Menschenrechtsorganisationen fordern die EU-Gesetzgeber auf, Artikel 17 des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes abzulehnen, da dieser eine ernsthafte Bedrohung für die Medienfreiheit darstellen würde und von skrupellosen Akteuren missbraucht werden kann.
Im September 2022 hat die Europäische Kommission offiziell den Vorschlag für das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA) angenommen. Ziel der Verordnung ist es, den Schutz der Medienfreiheit und des Pluralismus in der gesamten Europäischen Union zu gewährleisten.
Artikel 17 des Entwurfs sieht ein sogenanntes "Medienprivileg" vor. Es würde Medienanbietern erlauben, sich selbst als solche zu deklarieren und bestimmte Privilegien zu erhalten. Das würde unter anderem bedeuten, dass sehr große Online-Plattformen (VLOPs - Very large online Platforms) wie Facebook oder Twitter, die sich entscheiden, von Medien eingestellte Inhalte zu entfernen, eine ausführliche Erklärung abgeben müssen, warum diese entfernt wurden. Diese Information muss übermittelt werden, bevor der Inhalt tatsächlich entfernt wird.
Neben anderen Problemen ist der Selbsterklärungsmechanismus fehlerhaft und könnte leicht von skrupellosen Medienakteuren missbraucht werden, die Propaganda und Desinformationen verbreiten wollen. In einigen EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Polen werden sogar die öffentlich-rechtlichen Medien von den regierenden politischen Parteien vereinnahmt und in eine Propagandamaschine verwandelt. Diese Medien würden eine privilegierte Behandlung erfahren. Gleichzeitig wird zivilgesellschaftlichen Organisationen oder anderen Einrichtungen, die die Öffentlichkeit informieren wollen, dieses Privileg vorenthalten.
Das Problem liegt vor allem in der Art und Weise, wie die Inhalte auf VLOPs kuratiert werden. Online-Plattformen verwenden Algorithmen, um zu entscheiden, welche Art von Inhalten sichtbarer ist, je nachdem, was ihnen mehr Geld einbringt, z. B. durch Werbeeinnahmen. Für die Anbieter von Mediendiensten besteht die Gefahr, dass sie an Sichtbarkeit und damit an Traffic verlieren, weil letzlich immer die VLOPs darüber entscheiden, was wir in unseren Social Media Feeds zu sehen bekommen. Die Art und Weise, wie große Plattformen den Medienmarkt verändert haben, ist ein großes Problem, das durch Artikel 17 nicht gelöst wird. Im Gegenteil, es ist notwendig, verschiedene Inhalte gleich zu behandeln und sich um mehr Transparenz bei der Art und Weise zu bemühen, wie Inhalte kuratiert und moderiert werden.
Deshalb fordert eine Gruppe von NGOs die Mitgesetzgeber der Europäischen Union auf, Artikel 17 abzulehnen. Lies die vollständige Stellungnahme.
STELLUNGNAHME ZU ARTIKEL 17 DES VORGESCHLAGENEN EUROPÄISCHEN MEDIENFREIHEITSGESETZES
Die unterzeichnenden zivilgesellschaftlichen Organisationen sind zutiefst besorgt über Artikel 17 des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (European Media Freedom Act, EMFA), der den sogenannten Vorschlag für ein "Medienprivileg" enthält. In diesem Sinne fordern wir die gesetzgebenden Organe der EU auf, Artikel 17 in seiner jetzigen Form vollständig abzulehnen.
Wir sind uns bewusst, dass die derzeitige Machtasymmetrie zwischen Mediendienstanbietern (Media Service Provider, MSP) und sehr großen Online-Plattformen (Very Large Online Platforms, VLOPs) ausgeglichen werden muss. Es ist wichtig, sich damit zu befassen, wie die Steuerung von Inhalten durch Algorithmen die öffentliche Rolle der Medien verändert. Gesunde Newsfeeds in den sozialen Medien sind eine Voraussetzung für den Zugang zu verlässlichen Informationen, und die VLOPs sind für ihre Algorithmen sowie für ihre Richtlinien zur Kuratierung und Moderation von Inhalten verantwortlich. Außerdem sollten die Geschäftsmodelle der Online-Plattformen das öffentliche Interesse an Qualitätsjournalismus berücksichtigen.
