"Die modernen europäischen Demokratien können ohne eine wirklich unabhängige Justiz nicht funktionieren. Die polnischen Regierungsbehörden sollten weitere Schritte unternehmen, um die volle Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen, und alles tun, um Zwietracht und Blockaden zu überwinden, die noch immer das Funktionieren und die Glaubwürdigkeit einiger Justizbehörden beeinträchtigen. Richter und Staatsanwälte müssen vor übermäßigem Druck geschützt werden."
Mit diesen Worten verabschiedete sich Dunja Mijatović, die für Menschenrechte zuständige Kommissarin des Europarates, vor einigen Tagen zum Abschluss eines fünftägigen Besuchs in Polen, bei dem sie sich mit den Themen Unabhängigkeit der Justiz und der Staatsanwaltschaft befasste.
Diese Stimme des Europarates spiegelt auch die Meinung der Europäischen Kommission wider. Das Exekutivorgan der EU warnte am 19. Februar, sie werde gegen die Warschauer Regierung vorgehen, wenn diese weiterhin polnische Richter schikaniert, die den Europäischen Gerichtshof (EuGH) konsultieren. Die Kommission bezog sich damit auf einen Brief, in dem sie von Polens größtem Richterverband, Iustitia, zur Unterstützung bei der Verteidigung der Freiheit der Justiz aufgefordert wurde.
"Jeder polnische Richter ist immer auch ein europäischer Richter, deshalb sollte sich niemand in das Recht eines Richters einmischen, Fragen an den Europäischen Gerichtshof zu richten", sagte Frans Timmermans, der erste Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Beauftragter für Justiz und Rechtsstaatlichkeit.
Was kommt als nächstes?
Im Dezember letzten Jahres urteilte der EuGH, dass Polen die Justizreform, die ein vorgezogenes Rentenalter, 65 statt 70, für Richter am Verfassungsgericht vorschreibt, mit sofortiger Wirkung und bis zu einem endgültigen Gerichtsurteil aussetzen muss. Nach dem neuen Gesetz hätten sie nur mit Zustimmung des Präsidenten über dieses Alter hinaus im Amt bleiben dürfen. Die vorgeschlagene Maßnahme hätte 40 Prozent der Richter des Gerichts, einschließlich des Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs, in den Vorruhestand gezwungen.
Polens Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) steht aufgrund ihrer Justizreformen bereits seit Anfang 2016 in Konflikt mit der Kommission. Das vergangene Jahr markierte jedoch einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der EU und Polen. Im Juli 2018 antwortete der EuGH auf eine Anfrage eines irischen Gerichts über die Unabhängigkeit des polnischen Justizsystems und legte fest, dass ausländische Gerichte prüfen müssen, ob Verdächtige bei einer Auslieferung nach Polen dem Risiko eines unfairen Prozesses ausgesetzt sind. Diese Einschätzung ist in den Beziehungen zwischen den Justizsystemen zweier EU-Länder bisher beispiellos.
Der Streit um die Rechtsstaatlichkeit eskalierte erstmals im Dezember 2017, als die Europäische Kommission gegen Polen wegen Änderungen im Justizsystem des Landes das so genannte Verfahren nach Artikel-7 einleitete.
Angesichts der angespannten politischen Situation vor den Europawahlen ist die Rechtsstaatlichkeitsfrage in letzter Zeit zu einem wichtigen Wahlkampfthema geworden, dies gilt vor allem in Bezug auf Polen und Ungarn.
Dennoch werden die Sanktionsverfahren gegen Polen und Ungarn, mit denen den dort festzustellenden Demokratiedefiziten und der fehlenden richterlichen Unabhängigkeit begegnet werden könnte, im Ministerrat zurückgehalten. Gründe dafür sind, neben Verfahrensfragen, das Fehlen eines politischen Konsenses und die Zurückhaltung Rumäniens, das derzeit die rotierende Ratspräsidentschaft innehat.
Von daher ist die Kommission insbesondere wenn es um Polen geht stark daran interessiert, vom luxemburgischen Gericht rechtliche Wegweisungen sowie Legitimation zu erhalten.
Am vergangenen Dienstag hielt der EuGH eine siebenstündige Anhörung zu drei anhängigen Fällen zum Thema Rechtsstaatlichkeit und Lage der polnischen Justiz ab. Der Generalstaatsanwalt des EuGH wird am 23. Mai eine Stellungnahme abgeben, darauf folgt die endgültige Gerichtsentscheidung. Quellen, mit denen Liberties im Rahmen der Luxemburger Anhörung sprechen konnte, schlossen aus den gestellten Fragen, dass die rechtlichen Argumente der EU-Befürworter von den Richtern gut aufgenommen wurden.
Polens Bürgerbeauftragter: Der Kampf um die Unabhängigkeit der Justiz ist noch lange nicht entschieden.
Der polnische Bürgerbeauftragte für Menschenrechte, Dr. Adam Bodnar, warnte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz im Europäischen Parlament, dass der Kampf für die Unabhängigkeit der polnischen Justiz noch lange nicht beendet sei. "Man kann kein loyales Mitglied der EU sein, ohne eine unabhängige Justiz zu haben. Die gegenseitige Zusammenarbeit von Justizsystemen, Gerichten und Staatsanwaltschaften hängt stark von den Rechtsnormen und der Wirksamkeit und dem reibungslosen, unabhängigen Funktionieren der Justiz ab."
Bodnar wies auch darauf hin, dass die Entscheidung des EuGH aus dem vergangenen Jahr, den vorzeitigen Ruhestand polnischer Verfassungsrichter auszusetzen, "in Polen heftig gefeiert wurde" und, dass sie "ohne die Unterstützung der polnischen Zivilgesellschaft so nicht gefallen wäre, weshalb sie starke Unterstützung von Bürgern und unpolitischen Akteuren erhielt". Bodnar begrüßte auch den gemeinsamen Bericht der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) und der Batory Foundation (Joint report of the European Stability Initiative (ESI) and the Batory Foundation), der am Mittwoch in Brüssel vorgestellt wurde und sich vor allem auf die Disziplinarmaßnahmen gegen polnische Richter konzentriert.
Einer der Autoren des ESI-Berichts, Piotr Buras, warnte, dass ein polnischer Richter, der heute einen Fall behandelt, der entweder politisch sensibel ist, oder Interessen prominenter Parteien oder Regierungspersonen betrifft, nicht vor externen Eingriffen oder Druck geschützt sei.
Dem ESI-Bericht zufolge kann der zuständige polnische Minister nach geltendem Recht Richtern drohen, sie drängen oder bestrafen, wodurch es "neue Disziplinarmaßnahmen der Regierung allzu einfach machen, Einfluss auf die Justiz zu nehmen".
Aus diesem Grunde wird die Europäische Kommission in dem Bericht aufgefordert, unverzüglich ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, um die Unabhängigkeit der Gerichte wiederherzustellen. Das Verfahren sollte sich auf die neue Disziplinarordnung für Richter konzentrieren, um deren Unabhängigkeit bei der Arbeit wiederherzustellen.
Buras führte weiterhin aus, dass angesichts des laufenden Europawahlkampfs der Zeitpunkt für eine solche Maßnahme alles andere als ideal sei. Dennoch zeige das Aussetzen der Entlassung von Verfassungsrichterrichtern, dass die EU und ihre Bürger trotz der fraglichen Wirksamkeit der derzeit verfügbaren Rechtsinstrumente zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit durchaus Grund zur Hoffnung haben, dass ihre Grundrechte gewahrt werden.