Demokratie & Gerechtigkeit

Im Gespräch mit der Political Accountability Foundation | Wahlbeobachtungsgespräche

Ein Gespräch mit der Political Accountability Foundation, Liberties polnischem Partner im Projekt zur Wahlbeobachtung. PAF erklärt, wie Kandidat*innen und Parteien in Polen Wahlkampfrechtsvorschriften umgehen und sich der Rechenschaftspflicht entziehen.

by Jamison Gaither

Polen hat in letzter Zeit mehrere Wahlen erlebt, insbesondere die Parlamentswahlen im Oktober 2023, die zu einem bedeutenden politischen Wandel in der polnischen Landschaft führten. Das Ergebnis war, dass der bisherige Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von der populistischen Partei Recht und Gerechtigkeit zugunsten von Donald Tusk, dem Vorsitzenden der Bürgerplattform, abgewählt wurde. Sechs Monate später fanden die polnischen Kommunalwahlen statt, bei denen Mitglieder für alle Regionalversammlungen, Kreis- und Gemeinderäte, Gemeindevorsteher, Bürgermeister sowie die 18 Bezirksräte von Warschau gewählt wurden.

Die Political Accountability Foundation (PAF) ist eine zivilgesellschaftliche Vereinigung, die den polnischen Wahlprozess beobachtet. Zusätzlich zur Überwachung der nationalen Wahlen hat die PAF im Rahmen eines Wahlbeobachtungsprojekts mit Liberties und seinen Koalitionspartnern die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 überwacht. Das Projekt trägt den Titel ‘Electoral Integrity and Political Microtargeting: An Evidence-Based Analysis in Six EU Member States’ (Wahlintegrität und politisches Mikrotargeting: Eine evidenzbasierte Analyse in sechs EU-Mitgliedstaaten). Es konzentriert sich auf die Bewertung der Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften zum Wahlkamft durch politische Werbetreibende, sowie die Einhaltung der Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Digital Services Act (DSA) durch Social-Media-Anbieter wie Meta.

Wer die Regeln umschifft

Mit seiner umfangreichen Erfahrung in der Wahlbeobachtung gab Sylwester Oracz, ein Cybersicherheitsexperte für PAF, Einblicke in seine Lobbyarbeit und die Ergebnisse seiner Untersuchungen.

Die PAF hat mit der Nationalen Wahlkommission (NEC) zusammengearbeitet, um die Finanzberichte der politischen Parteien für die Parlamentswahlen zu prüfen. NGOs, die politische Ausgaben überwachen, können die Berichte von Parteien und Wahlkampagnen überprüfen und auf Unstimmigkeiten hinweisen, bevor die NEC die endgültige Genehmigung erteilt. Der Zugang zu relevanten Dokumenten ist nur im für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen NEC-Gebäude möglich. Sylwester wurde dorthin eingeladen, um sich die großen Stapel von Berichten anzusehen und sie mit Daten abzugleichen, die mithilfe unseres technischen Partners Who Targets Me aus den Werbebibliotheken von Facebook und Google gewonnen werden konnten.

PAF stellte fest, dass Anzeigen, die offensichtlich mit Wahlen zu tun hatten, auf Facebook oft nicht korrekt als „Wahlkampfmaterial“ gekennzeichnet waren, um die Vorschriften für Wahlwerbung auf Facebook zu umgehen.Rückblickend fehlten korrekt gekennzeichnete Anzeigen in den Berichten der Parteien. Darüber hinaus bezahlten bestimmte Kandidaten Werbung aus eigener Tasche, meldeten diese Anzeigen nicht bei der Kampagne an und umgingen so die Vorschriften. Die PAF berichtet seit Jahren über diese Praxis und stellt fest, dass politische Werbung, die von Einzelpersonen finanziert wird, "ebenfalls immer häufiger vorkommt. Politisch engagierte Personen veröffentlichen die Anzeigen selbst und umgehen damit möglicherweise die Vorschriften, die für politische Parteien und Wahlkomitees gelten, was die Überwachung der Wahlkampffinanzierung ineffizient macht und die Grenze zwischen politisch und privat verwischt.“

