EU-Beobachtung

Einschränkungen des Demonstrationsrechts: Eine Trendanalyse

Liberties Rule of Law Report 2024 - Einschränkungen des Demonstrationsrecht

by Jonathan Day

Das Recht auf friedliche Proteste wurde 2023 in ganz Europa stark eingeschränkt, wobei viele pauschale Verbote gezielt pro-palästinensische und Klima-Demonstrationen betrafen, so der jüngste Bericht von Liberties über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der EU.

Die Freiheit, sich zu versammeln und friedlich für oder gegen Dinge zu demonstrieren, die uns wichtig sind, ist ein grundlegender Bestandteil der Demokratie. Für die Bürgerinnen und Bürger ist es die Freiheit, sich zusammenzuschließen, um ihre Meinung öffentlich und ohne Angst vor Repressalien zu äußern. Für Politikerinnen und Politiker ist es die Möglichkeit zu verstehen, welche Themen den Menschen wirklich wichtig sind und sogar wie wichtig ein Thema ist. Friedliche Proteste zeigen den Menschen auch, dass es andere - oft viele andere - gibt, denen ein bestimmtes Anliegen, das einem selbst am Herzen liegt, auch besonders wichtig ist, wodurch es möglich wird, Bürgerinnen und Bürger für gemeinsame Anliegen zu mobilisieren.

Das macht das Demonstrationsrecht zu einem extrem machtvollen Recht - so machtvoll, dass viele Regierungen es einschränken wollen. Das war im vergangenen Jahr in vielen Ländern der EU der Fall, wie der kürzlich veröffentlichte Liberties Rule of Law Report 2024 zeigt. Berichte von zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Mitgliedstaaten zeichnen ein düsteres Bild vom Zustand der Versammlungsfreiheit. In einigen Fällen waren die Einschränkungen neu und reaktionär, in anderen wurden bestehende Beschränkungen verschärft oder selektiv durchgesetzt, um bestimmte Gruppen von Demonstranten, insbesondere Klimaaktivisten, zu behindern.

Protestbeschränkungen gegen pro-palästinensische Proteste

In ganz Europa, wie auch an vielen anderen Orten auf der Welt, kam es nach dem Aufflammen des Konflikts zwischen Israel und der Hamas zu Protesten. Sowohl der Konflikt selbst als auch die erschütternde humanitäre Krise im Gazastreifen haben bei Menschen jeglicher Herkunft den Wunsch geweckt, ihr Recht auf friedlichen Protest wahrzunehmen. Liberties hat schon früh davor gewarnt, dass dieses Umfeld zu unangemessenen Einschränkungen der friedlichen Versammlungsfreiheit führen könnte, und unsere Analyse bestätigt diese Befürchtungen. Viele Mitgliedstaaten reagierten darauf, indem sie dieses Recht stark einschränkten oder sogar verweigerten, und zwar fast immer in Bezug auf pro-palästinensische Demonstrationen.

In Deutschland haben mehrere Städte pauschale Verbote für pro-palästinensische Versammlungen erlassen. Mehrere Gerichte erklärten solche pauschalen Verbote in diesem Zusammenhang für rechtswidrig, aber andere Gerichte bestätigten sie. In Bulgarien verbot Sofia im Oktober und November mehrere friedliche Proteste von Bürgerinnen und Bürgern, die ein Ende der Feindseligkeiten im Gazastreifen und die Zulassung humanitärer Hilfe forderten. Unmittelbar nach dem 7. Oktober verbot eine Universität in Schweden politische Demonstrationen auf ihrem Campus. Dieses Verbot erstreckte sich auch auf Einzelpersonen, die sich in Gruppen versammelten und ihre politische Meinung für Passanten sichtbar zum Ausdruck brachten, sowie auf das Anbringen von politischen Plakaten. Der schwedische Bildungsminister, Mats Persson, unterstützte diese Entscheidung.

