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Denk an den Seufzer der Erleichterung, den du ausstößt, wenn du nach Hause kommst, die Tür hinter dir schließt und dich auf die Couch fallen lässt. Endlich bist du allein. Aber stell dir vor, du müsstest Angst haben, in deinem eigenen Zuhause ausspioniert zu werden. Die Tatsache, dass jemand alles was du tust beobachtet, deine Nachrichten liest und deine Telefonate abhört, wäre ein eklatanter Eingriff in dein Privatleben.
Das mag wie die Handlung eines dystopischen Romans klingen, aber wir müssen nicht auf Fiktion zurückgreifen, um uns vorzustellen, wie es wäre, unter Massenüberwachung zu leben. Vier Jahrzehnte lang, bis 1990, führte das Ministerium für Staatssicherheit, die Stasi, Akten über die Bevölkerung in Ostdeutschland und in seinem Auftrag spionierten sich Freunde und Familienmitglieder gegenseitig aus.
Der Schutz der Privatsphäre ist ein Grundrecht und wird als wesentlich für Individualität und ein Leben in Würde angesehen. Durch die Schaffung einer von anderen getrennten Sphäre, in der wir autonome Entscheidungen treffen können, gibt uns das Recht auf Privatsphäre den Raum, wir selbst zu sein und persönliche Freiheit zu leben. Es gibt uns die Kontrolle über unsere persönlichen und vertraulichen Informationen, denn wir entscheiden, welche Details wir über uns preisgeben und wie viele Informationen wir mit anderen teilen. Es erlaubt uns, Informationen frei auszutauschen, nachzudenken und unsere eigenen Schlüsse zu ziehen, wenn es um die großen Fragen der Gesellschaft geht - wie, oder von wem, sie geführt wird und nach welchen Gesetzen und Moralvorstellungen wir leben wollen.
Das Recht auf Privatsphäre ist jedoch kein absolutes Recht und es kann unter bestimmten Umständen eingeschränkt werden. Im Rahmen der EU-Grundrechtecharta können Einschränkungen zum Beispiel im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit sowie der Verbrechensverhütung gerechtfertigt sein - allerdings müssen die Einschränkungen in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko stehen.
Die Ursprünge des Rechts auf Privatsphäre
Der Begriff der Privatsphäre tauchte erstmals in philosophischen Diskussionen auf. Aristoteles unterschied zwischen der privaten Sphäre, die sich auf das persönliche und familiäre Leben bezieht, und der öffentlichen Sphäre, dem sozialen Raum, in dem politische Debatten geführt werden. Diese Betonung des Heims als Ort der persönlichen Freiheit wurde im 17. Jahrhundert im englischen Common Law festgeschrieben, als Sir Edward Coken erklärte: "Das Haus eines jeden ist für ihn wie sein Schloss".
Die Überzeugung, dass die Privatsphäre ein Menschenrecht ist, wurde erstmals 1890 in einem Artikel von Samuel D. Warren und Louis. D. Brandeis formuliert, zwei jungen Juristen aus den Vereinigten Staaten. Mit Blick auf die zunehmenden Eingriffe der Medien in das Privatleben der Menschen beschrieben sie das Recht auf Privatsphäre als "das Recht, in Ruhe gelassen zu werden" und argumentierten, dass seine Rechtsgrundlage in der bestehenden Rechtsprechung zu finden sei.
Obwohl die meisten Länder das Recht auf Privatsphäre anerkennen, gibt es keine allgemein anerkannte Definition der Privatsphäre und des rechtlichen Schutzes, den sie bietet. Dies ermöglicht eine flexible Auslegung dessen, was das Recht auf Privatsphäre unter bestimmten Umständen bedeutet. Und die Umstände werden wiederum stark von historischen Entwicklungen beeinflusst.
Die Bedeutung und Legitimität der Privatsphäre als Rechtsgrundsatz hat sich im 20. Jahrhundert gefestigt. Artikel 12 der 1948 verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiert das Recht auf Privatsphäre. Die Entwicklung der Technologie in dieser Zeit führte auch dazu, dass sich das Konzept der Privatsphäre weiterentwickelte und persönliche Informationen mit einbezogen wurden. Unternehmen, öffentliche Dienste und die tägliche Kommunikation wurden zunehmend digitalisiert, nachdem der Besitz eines Computers und eines Mobiltelefons zur Norm geworden war. Durch die zunehmende Abhängigkeit von digitalen Werkzeugen wurden unsere persönlichen Daten immer leichter zugänglich und damit anfälliger für Missbrauch.