Parteien, die sich als Privatpersonen ausgeben

Die Political Accountability Foundation fand eine Reihe von Anzeigen, die einen Kandidaten oder eine Partei bewarben, ohne ausdrücklich dazu aufzurufen, für sie zu stimmen. So können diese Anzeigen technische Kniffe nutzen, um zu vermeiden, mit einer Kampagne in Verbindung gebracht zu werden. Die Kandidaten umgingen auch die Vorschriften, indem sie Anzeigen schalteten, die als „persönlicher Markenaufbau (Branding)“ anstatt als politische Anzeige beschrieben wurden. In beiden Fällen können die Wahlkämpfer leugnen, dass sie Teil einer Partei sind, und sich als interessierte Privatpersonen ausgeben, wodurch diese politischen Anzeigen völlig ohne Rechenschaftspflicht bleiben.

Sylwester äußerte sich auch frustriert über die Unfähigkeit der NEC, Anzeigenbibliotheken auf Verstöße zu untersuchen, da sie nicht befugt sind, von sich aus zu ermitteln. Stattdessen liegt es an den Bürgern, der NEC falsch gekennzeichnete Anzeigen zu melden, woraufhin dieser Maßnahmen ergreifen kann. In der Hoffnung auf eine Änderung erwägt Sylwester, solche Anzeigen massenhaft zu melden, um die NEC so zu einer Reaktion zu zwingen.

Die größte Herausforderung, der Sylwester bei der Überwachung der polnischen Wahlen begegnet ist, besteht darin, dass die bestehenden Gesetze ungeeignet sind, den Übergang zu Online-Wahlkampagnen zu regeln. Es gibt keine gesonderten Vorschriften für Kampagnen und Kampagnenfinanzierung im Internet. Jeder Mensch in Polen kann eine Kampagne durchführen, solange sie oder er in Polen ansässig ist und die Zustimmung einer politischen Partei hat. Bei Wahlkampagnen mit Plakaten war es einfach, die Einhaltung dieser Vorschriften zu überprüfen, da die Einstiegsschwelle diejenigen abschreckte, die Geld für Werbung ausgeben wollten. Auf Facebook oder Google ist es jedoch extrem einfach, eine Kampagne zu schalten, ohne die Ausgabenobergrenzen zu überschreiten. Laut Sylwester wurden die polnischen Vorschriften in den letzten 15 Jahren nicht aktualisiert, um dem Anstieg der politischen Online-Werbung angemessen Rechnung zu tragen. Er erinnert sich an Diskussionen über Online-Wahlkampagnen im Jahr 2011, die jedoch nicht zu einem schriftlichen Gesetz führten.

Sylwester und PAF werden ihre Wahlbeobachtungsarbeit fortsetzen und diese Probleme weiterhin an die Öffentlichkeit bringen. Hier kann ihre Arbeit verfolgt werden.

Donate to liberties

Gemeinsam machen wir den Unterschied

Wenn viele sich zusammenschließen, besiegen wir die wenigen, die denken, sie hätten die ganze Macht. Schließ dich uns an, es geht um Rechte für uns alle.

Mach mit beim Schutz unserer Freiheiten

Wir haben
► Den größten Fonds für Demokratieinitiativen in der EU geschaffen
► Neue Befugnisse geschaffen, um Autokraten die EU
► Finanzierung zu entziehen
► neue EU-Regeln verfasst, um Journalisten und Aktivisten vor Scheinklagen zu schützen

► Über 400 Menschenrechtsverteidiger/innen ausgebildet, um die Kampagnen, die dir am Herzen liegen, zu unterstützen.


Weitere Meilensteine

Gemeinsam machen wir den Unterschied

Wenn viele sich zusammenschließen, besiegen wir die wenigen, die denken, sie hätten die ganze Macht. Schließ dich uns an, es geht um Rechte für uns alle.

Aboniere den Newsletter, um

dabei zu sein

Warum sollte ich?

Du bekommst die neuesten Berichte vor allen anderen!

Du kannst miterleben, wie wir uns für Deine Rechte einsetzen!

Du wirst sehen, was wir erreicht haben!

Zeig mir ältere Ausgaben des Newsletters