Am 23. Juli fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein Urteil im Fall M.K. and Others vs. Poland. Die Kläger gehörten zu einer Gruppe von Personen, denen am 17. März am Grenzübergang Terespol die Einreise nach Polen verweigert wurde. Sie erhielten am Grenzübergang pro bono Rechtsbeistand von Anwälten aus Warschau, die mit Nichtregierungsorganisationen wie der Helsinki Foundation for Human Rights, der Association for Legal Intervention und Human Constanta aus Brest (Weißrussland) zusammenarbeiteten. Die Anwälte aus Warschau vertraten diese Gruppe und 50 andere, denen an diesem Tag die Einreise nach Polen verweigert wurde.
Polnischer Grenzschutz ignorierte systematisch Anträge auf internationalen Schutz
Das Gericht widersprach der Behauptung der polnischen Behörden und stellte fest, dass die Flüchtlinge sehr wohl internationalen Schutz beantragt hatten, dass der Grenzschutz diese Anträge jedoch ignoriert hatte. Der EGMR stellte außerdem fest, dass die Verweigerung des Schutzes zur üblichen Praxis am Grenzübergang Terespol gehörte. Dies wurde u.a. durch Berichte von Nichtregierungsorganisationen wie der Association for Legal Intervention, HFHR, Human Rights Watch, Amnesty International, die weißrussische NGO Human Constanta, sowie des Menschenrechtskommissars und des Ombudsmanns für Kinder bestätigt.
Die Kläger erwirkten vom EGMR eine einstweilige Verfügung, in der das Gericht den polnischen Behörden die Rückführung der Kläger nach Belarus untersagte. In einem beispiellosen Schritt beschloss die polnische Regierung jedoch, die Anordnung zu ignorieren. Die Antragsteller unternahmen später mehrere, ebenfalls erfolglose Versuche, internationalen Schutz zu beantragen.
Der EGMR stellt fest, dass Polen die folgenden Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt hat
- Artikel 3, der den Schutz vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung vorschreibt. Denn es besteht die Gefahr, dass die belarussischen Behörden die Antragsteller den russischen Behörden übergeben, die die Antragsteller immer wieder nach Tschetschenien überstellen , von wo sie aus Angst vor Folter geflohen sind. Die polnischen Behörden verletzten diese Bestimmung, indem sie sich wiederholt weigerten, die Anträge auf internationalen Schutz anzunehmen und zu prüfen, was zu unmenschlicher Behandlung führte.
- Artikel 4 des Protokolls Nr. 4, der die kollektive Ausweisung von Ausländern verbietet. Das Gericht stellte fest, dass die Behörden, obwohl Einzelentscheidungen zur Einreiseverweigerung ausgestellt worden waren, durch das Ignorieren der Schutzanträge der Antragsteller der Verpflichtung zur Überprüfung der persönlichen Situation der Antragsteller nicht nachgekommen waren. Der EGMR entschied, dass Polen kein Recht habe, sie nach Weißrussland zurückzuführen. Das Gericht betonte dabei, dass diese Praxis ein Element einer umfassenderen Politik des polnischen Staates darstelle.
- Artikel 13 der Konvention in Verbindung mit Artikel 3 der Konvention und Artikel 4 des Protokolls Nr. 4 der Konvention (Versäumnis, einen wirksamen Rechtsbehelf bereitzustellen). Jede Entscheidung, mit der die Einreise verweigert wird, ist sofort vollstreckbar, was bedeutet, dass ein Rechtsbehelf gegen eine solche Entscheidung, der beim Kommandeur des Grenzschutzes eingelegt wird, nicht zur Aussetzung der Vollstreckung der Entscheidung führt und dass die Entscheidung selbst zur sofortigen Rückweisung des Antragstellers von der polnischen Grenze führt.
- Artikel 34 der Konvention in Verbindung mit Regel 39 der Gerichtsordnung. Die polnischen Behörden weigerten sich, der einstweiligen Verfügung des EGMR nachzukommen, welche die Rückführung der Antragsteller nach Weißrussland verbietet und Polen dazu verpflichtet, ihre Anträge auf internationalen Schutz einer ordnungsgemäßen Überprüfung zu unterziehen.
Das Urteil muss auch für andere ähnliche Fälle gelten
Insbesondere gelten die im vorliegenden Urteil angeführten Grundsätze nicht nur für die spezifischen Fälle, auf die sich die Entscheidung bezieht, sondern auch für alle anderen ähnlichen Situationen. Die ordnungsgemäße Vollstreckung dieses Urteils muss deshalb zu einer Änderung der gegenwärtig üblichen Praxis führen, die darin besteht, Anträge auf internationalen Schutz von Ausländern, die an der Ostgrenze Polens Schutz suchen, generell nicht zu akzeptieren.
In dem Verfahren vor dem EGMR werden die Antragsteller pro bono durch Frau Sylwia Gregorczyk-Abram, Frau Maria Radziejowska und Herrn Jacek Białas von der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte sowie durch Frau Marcjanna Dębska und Frau Emilia Barabasz vertreten.