Damit war die rechtliche Definition der Privatsphäre, die sich vor allem auf den Schutz der privaten Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger vor staatlichen Eingriffen konzentrierte, überholt. Im Jahr 1967 erweiterte Alan Westin in seinem bahnbrechenden Text "Privacy and Freedom" die Definition von Privatsphäre, indem er sie als "den Anspruch von Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen, selbst zu bestimmen, wann, wie und in welchem Umfang Informationen über sie an andere weitergegeben werden", formulierte.
Auch die europäischen Gerichte haben eine prägende Rolle bei der Erweiterung der rechtlichen Definition der Privatsphäre und dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor staatlichen Eingriffen gespielt, nämlich durch ihre Auslegung des Rechts auf Privatsphäre. Um einige Beispiele zu nennen: 1978 erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) an, dass beim Einsatz geheimer Überwachungstechnologie die nationalen Sicherheitsinteressen gegen diese abgewogen werden müssen. Sechs Jahre später, im Jahr 1984, stellte der EGMR fest, dass das Abhören von Telefongesprächen einer Person durch den Staat ohne gesetzliche Erlaubnis eine Verletzung ihres Rechts auf Privatsphäre darstellt. Diese Entscheidung trug dazu bei, den Grundsatz zu etablieren, dass das Abhören privater Kommunikation durch den Staat mittels verdeckter Maßnahmen eine Rechtsgrundlage und angemessene Schutzmaßnahmen erfordert.
Warum ist Privatsphäre wichtig?
Der Schutz der Privatsphäre ist für das Funktionieren der Demokratie unerlässlich, denn er schafft den Raum, in dem die Bürgerinnen und Bürger zusammenkommen und wichtige gesellschaftliche Themen diskutieren können, ohne sich selbst zu zensieren. Sie ermöglicht es uns, frei zu denken und zu sprechen, damit wir uns unsere eigenen Meinungen und Überzeugungen bilden können, auch wenn diese gegen den Status quo und die Regierung gerichtet sind. Das macht es möglich, eine politische Bewegung aufzubauen, um Probleme in der Gesellschaft anzugehen, wie z. B. Proteste für ein Verbot der Nutzung fossiler Energieträger oder ein Ende der Gewalt gegen Frauen. Minderheiten und Risikogruppen, die diskriminiert oder von der Regierung ins Visier genommen werden, verlassen sich auf die Anonymität von Online-Räumen, um Hilfe zu suchen oder Unterstützung in der Gemeinschaft zu finden.
Das wird jedoch unmöglich, wenn wir glauben, dass wir überwacht werden. Wenn wir befürchten, dass die Regierung unsere Gespräche abhört, trauen wir uns vielleicht nicht zu sagen, was wir wirklich denken, erst recht nicht, wenn es sich dabei um eine kontroverse Meinung handelt. Das hat einen abschreckenden Effekt und führt dazu, dass die Menschen sich selbst zensieren oder nur noch Meinungen äußern, die mit dem Status quo konform gehen. Das stoppt den Informationsfluss und führt zu einem Einheitsdenken, das es schwieriger macht, gegen Entscheidungen der Regierung zu protestieren, mit denen wir nicht einverstanden sind.
In Europa kam 2022 der Pegasus-Skandal ans Licht, als Journalisten aufdeckten, dass Ungarn, Polen, Spanien und Griechenland Spionagesoftware zur Überwachung einsetzten. Ein Bericht des Europäischen Parlaments enthüllte, dass die Pegasus-Spionagesoftware systematisch eingesetzt wurde, um Regierungskritische Bürgerinnen und Bürger zu überwachen, wie z. B. Journalisten, Aktivisten oder Oppositionspolitiker.
