Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat geurteilt, dass Italien der Verletzung von Artikel 3 der Menschenrechtskonvention (Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe) für die extreme polizeiliche Gewalt während des G8 Gipfels von Genua schuldig ist.
Der Fall, Bartesaghi Gallo and Others v. Italy,, betraf das Schlagen und Festhalten von 42 Demonstranten in einer Schule, die als Hauptquartier für zivilgesellschaftliche Aktivisten und andere friedliche Demonstranten diente. Mit dem Urteil wertete das Gericht die Misshandlungen gegen sie als Folter.
Die Ereignisse jenes Juli sind vielen noch schmerzlich präsent und sie sie sind ein Schandfleck für die Polizei, die Gemeinde Genua und die italienische Regierung, die noch nicht entschlossen genug gehandelt hat, um die Verantwortlichen für die schweren Verbrechen, die sich während des Gipfels ereigneten, zu verfolgen.
Was war passiert
Der G8-Gipfel fand vom 19. bis 21. Juli 2001 in Genua statt und brachte Vertreter aus den acht am stärksten industrialisierten Ländern zusammen. Als kritische Antwort auf den Gipfel versammelten sich viele italienische und ausländische NGOs in dem sogenannten "Genua Sozialforum", um als Gruppe gegen die G8 zu protestieren.
Die Sicherheitsmaßnahmen in der Stadt waren extrem hoch, da die örtlichen und nationalen Verwaltungen befürchteten, dass Märsche und Proteste in Vandalismus und Straßenkämpfe eskalieren könnten, höchstwahrscheinlich durch einen bekannten "schwarzen Block" von Demonstranten. Diese Gruppe war keine NGO oder Vereinigung, sondern eher ein loser Zusammenschluss von Anarchisten und teilweise gewaltbereiten Personen.
Am 20. Juli waren die Proteste wegen der Beteiligung dieser Gruppe stärker geworden, und die schweren Zusammenstöße mit der Polizei warfen ganze Stadtteile ins Chaos.
Polizei und Demonstranten stoßen während des Gipfels zusammen. Ganze Teile von Genua waren von der Gewalt betroffen. (Bild: Ares Ferrari)
Am nächsten Tag wurde ein neuer Polizeibeamter für die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung in Verantwortung gesetzt und dieser beschloss, die Polizeipatrouillen zu reorganisieren, um ein stärkeres Gefühl von Autorität und Strenge zu vermitteln.
Die Polizei ging an der Armando Diaz Schule vorbei, die damals das vorübergehende Hauptquartier des Genua Sozialforums war, wo sich Vertreter von NGOs und viele andere mit Genehmigung der Gemeinde aufhielten.
Die Anwesenheit der Polizei löste starke verbale Reaktionen von den Anwesenden in der Nähe der Schule aus. Infolgedessen entschieden die Beamten anscheinend spontan, den Bereich um die Schule abzusperren, um die Durchsuchung der Schule vorzubereiten, angeblich um Beweise für die Anwesenheit von Demonstranten des „schwarzen Blocks“ sicherzustellen.
Brennende Autos in Montevideo, Genua. Am Ende des Gipfels erinnerten einige Stadtteile an eine Kriegszone. (Bild: Ares Ferrari)
Einheiten der Aufstandspolizei wurden beauftragt, das Gebiet zu sichern und zu verhindern, dass jemand entkam. Die Anzahl an Polizisten, die in insgesamt bei der Schule eingesetzt wurden, betrug etwa 500 Mann.
Die Polizei drang gegen Mitternacht in die Schule ein, drohte, schlug und verletzte mit Schlagstöcken alle die sich im Inneren aufhielten, unabhängig davon, dass die meisten von ihnen immer noch in ihren Schlafsäcken waren oder ihre Arme hochhielten und Ausweisdokumente zeigten.
Dieser Gewaltausbruch verursachte viele schwere Verletzungen. Einige Leute wurden auch in Polizeigewahrsam genommen und zur Polizeistation gebracht, wo Drohungen und Demütigungen durch Polizeibeamte fortgesetzt wurden.
Blutflecken an den Wänden der Diaz-Schule nach dem Polizeirazzia im Juli 2001.
Der Fall in Straßburg
Der EGMR war mit den Ereignissen vertraut, bevor er den Fall von Bartesaghi anhörte: Im Jahr 2015 stellte er fest, dass die Aktivitäten der Polizei gegen einen bestimmten Protestierenden beim Genua G8 Folter war.
Das Straßburger Gericht stellte die gleiche unmenschliche Behandlung im Fall Bartesaghi Gallo and Others v. Italy fest. Auch hier habe Italien erneut die Menschenrechtskonvention verletzt und das Land sollte jedes Opfer mit einer Summe zwischen 45.000 und 55.000 Euro entschädigen.
Nach diesem Urteil forderte die Organisation Antigone, die schon seit langem fordert, dem italienischen Strafgesetzbuch ein Gesetz gegen die Folter hinzuzufügen, das Parlament dazu auf, eine Sonderkommission zu bilden, um die Ereignisse während der Genua G8 Proteste zu untersuchen und schließlich die Verantwortlichkeiten für das unentschuldbare Verhalten der Behörden zu bewerten.
Aber Italiens Strafgesetz fehlt immer noch ein richtiges Verbrechen, um sie zu bestrafen: Das Gesetz, mit dem das Verbrechen der Folter in das italienische Recht verankert würde, wartet auf die Zustimmung der Abgeordnetenkammer. Patrizio Gonnella, der Vorsitzende von Antigone sagt dazu:
"Das Parlament darf nicht mehr warten, es muss ein geeignetes und anwendbares Gesetz verabschieden, das die internationalen Konventionen respektiert. Identifikationscodes für Polizeibeamte müssen sofort eingeführt werden, das kann man auch ohne Gesetz machen."