vorschriften einzuhalten. Wir haben uns auch dafür ausgesprochen, die Transparenzanforderungen für Targeting-Praktiken sowie für Algorithmen von Werbeanzeigen zu erweitern, damit Forschende und Öffentlichkeit besser verstehen können, wie ihre Online-Erfahrungen zustande kommen.
Auf nationaler Ebene haben wir die Notwendigkeit betont, Ausgabenobergrenzen und gut formulierte Drittanbieter-Vorschriften für politische Kampagnen in der gesamten EU einzuführen, um einen wirklich fairen politischen Wettbewerb gewährleisten zu können.
Politische Kampagnen in den sozialen Medien lassen sich in keiner Weise von den institutionellen, traditionellen Praktiken der Politik trennen. Da die europäische Politik immer weiter in die digitale Späre vordringt, müssen Vorschriften durchgesetzt werden, um die Fairness von Wahlen zu wahren und so eine wirklich demokratische Herrschaft zu gewährleisten.
Ressourcen
Hier kannst Du den vollständigen Bericht herungterladen (als PDF)
Who tries to influence your vote on Facebook?
Polen: Polens Wahlen und die Flut sozialer Medien
Spanien: Wem gehören die Nachrichten? Xnet untersucht Spaniens Nachrichten und die Wahlen
Frankreich: In Frankreich ist politische Werbung stark reguliert, trotzdem gewinnen die Rechtsextremen an Zulauf
Bulgarien: Bulgariens EU-Wahlen 2024: Problematische Targeting-Techniken und Gesetzeslücken
Ungarn: Die Dominanz der Regierungspartei: Wie Ungarns Medienlandschaft die Staatsmacht zementiert