Wenn die Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten überwacht wird, hält das Quellen, die anonym bleiben wollen oder müssen, davon ab, mit den Medien zu sprechen, weil sie negative Konsequenzen, wie zum Beispiel den Verlust ihres Arbeitsplatzes, befürchten müssen. Dieser abschreckende Effekt hat zur Folge, dass illegale Aktivitäten oder Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit nicht gemeldet werden, was der Gesellschaft insgesamt schadet, unter anderem weil es skrupellosen Politikern oder Unternehmen leichter fällt, ihre schmutzige Arbeit fortzusetzen, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Wenn Aktivisten und zivilgesellschaftliche Organisationen verfolgt werden, wird es für sie schwieriger, Korruption aufzudecken und Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele 2024 in Paris wurden die bekanntlich ohnehin schon strengen französischen Datenschutzgesetze dahingehend angepasst, dass KI-gestützte Überwachungsinstrumente bestimmte Auffälligkeiten, wie zurückgelassene Gegenstände und Menschenansammlungen, erfassen können. Dies ist ein besorgniserregender Schritt hin zu einer allgemeinen Massenüberwachung. Wenn biometrische Daten gespeichert werden, müssen sie ordnungsgemäß gesichert, transparent verwendet und anschließend endgültig gelöscht werden. Bei Liberties haben wir über die Risiken des unkontrollierten Zugriffs von KI auf unsere Daten berichtet. Die neue französische Regierung muss sich für einen verantwortungsvollen Einsatz dieser neuen Technologien stark machen.
Welche Datenschutzgesetze gibt es in den verschiedenen Ländern?
In der Regel bilden die nationalen Datenschutzgesetze zusammen mit dem internationalen Recht einen gesetzlichen Rahmen zum Schutz des Rechts auf Privatsphäre. Das Recht auf Privatsphäre kann im internationalen Recht verankert sein, z. B. in Artikel 12 des UNHCR, in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und in Artikel 7 der Europäischen Charta der Grundrechte. Diese bieten einen grundlegenden Schutz, wie z. B. die Privatsphäre in der Wohnung und das Briefgeheimnis.
In den USA wird das Wort Privatsphäre nicht ausdrücklich in der Verfassung der Vereinigten Staaten erwähnt. Durch Gerichtsurteile wurde jedoch festgestellt, dass das Recht auf Privatsphäre implizit in anderen verfassungsrechtlichen Schutzbestimmungen enthalten ist. Dies wurde zur Rechtfertigung von Entscheidungen in einer Reihe von Fällen herangezogen, die die bürgerlichen Freiheiten betreffen. So wurde beispielsweise im Fall Griswold gegen Connecticut im Jahr 1965, der als Rechtsgrundlage für das Recht eines verheirateten Paares auf Verhütung diente, anerkannt, dass auch der erste, dritte, vierte und neunte Verfassungszusatz ein Recht auf Privatsphäre beinhalten.
In Irland wurde das Recht auf Privatsphäre unter ähnlichen Umständen festgeschrieben. In dem berühmten Fall McGee gegen den Attorney General, in dem eine verheiratete Frau gegen das Verbot von Verhütungsmitteln klagte, wurde das Recht auf Privatsphäre als eines der impliziten Rechte in Artikel 40.3.1 der irischen Verfassung verankert.
In der gesamten EU sorgt die Datenschutz-Grundverordnung dafür, dass deine persönlichen Daten sicher gespeichert und bei Bedarf gelöscht werden müssen, und gibt Einzelpersonen das Recht, auf die über sie gespeicherten Daten zuzugreifen, zu erfahren, wofür sie verwendet werden, und die Löschung der Daten zu verlangen. Diese Entwicklung ist von großer Bedeutung, da sie Big Tech einen Teil der Kontrolle entzieht. Dank dieses Auskunftsrechts können wir erfahren, ob Big Tech unsere Daten an Werbetreibende verkauft, ob sie von Hackern gestohlen oder sogar an Regierungen verkauft werden.
Wie wirkt sich die wachsende Präsenz der sozialen Medien auf das Recht auf Privatsphäre aus?
Die Diskussionen über den Schutz der Privatsphäre haben als Reaktion auf historische Entwicklungen, die die Unantastbarkeit unseres Privatlebens zu stören drohen, an Dynamik gewonnen. Die Bedeutung der Privatsphäre bleibt zwar unverändert, aber die Bedrohungen für unsere Privatsphäre sind ständig im Wandel und hängen stark mit der zunehmenden Präsenz von Technologie in unserem Leben zusammen. Unsere digitalen Geräte sind ein Fenster in unser Privatleben und machen uns anfälliger für Verletzungen der Privatsphäre. Soziale Medienkanäle haben das Teilen intimer Details über unser Privatleben im World Wide Web normalisiert und eine eigene virtuelle Identität geschaffen, die im Cyberspace existiert. Wie definieren wir Privatsphäre in einer Zeit, in der wir chronisch online leben?
