Der Zustand von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hat sich in vielen europäischen Ländern verschlechtert, so der neue Liberties-Bericht 'EU 2020: DEMANDING ON DEMACRACY'. Der Bericht, in dem auf 14 EU-Länder eingegangen wird, entstand auf Anregung der Kommission, die ihr zweites jährliches Audit der demokratischen Bilanz der EU-Länder vorbereitet.
Einige Länder, die sonst eher mit schwerwiegenden Mängeln auffallen, wie die Tschechische Republik, die Slowakei und Rumänien, erwägen Reformen, die möglicherweise zu einigen Verbesserungen führen werden. Insgesamt verweist der Bericht aber auf eine Reihe alarmierender Tendenzen, die in vielen EU-Ländern zu beobachten sind und das gilt auch für manche Länder, mit einer traditionell starken demokratischen Bilanz. Und autoritäre Regierungen in Ungarn, Polen und Slowenien haben die Pandemie zum Vorwand genommen, um ihre Bemühungen zum Abbau demokratischer Standards zu verstärken
Es wird immer schwieriger für Journalisten, Aktivisten und Bürgerinitiativen, ihre Arbeit zu machen
Der politische Druck auf die Medienfreiheit steigt. Besonders besorgniserregend ist die Situation in der Tschechischen Republik, in Ungarn, Polen und Slowenien. In Slowenien zum Beispiel werden Journalisten regelmäßig bedroht und sind Verleumdungskampagnen ausgesetzt. Viele zensieren sich inzwischen selbst, um Schikanen oder Gewalt zu vermeiden. Konzerne und Regierungen versuchen auch zunehmend, Recherchen und Kampagnen von Journalisten und Aktivisten zu verhindern, indem sie das Rechtssystem für sogenannte strategische Klagen gegen die Öffentlichkeit (Strategic Lawsuits Against Public Participation, kurz SLAPPs) missbrauchen. Dieses Problem ist in vielen Ländern auf dem Vormarsch, darunter Kroatien, Italien und Slowenien.
Mehrere Regierungen haben es den Bürgern zunehmend erschwert, sich an ihren Demokratien zu beteiligen. Beschleunigte Gesetzgebungsverfahren, die während der Pandemie eingeführt wurden, haben dazu geführt, dass es weniger Konsultationen zu neuen Gesetzen und politischen Maßnahmen gibt. Die Taktik der Verleumdungskampagnen gegen Rechts- und Demokratiegruppen hat sich über Ungarn und Polen hinaus auch auf Kroatien, die Slowakei und Slowenien ausgeweitet. In Ländern wie Deutschland und Irland bedrohen veraltete Vorschriften für gemeinnützige Organisationen die Fähigkeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs), Kampagnen zu führen.
Einige Regierungen benutzen auch das Strafrecht, um gegen die freie Meinungsäußerung vorzugehen. So wurden beispielsweise Aktivisten und Künstler in Spanien strafrechtlich verfolgt, weil sie satirische Karikaturen veröffentlicht, eine Flagge verbrannt oder während eines Protests mit religiösen Symbolen provoziert haben.
Die Rechtsprechung: ein Schritt vor, zwei Schritte zurück
In Ländern wie Bulgarien, Ungarn und Polen wurde die Unabhängigkeit der Justiz weiter eingeschränkt, und auch in anderen Ländern wird sie zumindest in Frage gestellt. Anlass zu Sorgen gibt es zum Beispiel in Irland und Spanien, was die Integrität der Justiz und die Transparenz der Berufungen angeht.
In vielen Ländern gibt es weiterhin einen hohen Rückstau an Fällen, da die unterfinanzierten Gerichte immer länger brauchen, um Recht zu sprechen. Der Vorstoß zur Digitalisierung der Justizsysteme ist eine mögliche Lösung für dieses Problem. Wenn bei der Digitalisierung jedoch nicht alles richtig gemacht wird, besteht die Gefahr, dass sich die Probleme mit der Fairness von Strafverfahren in Ländern wie Italien, Polen, der Slowakei und Spanien eher noch verschärfen.
Neue Regeln für Gerichtsgebühren in Bulgarien und der Tschechischen Republik und schlechte Prozesskostenhilfesysteme in Rumänien und Spanien erschweren ebenfalls den Zugang zur Justiz und einem fairen Prozess.
Zu unentschlossen im Kampf gegen Korruption, zu viele systemische Rechtsverletzungen
In einer Reihe von Ländern ist Korruption nach wie vor ein gravierendes Problem. Bestimmte Verfahren, die die Aufsicht durch NROs behindern, lassen vermuten, dass die Behörden nicht bereit sind, Transparenz und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten, wie z. B. in Bulgarien und Frankreich.