Auch die Verwendung bestimmter Slogans wurde eingeschränkt, was nicht nur die Versammlungsfreiheit, sondern auch die Meinungsfreiheit einschränken kann. In der Tschechischen Republik wurde in Prag eine pro-palästinensische Demonstration mit dem Slogan "Vom Fluss zum Meer" verboten. In Estland nahm die Polizei aufgrund dieses Slogans fünf Personen während einer Demonstration in Tallinn fest und brachte sie zur weiteren Befragung auf eine Polizeistation. Seit Oktober 2023 hat die Polizei in Ungarn alle Demonstrationen verboten, die dem Gedenken an die zivilen Opfer im Gazastreifen gewidmet sind. In Belgien gab es Berichte, dass die Brüsseler Polizei Menschen, die eine palästinensische Flagge auf der Straße trugen, aufforderte, diese zu verbergen.

Klimaaktivisten im Visier der Behörden

Auch im vergangenen Jahr haben die Behörden friedliche Klimademonstrationen gezielt ins Visier genommen. Ob es nun daran liegt, dass Politiker große Summen von der Autoindustrie oder der Industrie für fossile Brennstoffe erhalten, oder ob die lokalen Behörden Klimaaktivisten als lästig empfinden, wir haben keine Abschwächung der Protestverbote in diesem Bereich beobachtet. In den Niederlanden wurden im Januar sechs Klimaaktivisten von Extinction Rebellion (XR) verhaftet und ihre Häuser durchsucht. Sie wurden eine Woche vor einem geplanten friedlichen Protest, bei dem sie eine Straße in Den Haag blockieren wollten, unter dem Vorwurf der Aufwiegelung verhaftet, weil sie zur "XR-Straßenblockade" aufriefen.

Seit Ende 2022 haben mehrere Städte in Deutschland weitreichende Verbote für Klimaproteste verhängt, die bei Verstößen zu Geldstrafen von bis zu 3.000 € führen. München zum Beispiel verbot im Dezember 2022 fast einen Monat lang klimabezogene Proteste auf über 300 Straßen sowie für die gesamte Dauer der Internationalen Automobilausstellung im August 2023. Die schärfsten Einschränkungen erließ die Stadt Stuttgart mit einer Allgemeinverfügung, die alle unangekündigten Sitzstreiks von Klimaaktivisten von Juli 2023 bis zum Ende des Jahres verbot. Die Dauer dieses Verbots lässt ernsthafte Zweifel an seiner Verhältnismäßigkeit aufkommen.

In der Tschechischen Republik versuchte die Stadt Prag, die Aktivisten der letzten Generation einzuschränken, indem sie ihre Demonstrationsroute änderte, aber ein Gericht kippte diese Änderung. In Italien zielt der Gesetzentwurf Nr. 693 eindeutig auf Klimaaktivisten ab und versucht, ihr Recht auf Protest einzuschränken, unter anderem durch die Bestrafung von Verhaltensweisen, die bereits nach dem Strafgesetzbuch (Artikel 518-duodecimos) geahndet werden, wodurch das Sanktionssystem weiter verschärft wird. Auch in Belgien scheint ein Gesetzentwurf zur Einführung des neuen Straftatbestands der "böswilligen Untergrabung der Staatsgewalt" darauf abzuzielen, die Freiheiten von Klimaaktivisten zu beschneiden.

Liberties verurteilt alle ungerechtfertigten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Politisch motivierte, pauschale Protestverbote oder die selektive Anwendung von Einschränkungen sind undemokratisch und haben in der EU keinen Platz. Wir fordern die Regierungen der Mitgliedsstaaten auf, friedliche Proteste uneingeschränkt zu schützen, da sie nicht nur ein Grundrecht sind, sondern auch ein wichtiges Bindeglied zwischen den Menschen und ihren gewählten Repräsentanten darstellen.

Quellen

Lade den vollständigen Bericht hier herunter.

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Die bisherigen Berichte:

2023 2022 2021 2020


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