"Wir haben noch einmal alle Fälle betrachtet, bei denen wir in letzter Zeit über Ungarn gesprochen haben, und das Kollegium der Kommissare hat einstimmig beschlossen, dass es notwendig ist, einen politischen Dialog mit Viktor Orbán und seiner Regierung zu führen, über die Richtung, welche das Land einschlägt", sagte Frans Timmermans am Mittwoch bei einem ungeplanten Auftritt im Pressebereich der Europäischen Kommission.
Und obwohl die EU, wie Liberties aus Brüsseler Quellen erfahren hat, aufgrund von Druck durch die Europäische Volksparte von einem rechtskräftigen Verfahren nach Artikel 7 abgesehen hat, sagte Timmermans, dass alle Mitgliedsstaaten Artikel 2 des EU-Vertrags einhalten sollten, der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte als Gründungswerte der EU auflistet.
EU-Vertrag Artikel 7: 1. Auf begründeten Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Europäischen Kommission kann der Rat mit der Mehrheit von vier Fünfteln seiner Mitglieder nach Zustimmung des Europäischen Parlaments feststellen, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht.
Die EU-Kommission prüft derzeit nicht nur die Änderung des Hochschulgesetzes, sondern auch das vorgeschlagene Gesetz über die Finanzierung von NGOs (auch „Gesetz über ausländische Agenten“), das neue Asylrecht, das Anfang März verabschiedet wurde, und die Diskriminierung von Romakindern im Bildungssystem.
Eine Liste der offenen Fragen zu Ungarn
"Den Gesetzentwurf, der von Mitgliedern der Regierungspartei zu ausländisch finanzierten Nichtregierungsorganisationen eingereicht wurde, haben wir sehr deutlich auf unserem Radar", sagte der niederländische Kommissar. "Es können legitime Gründe des öffentlichen Interesses bestehen, um die Transparenz der Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen zu gewährleisten, aber alle Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und dürfen innerhalb der EU keine unangemessene Diskriminierung schaffen."
"Wir haben auch über das neue Asylrecht gesprochen, das auch ernsthafte Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem EU-Recht aufwirft", sagte Timmermans, der versprach, schnell zu handeln, wenn es keine rechtzeitigen Änderungen gibt und die EU-Kommission keine positiven Entwicklungen sieht.
Schließlich schenkt das Kollegium auf dem Gebiet der Gleichberechtigung und der Nichtdiskriminierung weiterhin den Themen Diskriminierung von Roma-Kindern im Bildungssystem sowie dem Schutz schwangerer Frauen besondere Aufmerksamkeit.
Europäische Kommisson hält "an seinen Waffen fest"
Laut dem ersten Vizepräsidenten werden alle diese Themen Teil eines breiteren politischen Dialogs sein, den die Kommission initiieren wird und der das Europäische Parlament und den Rat einschließt. Timmermans forderte auch die EU-Mitgliedsstaaten auf, zusammenzuarbeiten und den Dialog aufrechtzuerhalten und er versprach, dass die EU "an ihren Waffen festhalten" und alles tun werde, was rechtlich fundiert und begründet ist. Allerdings stellte er nicht in Aussicht, dass die Kommission ihr Rechtsstaatlichkeitsverfahren auslösen werde, was das formelle Instrument der Untersuchung wäre und welches vor kurzem in Bezug auf Polen angewandt wurde. Es gibt keine "systemische Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit" in Ungarn, erklärte er.
Er verwies auf Artikel 2 des EU-Vertrags und sagte, dass dieser für alle Mitgliedstaaten gelte, auch wenn sie das EU-Recht nicht anwenden. Auf der Grundlage dieses Artikels stimmten die Kommissare zu, alle im Rahmen der Verträge zur Verfügung stehenden Instrumente anzuwenden zur Wahrung der Werte, auf denen die Europäische Union gegründet wurde.
"EU-Vertrag, Artikel 2: Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet."