Ende 2017 und Anfang 2018 reichten Aktivisten der Panoptykon Foundation und der Helsinki Foundation for Human Rights gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Mikołaj Pietrzak Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Der Anwalt machte darauf aufmerksam, dass die unkontrollierte Überwachung nicht nur seine Privatsphäre, sondern vor allem auch die Rechte und Freiheiten seiner Mandanten verletzt. Aktivisten fügten hinzu, dass sie als aktive Bürger besonders gefährdet sind, der staatlichen Überwachung zu unterliegen.
Die HFHR kritisiert seit Jahren die mangelnde Kontrolle der staatlichen Überwachung.
Wir zweifeln nicht daran, dass die Nachrichtendienste ihre weitreichenden Befugnisse ohne wirkliche Einschränkungen auch tatsächlich nutzen. Aber wir haben keine Möglichkeit, dies zu überprüfen, weil das Gesetz keinen Zugang zu Informationen darüber zulässt, ob eine Person überwacht wurde, selbst wenn die Überwachung abgeschlossen ist und die Person nicht angeklagt wurde. Deshalb sind wir als Bürger wehrlos und können unsere Rechte nicht schützen.
Jetzt muss die polnische Regierung Fragen beantworten
Der EGMR entschied, dass unsere Klage den formalen Anforderungen entspricht und übermittelte den Fall an die polnische Regierung, welche nun die Frage beantworten muss, ob ihre Handlungen unsere Privatsphäre (Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention) und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Artikel 13 der Konvention) verletzt haben. Wenn die Regierung ihre Erklärung übermittelt hat, werden wir als Kläger dazu Stellung nehmen können.
Es geht um mehr als die Privatsphäre
Es geht nicht nur um das Recht auf Privatsphäre. Wie Rechtsanwalt Mikołaj Pietrzak erklärt, ist Vertrauen die Basis der Anwalt-Mandanten-Beziehung, weil diese nur unter der Bedingung der Vertraulichkeit möglich ist. Insbesondere wenn es um die Verteidigung in Strafsachen geht, sind Anwälte dazu verpflichtet, das Anwaltsgeheimnis zu schützen. Die geltenden Gesetze machen dies jedoch unmöglich und das verletzt die Rechte und Freiheiten der Mandanten, insbesondere ihr Recht auf Strafverteidigung.
Laut polnischem Verfassungsgericht hätte das Gesetz bereits im Juli 2014 geändert werden müssen.
Allerdings wurden mit dem sogenannten Surveillance Act und dem Counter-Terrorism Act, die beide 2016 verabschiedet wurden, statt den Appetit der Nachrichtendienste auf Informationen über die Bürger zu drosseln, nur deren Befugnisse erweitert, ohne dass Kontrollmechanismen eingeführt wurden. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern, in denen eine unabhängige Kontrolle der Tätigkeit der Nachrichtendienste eine Selbstverständlichkeit ist, fällt Polen weit hinter europäische Standards zurück. In einer Stellungnahme vom Juni 2016 hat die Venedig-Kommission auf diese Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Die Verpflichtung, die betroffene Person über die Tatsache zu informieren, dass Geheimdienste auf ihre Telekommunikationsdaten zugreifen, geht auf mehrere Urteile des EGMR (z.B. Szabo und Vissy gegen Ungarn, Saravia gegen Deutschland oder Zakharov gegen Russland) und des CJEU (z.B. Tele2 Sverige) zurück.
Die Kläger werden von dem Rechtsanwalt Małgorzata Mączka-Pacholak vertreten.