Von Ende Dezember 2017 bis Mitte März 2018 hat das Liberties Mitglied The Helsinki Foundation for Human Rights 20 Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende von Gerichten, die vom Justizminister in Folge der Änderung des Gerichtsgesetzes vom Juli 2017 entlassen wurden, interviewt.
Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass das Entlassungsverfahren nicht auf einer umfassenden Bewertung der jeweiligen Situation an den Gerichten beruht haben kann. Die Berufung neuer Vorsitzender habe meist andere Gründe als deren Eignung oder Verdienste gehabt und die Änderungen seien nicht geeignet, zur Verbesserung der Effizienz des Justizsystems beizutragen.
Entlassungen von Gerichtsvorsitzenden und Stellvertretern
Fast alle Befragten (19/20) erwarteten, von ihren Aufgaben entbunden zu werden. In vier Fällen wussten die befragten Juristen aufgrund der "Signale", die sie von ihren Kollegen erhalten hatten, dass ihre Entlassungen bevorstanden.
"Vor der Entlassung wurde einer unserer Interviewpartner von fünf anderen, ihm bekannten, Richtern angerufen. Sie erzählten ihm, dass sie von Personen mit angeblichen Verbindungen zum Justizministerium angesprochen worden seien. Diese hätten ihnen vorgeschlagen, die bald freiwerdenden Posten des betroffenen Richters zu übernehmen. Alle fünf hätten allerdings abgelehnt", sagt Małgorzata Szuleka, ein Autor des Berichts.
Sämtliche Befragten wurden in schriftlichen Form per Fax entlassen. In allen Fällen hatte die Entlassung ein rückwirkendes Datum, was zu Unsicherheiten hinsichtlich der Gültigkeit der Urteile der entlassenen Richter in dem Zeitraum (meist ein Tag) zwischen dem angegebenen Entlassungsdatum und dem Datum, an dem die sie das Fax erhalten haben, führte.
In den meisten Fällen ging die Entlassung mit der Ernennung eines neuen Vorsitzenden Richters einher. Nach Ansicht der befragten Juristen spielten bei der Suche nach Kandidaten Konsultationen mit Richtern keine Rolle. Vielmehr seien diese eher nach sozialen Verbindungen anderen und nichtfachlichen Kriterien ausgewählt wurden.
"Angesichts der Dynamik der auf der Website des Justizministeriums veröffentlichten Änderungen und relevanten Veröffentlichungen ist es wahrscheinlich, dass die Gerichtsvorsitzenden erst ersetzt wurden, als ein Ersatz gefunden war", bemerkt Szuleka.
Geänderte Gesetze versus Verfahrenseffizienz
Im Gegensatz zu den offiziellen Erklärungen beschäftigt sich keine der durch die Novelle des Gerichtsgesetzes herbeigeführten Änderungen tatsächlich mit der Lösung der bekannten zentralen Problemen des polnischen Justizwesens.
"Das Ministerium begründete die Änderungen mit der Behauptung, diese seien notwendig, um die Bearbeitung der anhängigen Verfahren zu beschleunigen", sagt Dr. Barbara Grabowska-Moroz, die den Bericht mitverfasst hat. "Ein Wechsel des Vorsitzes eines Gerichts kann, im Gegensatz zu der Besetzung freier Stellen, Verfahren jedoch nicht beschleunigen. Seit Ende 2016 ist die Zahl der offenen Stellen sehr hoch, aber das Ministerium weigert sich, Bewerbungsverfahren einzuleiten."
Wie die Verfasser des Berichts abschließend feststellen, kann man angesichts des Fehlens eines Zusammenhangs zwischen den eingeführten Änderungen und den entscheidenden Problemen der Justiz davon ausgehen, dass der Änderung des Gerichtsgesetzes keine hinreichend genaue Analyse der Situation an den Gerichten vorausgegangen ist.
Auswirkungen der Änderung des Gerichtsgesetzes
Die Ergebnisse des Berichts zeigen, dass die Änderungen des Gerichtsgesetzes Gerichtsverfahren nicht beschleunigen werden. Die überwiegende Mehrheit der Befragten gab an, die neuen Vorsitzenden hätten zugesagt, dem Managementmodell ihrer Vorgänger treu zu bleiben.
Die Änderung kann auch den Schutz der Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern beeinträchtigen. "Man kann nicht wirklich von einer Politisierung der Gerichte sprechen, aber man kann durchaus argumentieren, dass die Gesetzesänderung einen Mechanismus schafft, der es Politikern ermöglicht, der Justiz ins Handwerk zu pfuschen", warnt Dr. Grabowska-Moroz.
Der HFHR-Bericht enthält Empfehlungen für Einrichtungen wie die Europäische Kommission. Nach Ansicht der Helsinki-Foundation sollte die vollständige Rücknahme der "Reformen" des Gerichtssystems aus dem Jahr 2017 durch die Regierung als unbedingte Voraussetzung für die Einhaltung der von der Europäischen Kommission im Rahmen des Rechtsstaatlichkeitsverfahrens vorgelegten Empfehlungen angesehen werden.
Die HFHR wird weiter beobachten, wie sich die Veränderungen im Justizwesen auswirken. "Im Herbst planen wir eine Folgestudie, die unter anderem Interviews mit entlassenen Leitern von Gerichtsabteilungen sowie eine Analyse des Systems der Zuweisung von Fällen beinhaltet", sagt HFHR-Vizepräsident Maciej Nowicki.
Der Bericht ist hier verfügbar.