Im Jahr 2014 teilten zwei Männer das Foto eines Kusses in den sozialen Medien. Das Foto löste homophobe, zum Hass aufstachelnde Kommentare aus, woraufhin sich die beiden Männer an die Lithuanian Gay League (LGL) wandten, die den Fall wiederum an die Generalstaatsanwaltschaft weiterleitete.
Artikel 170 des Strafgesetzbuches der Republik Litauen verbietet die Aufstachelung zu Hass oder Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Die LGL hat im Zusammenhang mit dem Foto 31 strafrechtliche Vorfälle in den sozialen Netzwerken angezeigt.
Der Generalstaatsanwalt weigerte sich, Anklage zu erheben
Die Generalstaatsanwaltschaft leitete keine Ermittlungen in dieser Angelegenheit ein. Gegen die Entscheidung wurde Berufung eingelegt, aber auch das angerufene Gericht entschied, dass kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden müsse. Der Oberste Gerichtshof Litauens stellte später fest, dass "die Mehrheit der Litauer die traditionellen Familienwerte schätzt". Artikel 38 der Verfassung sehe vor, dass die Familie die Grundlage der Gesellschaft und des Staates sei. "Familie, Mutterschaft, Vaterschaft und Kindheit werden durch den Staat geschützt; die Ehe kann von einem Mann und einer Frau aus freiem Willen geschlossen werden, [...] in diesem Fall sollte und muss die Person, die das Foto zweier sich küssender Männer veröffentlich, wissen, dass ein solch exzentrisches Verhalten mit Sicherheit nicht dazu beiträgt, dass Mitglieder der Gesellschaft mit unterschiedlichen Standpunkten einander verstehen und tolerieren können".
Die LGL wendet sich im Namen der beiden Männer an den EGMR
In der Klageschrift wird geltend gemacht, dass das Versäumnis Litauens, gegen die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung vorzugehen, das Recht der Kläger auf Achtung des Privatlebens sowie ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletzt habe. Die LGL schlug vor, den Antrag in Verbindung mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot der Konvention zu prüfen. Im Jahr 2017 beschloss der EGMR, den Fall zu prüfen, der als Pijus Beizaras and Mangirdas Levickas v. Lithuania bekannt wurde.
Im Januar 2020 entschied das Gericht, dass Litauen durch die Weigerung, die Beschwerden der Kläger über Hassreden in sozialen Medien zu untersuchen, diese aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert hatte. Das Gericht ordnete an, dass Litauen jedem Kläger 5.000 Euro an immateriellen Schadenersatz zu zahlen habe, plus weitere 5.000 Euro an beide Kläger zusammen, um ihre Prozesskosten zu decken. Der EGMR entschied, dass auf diese Beträge einfache Zinsen zu einem Zinssatz in Höhe des Spitzenrefinanzierungssatzes der Europäischen Zentralbank während des Verzugszeitraums zuzüglich drei Prozentpunkte zu zahlen sind.