Der Seimas, das Parlament Litauens, hat am 25. Juni die Bestimmungen über die Anwendung der Untersuchungshaft im Strafgesetzbuch angepasst.
Untersuchungshaft wird in Litauen außergewöhnlich häufig verhängt. Obwohl die Inhaftierung die strengste Option aller Strafmaßnahmen sein sollte, genehmigen die Gerichte des Landes in 95% aller beantragten Fälle ihre Verhängung oder Verlängerung. Auf diesem Gebiet ist Litauen führend in Europa und liegt gleichauf mit Kasachstan: Bis zu 2000 Menschen werden jährlich in Litauen inhaftiert bevor ein Urteil gefällt wurde, Untersuchungshaft wird 10 mal häufiger verhängt als eine Kaution und 50 mal häufiger als Hausarrest.
Berühmte Persönlichkeiten
In der Öffentlichkeit werden Untersuchungshaft und Strafvollzug häufig gleichgesetzt. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass Untersuchungshaft eine restriktive Maßnahme ist, die lediglich dazu dient, den störungsfreien Ablauf von Ermittlungen und Gerichtsverfahren sicherzustellen, es handelt sich nicht um eine gegen die Betroffenen gerichtete Strafmaßnahme.
Das Problem der exzessiven Anwendung der Untersuchungshaft fiel zum ersten Mal Ende 2012, Anfang 2013 auf, im Zusammenhang mit der Inhaftierung von zwei berühmten Persönlichkeiten, dem Lobbyisten Andrius Romanovskis und dem damaligen Generalsekretär des Litauischen Basketballverbandes, Mindaugas Balčiūnas. Polizeibeamte und Richter, die an Studien des Human Rights Monitoring Institute teilgenommen haben, gaben zu, dass die Untersuchungshaft häufig eingesetzt bzw. angeordnet wird obwohl klar ist, dass sie unter den gegebenen Umständen nicht zwingend notwendig wäre.
Fünf neue Maßnahmen
Letzte Woche hat der Seimas umfassende, den Umgang mit der Untersuchungshaft betreffende, Änderungen am Strafgesetzbuch verabschiedet. Dies sind die wichtigsten mit der Reform eingeführten Maßnahmen:
1: Wenn Richterinnen und Richter über den Antrag der Staatsanwaltschaft entscheiden, eine Untersuchungshaft bzw. die Verlängerung derselben zu verhängen, können sie diesen Antrag jetzt nicht mehr nur ablehnen oder annehmen, sondern auch eine angemessenere restriktive Maßnahme auswählen.
2. Richter und Richterinnen, die eine Untersuchungshaft anordnen sind jetzt ausdrücklich verpflichtet, die spezifischen Sachverhalte und Argumente darzulegen, die sie dazu bewogen haben anzunehmen, dass weniger strenge restriktive Maßnahmen in diesem Fall nicht ausreichend gewesen wären. Derzeit beschränkt sich das lediglich das auf eine formale Stellungnahme, dass weniger strenge Maßnahmen nicht ausreichend gewesen wären.
3. Der längstens zulässige Zeitraum für Untersuchungshaft in Ermittlungen bei geringfügigen oder minderschweren Verbrechen, wurde von 18 auf 9 Monate verkürzt, für Minderjährige wurde die Höchstgrenze von 12 auf 6 Monate gesenkt.
4. Berufungsanträge gegen die gerichtliche Anordnung von Untersuchungshaft werden nicht mehr von einzelnen Richtern oder Richterinnen eines höheren Gerichtes untersucht, sondern durch ein Gremium von drei Richtern und Richterinnen.
5. Wird die Verhängung von Untersuchungshaft als restriktive Maßnahme beantragt, muss die Anklage der Verteidigung in jedem Fall Zugang zu den, dem Antrag zugrundeliegenden, Ermittlungsmaterialien gewähren. Diese Anforderung gilt auch wenn vor Gericht der Einsatz anderer restriktiver Maßnahmen beantragt wird: intensive Überwachung, Hausarrest und die Verhängung von Annäherungsverboten.
Anwälte weisen auf die Notwendigkeit von Fortbildungen hin
"Die neue Aufmerksamkeit, welche die Probleme im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft erfahren, hat positive Ergebnissen gebracht, in den letzten Jahren wurde die Maßnahme spürbar seltener verhängt. 2014 haben wir die niedrigste Zahl der letzten zehn Jahre von solchermaßen Inhaftierten zu verzeichnen. Wir hoffen, dass die Änderungen zu einer effektiven Garantie des Rechtes auf ein faires Verfahren in Litauen beitragen werden.", kommentierte der Anwalt des HRMI, Karolis Liutkevičius die Reform.
Wir möchten darauf drängen, dass dies nicht nur auf rechtliche Reformen beschränkt bleibt. Polizeibeamte brauchen Fortbildungen, in denen der Sinn der Untersuchungshaft und der anderen restriktiven Maßnahmen erklärt wird und in denen ihr Bewusstsein für internationale Menschenrechtsstandards in diesem Bereich geschult wird.
Die Änderungen des Strafgesetzbuchs wurden vom Justizministerium vorgeschlagen und das Human Rights Monitoring Institute sowie Fair Trials International konnten sich aktiv in den Entwurfsprozess einbringen. Die Vorschläge dieser Organisationen wurden in den endgültigen Entwurf integriert.