Die Charta der Grundrechte ist der Menschenrechtskatalog der Europäischen Union - ein modernes Rechtsinstrument, das 50 Grundrechte auflistet, die die EU-Institutionen und Regierungen fördern, respektieren und schützen müssen, um ihren Zuständigkeiten und Verpflichtungen gegenüber der EU gerecht zu werden.
Mehr als 10 Jahre sind bereits vergangen, seit die Charta verbindliches Recht wurde. Die erste Strategie der Kommission zur wirksamen Anwendung der Charta wurde 2010 verabschiedet. Die Idee war, dass die EU mit gutem Beispiel vorangehen und die Grundrechte zu dem entscheidenden Leitfaden für ihr Handeln machen sollte. Seitdem hat die Union durchaus einige Fortschritte bei der Achtung, dem Schutz und der Förderung der Grundrechte erzielt, aber sei versäumt es immer noch viel zu oft, bei der Wahrung der Rechte einzugreifen. Sie verpasst Gelegenheiten, den Schutz der Rechte zu verbessern und sie verletzt auch immer wieder selbst Rechte.
Im Laufe dieses Jahres wird die Kommission eine neue Strategie zur Charta der Grundrechte verabschieden. Um über diese Arbeit zu informieren, hat die Kommission Bürgerrechts- und Demokratiegruppen um Vorschläge gebeten. Das neue Papier von Liberties ist eine Antwort auf die Bitte der Kommission um Input.
Das vollständige Papier kann hier heruntergeladen werden.
In diesem Papier werden die wichtigsten Unzulänglichkeiten aufgezeigt und spezifische Instrumente und Praktiken vorgeschlagen, die die Kommission anwenden könnte, um sie zu beheben. Unsere wichtigsten Punkte sind:
1) Die Kommission sollte ihre Befugnisse zur Förderung der Grundrechte voll ausschöpfen
Die Grundrechte werden in vielen Bereichen verletzt, in denen die nationalen Gesetze nicht gut genug sind, um sie zu schützen. Man nehme zum Beispiel missbräuchliche Klagen, die von mächtigen privaten oder öffentlichen Akteuren eingereicht werden, um zu versuchen, Watchdogs wie Medienschaffende und Bürgerrechtsaktivisten zum Schweigen zu bringen (bekannt als SLAPPs - strategic lawsuits against public participation, "strategische Klagen gegen die Öffentlichkeitsbeteiligung"). In den meisten EU-Ländern gibt es keine Gesetze, um diese Praktiken zu verhindern oder zu sanktionieren. Die Kommission hat die Befugnis, gemeinsame EU-Regeln vorzuschlagen, um SLAPPs zu verbieten - hat dies aber noch nicht getan.
Die Kommission könnte Folgendes tun:
- Ihr Fachwissen im Bereich der Grundrechte ausbauen, indem sie sich systematischer auf den Rat unabhängiger Experten stützt und sicherstellt, dass in allen Dienststellen der Kommission interne Experten tätig sind;
- Einen jährlichen strategischen Arbeitsplan entwickeln, der zur Klärung der Frage beitragen kann, wie die Rechtsvorschriften und Politiken der EU besser zur Achtung und Förderung der Grundrechte beitragen können;
- in die Kommunikation mit der Öffentlichkeit über die Grundrechte investieren, auch durch Jahresberichte, die die Rechenschaftspflicht der Kommission, die Transparenz und die Beteiligung der Öffentlichkeit verbessern können.
2) Die Kommission sollte die bestehenden Verfahren verbessern, um das Risiko zu minimieren, dass die Organe und Einrichtungen der EU selbst gegen die Charta verstoßen.
Alle Organe und Einrichtungen der EU sind verpflichtet, keine Gesetze, Maßnahmen oder Praktiken zu verabschieden, die die Grundrechte verletzen. Dennoch gibt es immer noch Fälle, in denen Verletzungen der Grundrechte auf das Handeln oder die fahrlässige Untätigkeit der EU-Organe zurückzuführen sind. In einem kürzlich erschienenen Bericht wurde die EU von einer UN-Kontrollinstanz kritisiert, weil sie Ungarn Geld gegeben hat, um die Segregation von Menschen mit Behinderungen aufrechtzuerhalten, was gegen die Grundrechte und die internationalen rechtlichen Verpflichtungen verstößt.
Die Kommission könnte:
- die Qualität des Verfahrens verbessern, mit dem sie die Auswirkungen der EU-Gesetze und -Politiken auf die Grundrechte bewertet;
- ihre Befugnisse besser nutzen, um zu verhindern, dass die Grundrechtsgarantien während der Verhandlungen über EU-Gesetzentwürfe zwischen den EU-Regierungen und dem Europäischen Parlament geschwächt werden;
- EU-Gesetze und -Politiken systematisch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Grundrechte bewerten;
- die von den Agenturen und Einrichtungen der EU ergriffenen Maßnahmen genauer und transparenter überwachen.
3) Die Kommission sollte den Regierungen detailliertere Anleitungen dazu geben, wie das EU-Recht so umgesetzt werden kann, dass es nicht gegen die Grundrechte verstößt, und wie das Recht systematisch durchgesetzt werden kann, wenn Regierungen es brechen.
Die Kommission hat die Pflicht, die EU-Regierungen daran zu hindern, die Charta zu verletzen, wenn sie in Bereichen handeln, die durch EU-Recht geregelt sind, und sie zu sanktionieren, wenn sie Verstöße begehen. Die Kommission verfügt bereits über alle notwendigen Instrumente, um dies zu tun. Das Problem ist, dass sie diese oft nicht nutzt. Beispielsweise verhindern einige EU-Länder wie die Tschechische Republik, Ungarn und Italien weiterhin, dass Roma-Kinder wie andere Kinder unterrichtet werden, unter anderem durch die Segregation in Sonderschulen oder reine Roma-Klassen. Obwohl diese Praktiken mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurden und obwohl sie nach EU-Recht verboten sind, hat die Kommission bisher noch kein einziges Land vor Gericht gebracht.
Die Kommission könnte:
- eine formelle Beratung darüber anbieten, wie die Grundrechte bei der Anwendung der wichtigsten EU-Rechtsvorschriften eingehalten werden können, um Verstöße zu verhindern;
- Regierungen, die systematisch gegen die Charta verstoßen, sanktionieren;
- Denjenigen Organisationen, die sich auf nationaler Ebene für die Grundrechte einsetzen, wie Rechts- und Demokratiegruppen, Geld geben.