"Demokratiefeindliche Ideologie"
Das bulgarische Parlament hat Anfang Dezember in der ersten Lesung Änderungen am Strafgesetzbuch beschlossen, nach denen Personen, die den radikalen Islam oder eine andere Ideologie predigen und den Glauben für politische Zwecke verwenden, mit Gefängnisstrafen von ein bis fünf Jahren und einer Geldstrafe von 5.000 Leva (2.500 Euro) bestraft werden können. Der Gesetzentwurf wurde von der rechtsextremen Koalition Vereinte Patridioten eingebracht, die eine aktive Rolle in der Regierung des Landes spielt.
Nach den Gesetzesänderungen kann von "radikalem Islam" gesprochen werden, "wenn eine Person für die Errichtung eines islamischen Staates (Kalifat) kämpft, wenn sie sich für die Durchsetzung des Scharia-Rechts gegen den Säkularismus einsetzt, wenn sie sich für die gewaltsame Durchsetzung religiöser Prinzipien einsetzt oder zu Gewalt in Form eines heiligen Krieges gegen Nicht-Muslime aufruft, oder wenn sie versucht, Anhänger für islamische Terrororganisationen zu gewinnen".
Bulgarien ist durch internationale Verträge verpflichtet, bestimmte Formen der öffentlichen Meinungsäußerung zu kriminalisieren, wenn diese zu Gewalt oder zum Hass aufstacheln oder bestimmte Gruppen wegen ihrer rassischen, ethnischen, religiösen oder nationalen Zugehörigkeit beleidigen, zu terroristischen Anschlägen oder anderen Gewalttaten aufstacheln, Ideen der rassischen Überlegenheit oder des Hasses fördern oder zur Rassendiskriminierung anregen. Darüber hinaus sieht das bulgarische Strafgesetzbuch die strafrechtliche Verfolgung von Verleumdung oder Diffamierung sowie für Ausdrucksformen vor, die zu Straftaten aufstacheln, Staatsgeheimnisse verraten oder ähnliches.
Der neue Gesetzentwurf basiert auf einem Abschnitt des Strafgesetzbuches, der für das predigen "faschistischer oder anderer antidemokratischer Ideologien" eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht. Diese Bestimmung ist ein Überbleibsel des Strafrechts aus der Zeit des totalitären Regimes und widerspricht den internationalen Standards zum Schutz der Meinungsfreiheit, insbesondere wegen der Zweideutigkeit des Begriffs "antidemokratische Ideologie". So wie es jetzt vorliegt, kann das Gesetz ein völliges Verbot aller Formen des "Predigens" darstellen, unabhängig von Kontext oder Wirkung.
Geschütztes Predigen
In der Rechtssache Günde v. Turkey hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits 2003 entschieden, dass die friedliche Verkündigung einer undemokratischen Ideologie bei der Äußerung religiöser Überzeugungen durch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt ist. Die Bestrafung solcher Ausdrucksformen nach dem neuen bulgarischen Gesetzentwurf verstößt gegen diese Bestimmung.
Heutzutage predigen viele weit verbreitete religiöse Lehren die Vorherrschaft der Normen der Religion über die des Staates. Einige von ihnen lehnen sogar die Gesetze der demokratischen Gesellschaft im Namen einer Gesellschaft ab, die sich auf die Vorschriften der religiösen Lehre stützt. Wenn dies friedlich geschieht, nicht zur Gewalt aufstachelt und einen tiefen religiösen Glauben vermittelt, ist es inakzeptabel, diese Ausdrucksformen zu kriminalisieren.
Bestimmte Änderungen, die mit dem neuen Gesetz eingeführt werden, geben Anlass zu großer Besorgnis. Einer von ihnen kriminalisiert den Einsatz "religiöser Überzeugungen für politische Zwecke" und die Förderung einer "Veränderung der bestehenden Verfassungs- und Rechtsordnung". In einer Reihe von Verfahren gegen Bulgarien verurteilte der EGMR die Zweideutigkeit dieses Textes und das unannehmbare Ausmaß der Tragweite des Begriffs "politische Ziele". Bulgariens Strafverfolgungsbehörden haben dieses Konzept beriets in einigen Fällen bei der Registrierung von politischen Parteien und Gemeinnützigen Organisationen übernommen. Obwohl der diskutierte Text vollkommen absurd ist, wird dieser Nonsens in der Gesetzgebung festgeschrieben. Das bedeutet, dass keine Religionsgemeinschaft in Bulgarien mehr in der Lage sein wird, Änderungen an der Gesetzgebung zu propagieren, nicht einmal wenn diese Änderungen Probleme mit ihrem eigenen Status betreffen.
Die vorgeschlagenen Änderungen sind diskriminierend und stehen im Widerspruch zum Völkerrecht. Sie werden zur Stigmatisierung der religiösen Überzeugungen großer Gruppen von Menschen führen - Muslime ebenso wie Menschen, die anderen Religionsgemeinschaften angehören. Über den Gesetzentwurf muss noch in zweiter Lesung abgestimmt werden.