Schon lange vor der Ankündigung vom Montag war vielen klar, dass die Europäische Kommission Polen vor den Europäischen Gerichtshof bringen würde, wegen eines Gesetzes, das die vorzeitige Pensionierung von 27 der 72 Richter des Obersten Gerichtshofs, einschließlich des Vorsitzenden, erzwingt. Dieses Gesetz ist nur die letzte einer langen Reihe rückschrittlicher Maßnahmen, mit denen die Regierung der Partei 'Recht und Gerechtigkeit', die Ende 2015 an die Macht kam, versucht die Gerichte unter staatliche Kontrolle zu bringen.
Keine Zeit zu warten
Wer die Situation verfolgt wird vielleicht wissen, dass Polen im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 7 von anderen Regierungen im Rat der EU geprüft wird. Mehr darüber, was Artikel 7 beinhaltet, erklären wir hier. Um das Verfahren nach Artikel 7 voranzubringen, müssen mindestens 22 Regierungen für eine Entschließung stimmen, die bestätigt, dass die Situation in Polen als eine ernsthafte Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit darstellt. Die Kommission ist sich nicht sicher, ob sie über die entsprechenden Zahlen verfügt, da einige Regierungen befürchten, dass, wenn sie Artikel 7 gegen Polen vorantreiben, sie selbst als nächstes dran sein könnten. Weil aber die Zwangspensionierung von hohen Richtern der Justiz des Landes irreversiblen Schaden zufügen würde, war darauf zu warten, dass die EU-Regierungen etwas sinnvolles unternehmen, nicht wirklich eine Option.
Anstatt es den EU-Regierungen zu überlassen, ihr gemeinsames Gewissen zu finden, hat die Kommission den Gerichtshof beauftragt, dieses neueste Gesetz zu prüfen, damit die Richter der EU über seine Rechtmäßigkeit entscheiden können. Allerdings kann die Beilegung von Fällen Jahre dauern, deshalb hat die Kommission einen weiteren Schritt unternommen. Sie hat den Gerichtshof aufgefordert, eine einstweilige Verfügung ("einstweilige Maßnahme") zu verhängen, durch die die polnische Regierung aufgefordert wird, das Gesetz auf Eis zu legen, bis das luxemburgische Gericht ein endgültiges Urteil fällen kann.
Das fragliche Gesetz trat am 3. April dieses Jahres in Kraft und ermöglicht es den betroffenen Richtern, eine Verlängerung ihrer Amtszeit um weitere drei Jahre zu beantragen. Aber die Befugnis, diesem Antrag stattzugeben, liegt beim Präsidenten Polens. Der Präsident kann den Nationalrat für das Justizwesen zu diesem Beschluss konsultieren. Dessen Ansichten sind jedoch nicht rechtsverbindlich, und der Justizverwaltungsrat selbst entspricht sowieso nicht den europäischen Normen für die Unabhängigkeit der Justiz – weshalb er Anfang diesen Monats auch vom Europäischen Netzwerk der Räte für das Justizwesen suspendiert wurde. In der Praxis hat der Präsident also das volle Ermessen, welcher der Richter, die in den Ruhestand gehen, weiterhin im Amt bleiben darf.
Urteil könnte Druck erzeugen
Worin besteht der Zusammenhang zwischen Artikel 7 und diesem Gerichtsverfahren?
Die Kommission hat Ende letzten Jahres Artikel 7 ausgelöst, weil die polnische Regierung es abgelehnt hatte, eine der Empfehlungen umzusetzen, die ihr in zweijährigen Verhandlungen im Rahmen eines weniger formellen Verfahrens, des "Rechtsstaatsrahmens", gegeben wurden. Am 18. September veranstalteten die EU-Minister ihre zweite Anhörung zu Polen im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 7, und Warschau zeigte wenig Bereitschaft, die von der Kommission geäußerten Bedenken zu berücksichtigen. In einem Versuch, die lange Liste der schädlichen Änderungen der Regierung rückgängig zu machen, wird dieses Verfahren parallel zum Gerichtsverfahren fortgesetzt.
Der Vorteil, den Fall vor den EU-Gerichtshof zu bringen, anstatt darauf zu warten, dass die Regierungen das Problem politisch lösen, besteht darin, dass es für die polnische Regierung schwieriger sein wird, ein negatives Gerichtsurteil gegen sie als politische Verschwörung zu verkaufen. Und wenn das EU-Gericht feststellt, dass Polen gegen EU-Regeln verstößt - und Polen sich daraufhin, wie bereits angekündigt, weigert, dem Urteil zu folgen - dann übt dieses Verhalten weiteren Druck auf jene Regierungen aus, die zögern, über Artikel 7 abzustimmen. Die gesamte EU-Rechtsordnung für Handel, Reisen und andere Formen der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen hängt davon ab, dass sich alle Länder an die Urteile der EU-Gerichte halten. Jede Regierung, die in dieser Situation Artikel 7 nicht unterstützen will, würde die Rechtsordnung untergraben, von der letztlich das Funktionieren der EU abhängt.