Im März dieses Jahres hat ein Richter des irischen High Court den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung gebeten, ob die Möglichkeit besteht, die Auslieferung einer Person im Rahmen des Europäischen Haftbefehls (EAW) an Polen zu verweigern.
Nach Ansicht des irischen Gerichts besteht die Gefahr, dass die jüngsten von der polnischen Regierung eingeleiteten Gesetzesreformen, die Unabhängigkeit der Justiz so weit einschränken, dass nicht mehr garantiert werden kann, dass Beschuldigte ihr Recht auf ein faires Verfahren in vollem Umfang ausschöpfen können.
Der Europäische Haftbefehl
Das Verfahren des Europäischen Haftbefehls wird durch den Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten geregelt. Dieses System basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung.
Nach dem obigen Grundsatz sollte ein, von einem Gericht eines Mitgliedstaates ausgestellter, Haftbefehl gegen eine bestimmte Person in den anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden.
Doch selbst der Rahmenbeschluss setzt bereits voraus, dass "die Grundrechte geachtet und die in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere die in deren Kapitel VI enthaltenen Grundsätze, beachtet werden".
Der CJEU und der EAW
Der Gerichtshof der Europäischen Union (CJEU) hat in seiner Rechtsprechung bereits auf Fälle verwiesen, die dem des polnischen Staatsbürgers, der von Irland ausgeliefert werden soll, ähneln, z.B. in den Rechtssache Aranyosi and Căldăraru.
In Aranyosi beantragte ein deutsches Gericht eine Vorabentscheidung zu der Frage, wie ein Auslieferungsersuchen zu behandeln sei, wenn die Bedingungen in Strafvollzugsanstalten in einem Land, das einen Europäischen Haftbefehl ausstellt, die Menschenrechte verletzen. In diesem speziellen Fall war das Problem die Überbelegung der ungarischen Gefängnisse, ein Phänomen, das bereits Gegenstand einer ganzen Reihe von Urteilen des EGMR war.
Angesichts der vorliegenden zuverlässigen, spezifischen und ordnungsgemäß aktualisierten Beweise für systemische Mängel in Bezug auf die Haftbedingungen in dem um Auslieferung ersuchenden Mitgliedstaat, urteilte der EuGH, dass die vollstreckende Justizbehörde genau feststellen sollte, ob wesentliche Gründe für die Annahme bestehen, dass eine in einem Europäischen Haftbefehl genannte Person einem tatsächlichen Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein könnte.
Zu diesem Zweck sollte die vollstreckende Justizbehörde ihre Entscheidung über die Auslieferung der Person aufschieben und verlangen, dass die den EAW ausstellende Justizbehörde innerhalb einer bestimmten Frist zusätzliche Informationen übermittelt. Letzten Endes muss die vollstreckende Justizbehörde entscheiden, ob das Übergabeverfahren überhaupt abgeschlossen werden soll, wenn dieses Risiko nicht innerhalb einer angemessenen Frist ausgeschlossen werden kann.
Unabhängigkeit der Gerichte
Der CJEU hat sich bisher nicht zu der Möglichkeit geäußert, die Auslieferung einer in einem Europäischen Haftbefehl genannten Person wegen Einschränkungen der Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern im Ausstellungsstaat abzulehnen.
Bei mehreren Gelegenheiten hat das Gericht jedoch die Bedeutung des Rechts auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht hervorgehoben; dies geschah zuletzt in dem Urteil in der Rechtssache Associação Sindical dos Juízes Portugueses v. Tribunal de Contas.
Dabei handelt es sich um ein Urteil des CJEU, in dem dieser unterstreicht, dass der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der Rechte des Einzelnen ein allgemeiner Grundsatz des EU-Rechts ist. Laut dem Urteil des CJEU in Associação ist das Vorhandensein eines wirksamen gerichtlichen Überprüfungsverfahrens ein inhärentes Merkmal eines Rechtsstaates.
Alle Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass ihre Justizbehörden bestimmte Anforderungen, zu denen eben auch die Unabhängigkeit gehört, erfüllen.