Im Jahr 2017 gelang es zum ersten Mal seit Beginn des Demokratisierungsprozesses einer Partei, die sich mit ihrem politischen Verhalten offen den Grundprinzipien der Demokratie und der Menschenrechte entgegenstellt, Teil einer Regierungskoalition zu werden. Mit Hilfe von Hassrede und aggressivem Auftreten gegenüber bestimmten gefährdeten Gruppen der bulgarischen Gesellschaft schüren die Rechtsextremen die Angst der Menschen, um so auf Stimmenfang zu gehen.
Auch das Medienumfeld hat sich verschlechtert. Eine unüberschaubare Menge an Falschmeldungen, Verleumdungen und Manipulationen hat zu einer gravierenden Einschränkung und Diskreditierung zivilgesellschaftlicher Menschenrechts-Organisationen geführt.
Diese Faktoren haben den Umgang der Regierung mit den schwächsten Gruppen unserer Gesellschaft, wie Frauen, Menschen mit Behinderungen, LGBTI, sowie Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten, maßgeblich beeinflusst, so das Fazit des Jahresberichts des Bulgarian Helsinki Committee (BHC).
Das BHC erstellt seit 1992 solche Berichte.
"Insgesamt war 2017, was den Schutz der Menschenrechte betrifft, ein Jahr der Stagnation und in einigen wichtigen Bereichen beobachten wir auch eine deutliche Verschlechterung. Die Behörden und die offiziellen Institutionen in Bulgarien sind taub für die Menschenrechte. Die bulgarische Zivilgesellschaft und die Gruppen, die die Rechte schutzbedürftiger Menschen schützen, konnten mit ihren Bedenken kein Gehör finden. Das Stellt uns für 2018 vor eine große Aufgabe.", sagte Krasimir Kanev, Vorsitzender des BHC.
Das BHC listet für das Jahr 2017 folgende Problembereiche (und Verbesserungen) in Bulgarien auf:
- Im Jahr 2016 unterzeichnete Bulgarien das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention).Ende 2017 wurde jedoch eine Verleumdungs- und Manipulationskampagne in Bezug auf den Inhalt dieses internationalen Vertrags gestartet, die zum Rückzug der Ratifizierung führte. Die Istanbul-Konvention garantiert höchste Standards für die Prävention und den Schutz vor Gewalt gegen Frauen. Die Nichtannahme dieses internationalen Vertrags hat zu einem gravierenden Einbruch beim Schutz der Frauenrechte geführt.
- Zwangsräumungen von Roma aus ihren Wohnungen und Häusernwaren auch 2017 weiterhin ein ernstes Problem in Bulgarien. Die Situation hat sich durch einen deutlichen Anstieg des Rassismus verschärft, insbesondere in Form von öffentlichen Äußerungen. Rassistische Handlungen werden oft von extremen Nationalisten in der Regierung inspiriert oder unterstützt. Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in der Rechtssache Yordanova and others v. Bulgariasind 6 Jahre vergangen, aber es wurden keine Maßnahmen ergriffen, um die Anforderungen des Straßburger Gerichts umzusetzen. In dem Verfahren ging es um die erzwungene Zerstörung von Roma-Häusern.
- Die stetige und dramatische Verschlechterung der Meinungsfreiheit in Bulgarien setzte sich 2017 fort.Das Jahr war geprägt von beispiellosem politischem Druck, Drohungen und Angriffen auf Journalisten und Medien.
- Bei der Untersuchung der Todesfälle von 238 Kindern in Heimen für Kinder mit geistiger Behinderung konnten keine Fortschritte erzielt werden.Die Fälle wurden bei einer gemeinsamen Untersuchung der Staatsanwaltschaft und des BHC in den Jahren 2010-2011 aufgedeckt. Im Dezember 2017 forderte der UN-Ausschuss gegen Folter die bulgarische Regierung auf, die Untersuchungen wieder aufzunehmen. Bis Ende 2018 muss die Regierung einen Bericht mit den Ergebnissen veröffentlichen.
- Die lang erwartete Reform des Stafvollzugs für Jugendliche wurde 2017 nicht eingeleitet.Obwohl dies im offiziellen Programm der neuen Regierung verankert war, wurde der Gesetzentwurf über Änderungen bei der Strafverfolgung von Jugendlichen und mögliche Alternativen eingeführt.
- Der Prozess der Deinstitutionalisierung ist weiter ins Stocken geraten.Vor allem für behinderte Kinder unter drei Jahren wird in diesem Bereich kaum etwas unternommen. Der Staat ist weit von seinem Ziel entfernt, die Zahl der Kinder in Heimen bis 2020 um 30 % zu senken.