Auch wenn wir persönliche Daten über uns selbst veröffentlichen, sind wir immer noch Eigentümer der Inhalte, die wir online stellen, und wir haben das Recht zu bestimmen, wer darauf zugreifen darf, indem wir unsere Privatsphäre kontrollieren. Dennoch wissen viele von uns nicht, welche persönlichen Daten gesammelt werden und zu welchem Zweck. Das gilt häufig sogar, wenn wir unser Einverständnis geben. Big Tech setzt perfide Taktiken ein, um Nutzer/innen unwissentlich dazu zu bringen, der Weitergabe ihrer Daten an Dritte zuzustimmen, ohne dass sie die Auswirkungen auf ihre Privatsphäre richtig verstehen.
Unsere persönlichen Daten sind auch anfällig für Datenschutzverletzungen. Wenn private Informationen aus unserem Profil auf eine Weise an Dritte weitergegeben werden, der wir nicht zugestimmt haben, verletzt dies unser Recht auf Privatsphäre. Nach einem Twitter-Hack im Juli 2022 wurden zum Beispiel nicht weniger als 200 Millionen E-Mail-Adressen von Nutzern im Dark Web geteilt, darunter auch E-Mail-Adressen von anonymen Twitter-Profilen. Da diese Informationen nicht öffentlich zugänglich waren, stellt dies neben anderen Verstößen auch eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre dar.
Genauso würden wir erwarten, dass unsere Direktnachrichten privat bleiben. Die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet bedrohen jedoch unser Recht auf Privatsphäre. Die vorgeschlagene Verordnung sieht vor, den Inhalt von Nachrichten zu überprüfen, bevor sie verschlüsselt und versendet werden, um Material über sexuellen Kindesmissbrauch zu identifizieren. Auch wenn die Absicht dahinter lobenswert ist, könnte dies autoritären Regierungen nur die Tür öffnen, um ihre Bürgerinnen und Bürger auszuspionieren, ohne dass dadurch Kinder tatsächlich wirksam geschütz würden.
Wie kann das Recht auf Privatsphäre gestärkt werden?
Wenn wir die Rolle des Datenschutzes in unserem täglichen Leben besser verstehen, können wir die notwendigen Schritte unternehmen, um ihn zu verteidigen. Wie in diesem Artikel erläutert wird, entstehen viele der dringlichsten Verletzungen der Privatsphäre durch die Art und Weise, wie wir unsere persönlichen Geräte, Smartphones und Laptops, benutzen. Diese Technologie ist komplex und entwickelt sich so rasant weiter, dass viele von uns Schwierigkeiten haben, die Auswirkungen auf unsere Rechte zu verstehen. Unternehmen und der Staat nutzen die Wissenslücke in der Bevölkerung aus. Sie benutzen irreführende Taktiken und absichtilch komplizierte Terminologie, um uns dazu zu bringen, der Verwendung unserer persönlichen Daten in einer Weise zuzustimmen, die unseren Interessen widerspricht und unsere Privatsphäre verletzt.
Aus diesem Grund konzentriert sich Liberties darauf, die Öffentlichkeit über das Recht auf Privatsphäre aufzuklären. Es gibt viele Instrumente zum Schutz unserer Privatsphäre, aber erstens müssen die Menschen wissen, dass es sie überhaupt gibt, und zweitens, wie sie sie nutzen können. Wenn wir so viel über unsere Telefone wissen, wie sie über uns, können wir uns gegen Praktiken wehren, die unser Recht auf Privatsphäre verletzen und der Gesellschaft schaden.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Stärkung der Gesetze und Vorschriften, die unsere Privatsphäre schützen. Durch unsere Lobbyarbeit hat Liberties die EU dazu gedrängt, starke Gesetze zum Schutz der Privatsphäre vor Big Tech einzuführen. So hat der Digital Services Act unser Recht auf Privatsphäre gestärkt, indem er die Verwendung von Dark Patterns verbietet, die uns dazu verleiten, unser Einverständnis zu geben, und Online-Plattformen dazu zwingt, es den Nutzern leichter zu machen, Überwachungswerbung zu stoppen.
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