Mehrere EU-Länder leiden unter weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen. In Ungarn und Polen rudern die Regierungen bei der Gleichstellung von Frauen und LGBTQI-Personen zurück und verbreiten gleichzeitig eine spaltende, nationalistische Rhetorik. Spanien zeigt die Symptome von strukturellem Rassismus, einschließlich Racial Profiling und Polizeibrutalität, und in Kroatien kommt es zu Pushbacks und Gewalt gegen Migranten.
Die Reaktionen auf COVID-19 haben bestehende Probleme verschärft.
Die COVID-19-Pandemie hat zweifellos einen Anteil an der Schwächung der Rechtsstaatlichkeit gehabt. Die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um den Ausbruch der Krankheit zu bekämpfen, haben Demokratie und Rechte in der gesamten EU beeinträchtigt. Die Freiheiten der Menschen wurden beschnitten, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Einige Maßnahmen sind sicherlich notwendig, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Aber unser Bericht zeigt, dass mehrere Regierungen den zivilen Raum, die Medienfreiheit und die demokratische Beteiligung unverhältnismäßig stark eingeschränkt haben.
Gesetze wurden oft im Schnellverfahren erlassen. Im Gegensatz zu normalen Gesetzgebungsverfahren sind diese nicht transparent und lassen keine Konsultationen mit der Öffentlichkeit oder mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zu. Selbst in Ländern mit starken Traditionen der demokratischen Partizipation, wie Irland, Deutschland und Schweden, war das zu beobachten.
Diese Probleme waren oft gepaart mit schwerwiegenden Einschränkungen des Zugangs zu Informationen, Hindernissen für die Medienberichterstattung, unverhältnismäßigen Einschränkungen des Rechts auf Protest und Zensur im Namen des Kampfes gegen 'Fake News'. Zusammengenommen haben solche Praktiken Journalisten, Aktivisten und Bürger ernsthaft daran gehindert, zu beobachten, den Wählern zu berichten und die Bedenken der Bürger darüber zu äußern, wie Regierungen und Unternehmen ihre Macht nutzen. Dies ist besonders beunruhigend während einer Krise, in der es entscheidend ist, dass Regierungen rechenschaftspflichtig sind und auf die Bevölkerung eingehen, wenn es um die Frage geht, wie sie öffentliche Mittel zur Bekämpfung der Pandemie einsetzen.
Autoritäre Muster
In den schlimmsten Fällen können wir eine kalkulierte Strategie erkennen, um die demokratische Kontrolle zu schwächen, Korruption zu erleichtern und denGriff nach der Macht zu zementieren. Regierungen mit autoritären Tendenzen in Ungarn, Polen und Slowenien schwächen systematisch die Justiz, die Medien und die Zivilgesellschaft, um sie daran zu hindern, sie vor gesetzlichen Standards und ihren Bürgern in die Pflicht zu nehmen.
Zu diesen Schritten gehören: die politische Berufung von RichterInnen und das Diskreditieren oder Sanktionieren von RichterInnen, die versuchen, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen; das Verleumden, Stigmatisieren und Kappen der Finanzierung von Rechts- und Demokratiegruppen; das Einschränken des Rechts auf Protest; das Schikanieren und zum Schweigen bringen von JournalistInnen und AktivistInnen, die Korruption und Missstände aufdecken; das Angreifen von Randgruppen als Sündenböcke; und das Platzieren der Medien in den Händen von Verbündeten, um die öffentliche Debatte zu kontrollieren.
Was die EU tun muss
Der EU kommt eine entscheidende Rolle beim Schutz unserer Demokratien zu. Indem sie eine regelmäßige Überprüfung der demokratischen Verhältnisse in den EU-Ländern in die Wege leitete, hat die Europäische Kommission einen wichtigen Schritt getan. Aber das allein reicht noch nicht aus, um diese alarmierenden Tendenzen umzukehren. Die EU muss endlich anfangen, den einzelnen Ländern klare Handlungsempfehlungen auszusprechen, Regierungen, die der Rechtsstaatlichkeit schaden, ernsthaft zu sanktionieren und Journalisten und Aktivisten, die die Demokratie vor Ort fördern und schützen, wirklich zu unterstützen.
Über den Bericht
Der Bericht deckt 14 EU-Länder ab. Es handelt sich um die umfassendste Untersuchung dieser Art durch ein NGO-Netzwerk, das die Entwicklungen im Jahr 2020 abdeckt. Der Bericht wurde von Liberties zusammen mit unseren Mitglieds- und Partnerorganisationen erstellt, um die diesjährige Konsultation der Europäischen Kommission über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der EU zu unterstützen.
Lade hier den vollständigen Bericht herunter - EU 2020: Demanding on Democracy