Bereits zum vierten Mal hatten die Europa- und die Außenminister der anderen 27 EU-Staaten ihren polnischen Amtskollegen befragt, aber auch beim letzte Treffen in Luxemburg konnten die angeblichen Bemühungen Warschaus um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit niemanden beeindrucken. Nach Angaben von EU-Beamten werden die Bemühungen, Polen wegen angeblicher Rechtsverletzungen zu bestrafen, fortgesetzt, nachdem der Versuch der Regierung, sich zu verteidigen, gescheitert sei.
Der erste Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans, sagtenach der Sitzung des Rates: "Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Die systemische Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit bleibt bestehen. Damit wir also sagen können, dass es nicht mehr so weitergeht, brauchen wir noch ein paar Schritte von polnischer Seite."
Die Europäische Kommission hat Ende letzten Jahreserstmals das Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen einen Mitgliedstaat wegen Schwächung der demokratischen Kontrolle eingeleitet.
Damals nannte die EU-Kommission vier zentrale Anliegen im Zusammenhang mit den polnischen Reformen: Sie forderte, das Rentenalter für die derzeitigen Richter nicht zu senken, die Ermessensbefugnis des Präsidenten zur Verlängerung des Mandats der Richter des Obersten Gerichtshofs aufzuheben, das neue Ruhestandsregime für Richter, einschließlich der damit verbundenen Ermessensbefugnisse des Justizministers, abzuschaffen und die Unabhängigkeit und Legitimität des Verfassungsgerichtshofes wiederherzustellen.
Keine Zeichen des guten Willens aus Warschau
Trotz mehrfacher Verwarnungen und laufender Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof bestand der Vertreter der regierenden nationalistischen Regierung Polens darauf, dass sie im Rahmen ihrer souveränen Rechte und im Einklang mit der polnischen Verfassung handelt. Polens Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Konrad Szymański, der sich mehr als eine Stunde lang für die Verteidigung der umstrittenen Reformen einsetzte, kündigte nicht an, dass er die Absicht habe, die umstrittenen Reformen zu ändern oder aufzuheben.
Zu den Reformen gehört die Ermächtigung der polnischen Regierung, bis zu 40 Prozent der Richter des Obersten Gerichtshofs abzusetzen und dem Justizminister des Landes neue Befugnisse zur Disziplinierung der Richter zu übertragen. Das dringendste Anliegen der Europäischen Union ist zudem das Gesetz über den Obersten Gerichtshof, das am 3. Juli 2018 in Kraft treten wird.
In Anbetracht der rechtlichen Bedenken der EU und der zunehmenden Kritik von Bürgerrechtsgruppensieht sich die polnische Regierung innerhalb der Mitgliedsstaaten immer stärker isoliert. Dies ist besonders besorgniserregend angesichts der laufenden EU-Haushaltsverhandlungen für den kommenden Siebenjahreshaushalt, der 2021 beginnt, und der bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament 2019.
Polen isoliert, EU unentschieden
Das durch Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union ausgelöste Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU kann letztendlich zur Aussetzung der Stimmrechte Polens im Europäischen Rat führen. Diese sogenannte nukleare Option würde jedoch die Einstimmigkeit der anderen 27 EU-Länder erfordern, und Ungarn, ein Verbündeter Warschaus, hat sich verpflichtet, eine solche Entscheidung zu blockieren.
Die zögerliche Haltung der Warschauer Regierung gegenüber den von der EU geäußerten Bedenken unterstreicht noch einmal, wie sehr sich die EU bemüht, jene Mitgliedstaaten, welche ihre Rechte und Werte missachten, wieder ins Boot zu holen. Dennoch haben die Kommission und der Rat den Prozess vorerst vorangetrieben, um den Druck auf die Warschauer Regierung aufrechtzuerhalten.