In einer Reihe von Ländern bleibt das Korruptionsniveau alarmierend hoch. In Zeiten, in denen die Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme verzweifelt um die Versorgung der Bevölkerung kämpfen, ist das besonders beunruhigend. Während einer Pandemie führen die durch Korruption verschwendeten Steuergelder zu unnötigen Todesfällen und Härten, wie z.B. die Miete nicht bezahlen oder die eigenen Kinder nicht ernähren zu können.
Die Regierungen hätten ihre Bemühungen verstärken müssen, um der Korruption entgegenzuwirken und um sicherzustellen, dass sie die Maßnahmen gegen Covid-19 nicht untergräbt. Stattdessen haben viele die Informationsfreiheit behindert, Justizsysteme zusammenbrechen lassen und Aufsichtsmechanismen geschwächt. Und dies hat es korrupten Politikern und Unternehmen ermöglicht, die Pandemie auszunutzen, um mehr Reichtum für sich und ihre Freunde anzuhäufen.
Autoritäre Extremfälle
In einigen extremen Fällen ist dies Teil einer Gesamtstrategie von Regierungen mit autoritären Tendenzen, um Kontrollmechanismen zu demontieren und ihren Griff nach der Macht zu zementieren. Diese Regierungen nutzten die Pandemie sogar aus, um ihr Vorgehen gegen demokratische Prinzipien zu beschleunigen. In Ungarn hat ein Bericht kürzlich aufgedeckt, wie Business-Kreise, die Premierminister Orbán nahestehen, während der Epidemie große Geldsummen bewilligt bekamen, ohne die üblichen Vergabeverfahren zu befolgen. Die Regierung ist sogar so weit gegangen, die Verfassung zu ändern, um den Missbrauch öffentlicher Gelder leichter verbergen zu können.
In Polen kann man sich nicht mehr auf die Justiz verlassen, wenn es darum geht, Korruptionsfälle zu untersuchen und zu verfolgen. Das liegt an den Bemühungen der Regierungspartei, die richterliche Unabhängigkeit zu demontieren und unliebsame Richter mit einem sogenannten Maulkorbgesetz einzuschüchtern. Jetzt drängt die Regierung auch noch darauf, dass ihr Kandidat den Posten des Kommissars für Menschenrechte übernimmt. Dabei handelt es sich um einen der letzten verbliebenen unabhängigen Beobachter des Landes.
Es brennt an allen Ecken und Enden.
Aber es sind nicht nur diese extremen Fälle, die uns Sorgen machen sollten, so der vor einer Woche veröffentlichte neue Liberties-Bericht "EU 2020: DEMANDING ON DEMOCRACY". Einige Länder haben halbherzige Bemühungen unternommen, ihre Anti-Korruptionssysteme zu verbessern, wie die Tschechische Republik und Italien. Aber im Allgemeinen lassen die Regierungen in der gesamten EU ihre Bürger im Kampf gegen die Korruption im Stich, indem sie die Institutionen und Standards, die dem Schutz der Rechtsstaatlichkeit dienen, schwächen.
Mehrere EU-Länder haben Maßnahmen ergriffen, die die Kontrolle über öffentliche Ausgaben erschweren. In Rumänien setzten die Behörden die Beantwortung von Anträgen auf Informationsfreiheit aus oder verzögerten sie stark. In Spanien behinderte die Regierung den rechtzeitigen Fluss von Informationen und Daten über ihre Fähigkeit, die Pandemie zu bewältigen. In Frankreich behinderten die Behörden mit Verfahrensverzögerungen und anderen Hindernissen die Teilnahme zivilgesellschaftlicher Organisationen an Antikorruptionsmechanismen.
Schwache Kontrolle der Exekutivgewalt
In mehreren EU-Ländern hatten die öffentlichen Kontrollorgane, insbesondere die Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (NMRIs), ebenfalls Schwierigkeiten, die Rechte der Bürger zu schützen. In Bulgarien, Kroatien und der Tschechischen Republik zum Beispiel leidet die NMRI unter einem Mangel an Unabhängigkeit und Effektivität.
Auch die kroatische Kommission zur Verhinderung von Interessenkonflikten ist unter Druck geraten und könnte aufgelöst werden, nachdem sie Ermittlungen zu dubiosen Affären der Regierungspartei, der Kroatischen Demokratischen Union und des Ministerpräsidenten Andrej Plenković - dessen Regierung von Korruptionsskandalen durchzogen ist - aufgenommen hat.
Unabhängige, gut ausgestattete Gerichte sind unerlässlich, um zu kontrollieren, ob bei öffentlichen Ausgaben alle Gesetze eingehalten werden. Aber in vielen Ländern haben die Gerichte unter der Pandemie gelitten. Zum Beispiel in Bulgarien, wo das Verfahren zur Ernennung von Richtern und Staatsanwälten intransparent ist und deren volle Unabhängigkeit nicht gewährleisten kann. Außerdem gefährden neue Regeln, die zur Überwachung und Untersuchung der Arbeit von Staatsanwälten eingeführt wurden, deren Unabhängigkeit. Höhere Gerichtsgebühren und langwierige Gerichtsverfahren erschweren zudem den Zugang zu den Gerichten. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz hatte bereits im Oktober 2019 unter der umstrittenen Berufung eines neuen Generalstaatsanwalts gelitten. Gepaart mit einer Korruptionskrise hat dies zu einigen der lang anhaltendsten Anti-Regierungs-Proteste des Landes geführt.
Das öffentliche Vertrauen in die Justiz wurde auch in Irland beschädigt, als ein neu ernannter Richter des Obersten Gerichtshofs sich weigerte, zurückzutreten, obwohl er im "Golf-Gate"-Skandal gegen die Richtlinien des öffentlichen Gesundheitsschutzes verstoßen hatte.
Diese besorgniserregenden Trends überschatten die möglichen Fortschritte, die sich aus den Fortschritten bei der Digitalisierung oder aus den in Ländern wie der Tschechischen Republik, Rumänien und der Slowakei vorgeschlagenen Reformen zur Verbesserung der Unabhängigkeit und Transparenz der Justizsysteme ergeben könnten.
Über den Bericht
Transparenz und Information von öffentlichem Interesse (Public Interest Information), Kontrolle der Exekutive und eine starke Justiz sind wesentliche Bestandteile dessen, was wir ein starkes rechtsstaatliches System nennen würden. Diese Komponenten sind von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass unsere PolitikerInnen die öffentlichen Ausgaben bestmöglich einsetzen, um die Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen.
Liberties' neuer Bericht 'EU 2020: DEMANDING ON DEMOCRACY' deckt schädliche Praktiken auf, die die Rechtsstaatlichkeit in 14 EU-Ländern beeinträchtigen. Es ist die ausführlichste Untersuchung dieser Art durch ein NGO-Netzwerk, die sich mit den Entwicklungen im Jahr 2020 befasst. Der Bericht wurde von Liberties zusammen mit seinen Mitglieds- und Partnerorganisationen erstellt, um die diesjährige Konsultation der Europäischen Kommission über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der EU zu unterstützen.
Zuvor auf Liberties
Liberties Report: Das Wohl unserer Demokratien hat 2020 ernsthaft Schaden genommen