- Die seit vielen Jahren beobachtete Tendenz, Reden zuzulassen, zu billigen und sogar zu loben, die zum Hass aufstachelnoder sogar zu Gewalt gegen einige der schwächsten Gruppen der Gesellschaft aufrufen, hat sich im Jahr 2017 fortgesetzt. Im Oktober wurde der Vorsitzende der ultranationalistischen NFSB-Partei, Valeri Simeonov, der derzeit stellvertretender Premierminister und Vorsitzender des Nationalen Rates für Zusammenarbeit in ethnischen und Integrationsangelegenheiten ist, wegen einer Anti-Roma-Hassrede verurteilt.
- Im Bereich der Religionsfreiheit gab es keine Fortschritte. Die Vereinigten Patrioten, eine Koalition, die Teil der Regierung ist, haben dem Parlament einen Gesetzentwurf gegen den "radikalen Islam" vorgelegt. Wenn dieser Entwurf angenommen wird, wird er die Religionsfreiheit vieler Konfessionen, vor allem aber der Muslime in Bulgarien, erheblich einschränken. Im Jahr 2017 erlebten wir eine Reihe von Angriffen auf Moscheen sowie eine Zunahme antisemitischer Handlungen.
- Die Situation der Null-Integration von Flüchtlingen in Bulgarien dauert bereits das vierte Jahr in Folge an.Darüber hinaus berichteten Asylsuchende während des gesamten Jahres 2017 wiederholt über Vorfälle von verbaler und körperlicher Feindseligkeit sowie über direkte Angriffe und Raubüberfälle in der Nähe ihrer Wohnanlagen. Diese Taten werden nie untersucht. Die Zahl der Asylbewerber in Bulgarien ist aufgrund der drakonischen Kontrollmaßnahmen, die die Türkei an ihren Grenzen eingeführt hat, stark zurückgegangen.
- In der Frage der LGBTI-Rechte wurden keine wesentlichen Fortschritte erzielt.Diese Menschen brauchen Schutz, weil sie zu denen gehören, die am stärksten von Gewalt und Belästigung betroffen sind. Sie haben keinen Zugang zu Bildung für die spezifischen Belange der sexuellen und reproduktiven Gesundheit ihrer Gemeinschaften. Außerdem erkennt die bulgarische Gesetzgebung gleichgeschlechtliche Paare nicht an. Ein weiteres noch fortdauerndes Problem ist die Tatsache, dass homophobe und transphobe Vorfälle fast nie gemeldet werden. Das Strafgesetzbuch erkennt immer noch keine Hassverbrechen an, die sich direkt auf die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität beziehen.
- Die illegale Anwendung von Gewalt durch Justizvollzugsbeamte bleibt ein ernstes Problem.Ein Viertel der vom BHC befragten Häftlinge gab an, während ihrer Haft Opfer von Polizeigewalt geworden zu sein. Im Allgemeinen bleiben diese Missbräuche ungestraft. Auch im Jahr 2017 wurden keine Maßnahmen in Bezug auf die Empfehlungen ergriffen, die der Europäische Anti-Folter-Ausschuss in einer öffentlichen Erklärung im Jahr 2015 abgegeben hat.
- Der zivile Zugang zu geschlossenen Anstalten, um die Menschenrechtslage dort zu überwachen wurde eingeschränkt. Den Experten des BHC wurde der Zugang zu den Internaten des Landes sowie zu psychiatrischen Kliniken und Heimen für die medizinische und soziale Betreuung von Kindern verwehrt. Die Überwachungsarbeit des BHC und anderer unabhängiger Organisationen hatte in der Vergangenheit systemische Verstöße in diesen Institutionen aufgedeckt, die erst anerkannt wurden, als sie an die Öffentlichkeit kamen.
- Gegenüber dem Vorjahr ist 2017 die Zahl der noch laufenden Überprüfungen hinsichtlich der Umsetzung von EGMR Urteilen gesunken.262 gegenüber 291. Die Fälle, für die die Überwachung im Laufe des Jahres eingestellt wurde, sind jedoch vor allem solche, die relativ trivial sind. Die Fälle, in denen es um schwerwiegende strukturelle Menschenrechtsprobleme in Bulgarien geht, werden weiterhin aufmerksam beobachtet.
- Im Jahr 2017 verbesserten sich die Haftbedingungen.Es wurden Gesetzesänderungen beschlossen, um die Hauptprobleme der bulgarischen Gefängnisse zu bekämpfen: Überfüllung, schlechte materielle Bedingungen und schlechte Hygiene. Die Gefängnisse führten weiterhin wichtige Reparaturen und Renovierungen durch. Im Laufe des Jahres wurden neue Flügel für die Gefängnisse in Varna, Sliven und Belene eröffnet. Die Gefangenen haben nun mehr Möglichkeiten, die sie betreffenden Handlungen der Verwaltung in Frage zu stellen.