Artikel 17 des EMFA schlägt einen Mechanismus vor, bei dem die Identifizierung eines MSP auf einer Selbstdeklaration beruht (Artikel 17 (1)). Das vorgeschlagene System der Vorabanmeldung von selbsterklärten Medien führt de facto zu schnellen, intransparenten Verfahren für bestimmte privilegierte Akteure, die sich sehr negativ auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit auswirken und damit sogar skrupellosen Akteuren die Tür öffnen, die den demokratischen öffentlichen Diskurs verzerren wollen. Das Gesetz über digitale Dienste verlangt bereits Maßnahmen zur Eindämmung der systemischen Risiken, die durch den Betrieb von VLOPs entstehen. Deshalb gefährdet das Schnellverfahren in Artikel 17 die Wirksamkeit des Gesetzes für digitale Dienste, denn es zersplittert die horizontalen Vorschriften und überfrachtet sie mit neuen Verfahren.
Medienakteure sollten grundsätzlich keine Sonderbehandlung erhalten, wenn es um die Moderation ihrer Inhalte geht, die sie auf sehr großen Online-Plattformen teilen. Außerdem wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einigen EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Polen von den regierenden politischen Parteien vereinnahmt und zu einer reinen Propagandamaschine umgebaut. Nach dem derzeitigen Wortlaut von Artikel 17 würden solche Medienakteure sogar noch eine privilegierte Behandlung erfahren. Außerdem würde die Tatsache, dass Artikel 17 den VLOPs einen Ermessensspielraum bei der Bewertung der Integrität und Zuverlässigkeit der Selbsterklärung der Mediendiensteanbieter einräumt, diesen noch mehr Macht bei der Gestaltung des öffentlichen Raums übertragen, als sie ohnehin schon haben.
Artikel 17 konzentriert sich in erster Linie auf die Moderation von Inhalten und bezieht sich dabei auf das Einschränken oder Aussetzen der Bereitstellung von VLOP-Diensten in Bezug auf die vom MSP bereitgestellten Inhalte. Allerdings stellen die algorithmusgesteuerte, auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Kuratierung von Inhalten sowie die Monopolisierung der globalen digitalen Werbemärkte durch VLOPs eine viel ernstere Bedrohung für den Medienpluralismus und die Vielfalt der Inhalte dar. MSPs und ihre Verleger/innen stehen vor finanziellen Schwierigkeiten, weil die Sichtbarkeit und der Traffic ihrer Inhalte zurückgehen. Sie sind anfällig für die algorithmische Kuratierung von Inhalten durch VLOPs, die die Bedingungen für die Kuratierung aller Online-Inhalte diktieren, einschließlich redaktioneller Medien und Nachrichteninhalte. Die in Artikel 17 vorgeschlagenen Maßnahmen, die eine privilegierte Behandlung von Medieninhalten vorsehen, sind keine angemessene Antwort auf das Hauptproblem, um das es geht: VLOPs haben die Struktur und das Gleichgewicht des Medienmarktes verändert und haben somit direkte Auswirkungen auf den pluralistischen öffentlichen Raum.
Aus diesem Grund sollten sich alle Anstrengungen darauf konzentrieren, den DSA durchzusetzen und insbesondere die systemischen Risiken im Zusammenhang mit der Meinungs- und Informationsfreiheit, Desinformation, algorithmischer Verstärkung und der Bereitstellung von Inhalten zu mindern, und Artikel 17 des EMFA ablehnen.
Januar 2023
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Die vollständige Stellungnahme kann hier heruntergeladen werden.
Liberties’ Take To Make Media Freedom Stronger In The EU: EMFA Policy Brief