Zweiunddreißig europäische und internationale Menschenrechts- und Digitalrechtsorganisationen - darunter auch Liberties - haben im Vorfeld der am 6. und 7. Dezember 2018 stattfindenden Sitzung des Rates für Justiz und Inneres einen offenen Brief an die Minister gerichtet. Die Unterzeichner äußern ihre Besorgnis über den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine "Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet". In seiner jetzigen Form verstößt der Vorschlag gegen die Charta der Grundrechte und enthält keine evidenzbasierten Maßnahmen, die erforderlich wären, um die erklärten Ziele der Verordnung zu erreichen.
Weder gerechtfertigt noch notwendig
In dem Schreiben werden die Entscheidungsträger darauf aufmerksam gemacht, dass die im März 2017 verabschiedete Richtlinie zur Bekämpfung des Terrorismus bereits ähnliche Bereiche abdeckt wie der derzeit diskutierte Anti-Terror Vorschlag. Weil aber viele Mitgliedstaaten die oben genannte Verordnung noch gar nicht umgesetzt haben, konnte ihre Wirksamkeit auch noch nicht analysiert werden.
"Ohne den Nachweis, dass die bestehenden Gesetze und Maßnahmen, insbesondere die oben genannte Richtlinie, nicht ausreichen, um die durch terroristische Inhalte im Internet ausgelösten Gefahren zu bekämpfen, kann die vorgeschlagene Verordnung nicht als gerechtfertigt und notwendig angesehen werden", heißt es in dem Schreiben.
In dem Brief wurde auch erörtert, wie die vorgeschlagene Verordnung die Meinungs- und Informationsfreiheit in Europa gefährdet. Zunächst einmal ist die Definition des Begriffs "terroristische Inhalte" in der Verordnung äußerst vage und weit gefasst. Dies erhöht unter anderem das Risiko einer willkürlichen Entfernung von Online-Inhalten, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Journalisten geteilt oder veröffentlicht werden.
'Chilling Effect'
Experten sind besorgt wegen der geforderten "proaktiven Maßnahmen" bei Hosting-Diensten, die höchstwahrscheinlich zur Anwendung von automatisierten Lösungen führen und das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne Korrekturmechanismen gefährden würden.
In der Verordnung wird von einer sofortigen Entfernung von Inhalten durch nicht näher bestimmte "zuständige Behörden" innerhalb einer Stunde nach ihrer Veröffentlichung gesprochen, ohne vorherige Genehmigung oder Aufsicht durch Gerichte. Dies wird die Diensteanbieter höchstwahrscheinlich zu übertriebenem Handeln veranlassen, um zu vermeiden, dass diese "zuständigen Behörden" ihnen sagen, welche Inhalte sie zu entfernen haben.
Dies bedeutet, dass eine massive Menge an legalen Inhalten entfernt wird, insbesondere wenn Unternehmen liberalere Nutzungsbedingungen anwenden, die bereits solche Inhalte einschränken, die zwar abstoßend oder unbeliebt, aber eben noch nicht rechtswidrig sind. Paradoxerweise wird diese abschreckende Wirkung auf die freie Meinungsäußerung im Internet auch die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden untergraben, für die terroristische Beiträge nützliche Quellen bei Ermittlungen sein können.