Wenn nicht, dann findest Du hier eine kurze Zusammenfassung der Geschichte. Medienberichten zufolge hat das Technologie-Startup Clearview AI mehr als drei Milliarden Gesichtsbilder aus dem Internet gekratzt, darunter auch Social-Media-Seiten wie YouTube, Facebook, Instagram und Twitter. Sie haben dass ohne die Erlaubnis der Nutzer oder der Unternehmen gemacht. Sie haben auch eine Gesichtserkennungs-App entwickelt, die mit einer Datenbank mit geraubten Fotos verbunden ist. Wenn die Nutzerinnen der App ein Foto einer Person machen (ein partielles Gesichtsbild kann durchaus ausreichen) und es mit der Datenbank von Clearview abgleichen, erhalten sie öffentlich zugängliche Fotos dieser Person zusammen mit Links zu den Quellen, auf denen diese Fotos erschienen sind. Das funktioniert auch dann, wenn diese Fotos bereits 20 oder 30 Jahre alt sind.
Die New York Times erwähnt sogar die technische Möglichkeit, das Programm von Clearview mit einer Brille mit erweiterter Realität zu kombinieren, die es den Abonnenten von Clearview ermöglichen würde, die Hintergrundgeschichte jeder Person, die sie sehen, in Echtzeit zu identifizieren und zu recherchieren. Demonstranten, attraktive Passanten, was auch immer.
Nach Angaben des Start-Up-Unternehmens nutzten 2019 mehr als 600 US-amerikanische Strafverfolgungsbehörden Clearview AI, und sie haben es auch an eine Handvoll Privatunternehmen lizenziert. In naher Zukunft wollen sie weiterhin aggressiv die US-Polizei bewerben, außerdem ist eine Ausweitung auf mindestens 22 weitere Länder geplant.
Haben Sie schon eine Gänsehaut? Nein? Glauben Sie, dass Sie als EU-Bürger vor solchen die Privatsphäre verletzenden Vergehen geschützt sind, weil Sie den guten alten Kontinent nicht verlassen? Leider ist die Sache nicht ganz so einfach. Das Unternehmen will seinen Service für die EU ausweiten, mit z.B. Italien, Griechenland und den Niederlanden als potenzielle Partner. Zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, ob Clearview gegen europäische Gesetze verstoßen hat. Wenn sie sich Bilder von EU-Bürgern angeeignet haben, könnte ihre Software gegen die allgemeine Datenschutzverordnung der EU verstoßen, deren Artikel 4 (14) die Verarbeitung biometrischer Daten regelt. Aber ihr rechtlicher Status ist jetzt ziemlich unklar, und die Europäische Kommission hat nur gesagt, dass sie die Presseberichte verfolgt und sich mit den Datenschutzbehörden der EU berät.
Einfach nur der Presseberichterstattung zu folgen, kann aber natürlich nicht ausreichen. Die Europäische Kommission muss handeln, und zwar besser früher als später. Clearview und die Unternehmen, die mit einer ähnlichen Schleppnetz-Strategie das Internet abernten, stellen eindeutig eine Bedrohung für uns alle dar. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der wir uns in der Außenwelt frei bewegen und handeln können. Wir wollen nicht, dass uns jemand auf Schritt und Tritt im öffentlichen Raum überwacht, auch nicht wenn es sich dabei um vertreter der Staatsmacht handelt.
Vor nicht allzu langer Zeit schien es noch so, als hätte die Europäische Kommission unseren Wunsch, in freien Gesellschaften zu leben, verstanden. Sie plante, die Technologie der Gesichtserkennung zumindest vorerst zu verbieten. Das geplante Verbot wurde jedoch im letzten Entwurf ihres Arbeitspapiers über künstliche Intelligenz gestrichen. Das Mindeste, was jetzt passieren müsste, wäre diesen Schritt zurückzunehmen.
PS: würdest Du gern mehr über Fragen der Privatsphäre, der Überwachung, der Sicherheitspolitik lesen? Interessierst Du Dich dafür, was diese Fragen mit der Gesundheit unserer Demokratien zu tun haben? Dann verfolge HIER die Artikelserie #meandmyrights von Israel Butler, unserem "Head of Advocay".