Anfang Februar entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, dass Bulgarien gegen das Recht auf Privatsphäre und Familienleben - Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention - verstoßen hat, weil die Behörden es versäumt hatten, das Jugendamt zu benachrichtigen und die 14-Jährige nach der Verhaftung ihrer Eltern tagelang unbeaufsichtigt gelassen hatten.
Djerens Geschichte
Ende 2001 kam Djeren Hadjieva mit ihren Eltern nach Bulgarien. Sie war damals 13 Jahre alt. In ihrer Heimat war die Familie Repressionen ausgesetzt, weil ihr Vater in eine politische Bewegung involviert war, die dem Regime in Turkmenistan kritisch gegenübersteht.
Nach dem Umzug nach Bulgarien ließ sich die Familie in Varna nieder, wo Djerens Vater eine eigene Baufirma gründete. Im Jahr 2002 begann Djeren das Gymnasium zu besuchen. Im selben Jahr warfen die turkmenischen Behörden den Eltern Djerens jedoch vor, sie hätten große Mengen an öffentlichen Geldern veruntreut und forderten von Bulgarien ihre Auslieferung.
Am Morgen des 4. Dezember 2002 trafen Polizisten im Haus der Familie ein. Das 14-jährige Mädchen war damals allein. Die Polizei teilte ihr mit, dass sie gekommen sei, um ihre Eltern zu verhaften.
Sie rief ihre Eltern sofort an und informierte sie über die Situation. Während sie darauf warteten, dass die Eltern nach Hause zurückkehren, weigerten sich die Polizisten, Djeren zu erlauben, sich frei in der Wohnung zu bewegen. In Abwesenheit eines Sozialarbeiters oder Psychologen stellten sie ihr Fragen, obwohl sie sich ihres Alters bewusst waren.
Als die Eltern nach Hause kamen, wurden sie sofort verhaftet. Sie durften nicht einmal persönliche Gegenstände mitnehmen. Djeren wurde für die nächsten Tage allein und ohne Aufsicht zu Hause gelassen.
Obwohl das Kinderschutzgesetz die Polizei verpflichtet, die zuständigen Behörden zu benachrichtigen, wurde dieser Anforderung nicht entsprochen. Darüber hinaus schreibt die Strafprozessordnung ausdrücklich vor, dass "die Kinder eines Häftlings, wenn sie keine Verwandten haben, die sich um sie kümmern, sofort in einem Kindergarten oder einem Internat untergebracht werden müssen und, dass dafür die jeweilige Gemeinde oder das Bürgermeisteramt verantwortlich ist".
Auslieferung verweigert
Nachdem ein bulgarisches Gericht ihre Auslieferung abgelehnt hatte, wurden wurden Djerens Eltern schließlich freigelassen. Nach Ansicht des Gerichts beruhten die gegen sie erhobenen Vorwürfe auf vollständig gefälschten Beweismitteln.
Der eigentliche Grund für das Ersuchen der turkmenischen Behörden war die politische Aktivität von Djerens Vater. Er hatte es gewagt, offen eines der repressivsten Regime der Welt zu kritisieren. Außerdem wurde Djerens Tante, die in Turkmenistan geblieben war, 2006 im Gefängnis gefoltert und ermordet.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte teilte den Zeitraum, den die Klägerin ohne Aufsicht verbringen musste, in zwei Teile auf. Das Gericht stellte fest, dass im ersten Teil, der die anfängliche Haftzeit der Eltern umfasste und mit der ersten Anhörung des Auslieferungsersuchens endete, Artikel 8 der Konvention verletzt worden war.
Das Versagen der Behörden
Nach Ansicht des EGMR sind die bulgarischen Behörden ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen, dafür zu sorgen, dass das minderjährige Kind während der erzwungenen Abwesenheit seiner Eltern angemessen versorgt wird. Das Gericht hat in der Zeit nach der ersten Verhandlung jedoch keinen Verstoß gegen die Verpflichtungen des Staates nach Artikel 8 der Konvention festgestellt.
"Es scheint, dass die Trennung des Zeitraums, den die Klägerin ohne angemessene Obhut verbringen musste, in zwei Teile nicht hinreichend gerechtfertigt ist. In der Entscheidung des Gerichtshofs wird jedoch klar festgelegt, wie sich die bulgarischen Behörden in Bezug auf ein Kind verhalten sollten, das nach der Verhaftung seiner Eltern ohne Fürsorge zurückgelassen wird. Abgesehen von der Frage, die sofort gelöst werden muss, sollte das Gerichtsverfahren auch alle damit verbundenen Probleme nach den Standards einer zivilisierten Gesellschaft lösen, die die Rechte der Schwachen respektiert", sagte Krassimir Kanev, der Vorsitzende des Liberties Mitglieds The Bulgarian Helsinki Committee, der die Klägerin in dem Verfahren vor dem EGMR vertreten hatte.
Der Gerichtshof für Menschenrechte hat der Klägerin 3.600 € Schmerzensgeld und 5.260 € für ihre Prozesskosten zugesprochen.