Spanien war in den letzten Monaten Schauplatz von Polarisierungen und Mobilisierungen, die Anfang Juni ihren Höhepunkt in den Wahlen zum Europäischen Parlament fanden. Dabei standen nationale Themen im Mittelpunkt, vor allem die erfolgreiche Regierungsbildung von Pedro Sánchez, der monatelange politische Turbulenzen voraus gingen. Im Juli 2023 belegte die rechtsgerichtete Oppositionspartei Partido Popular (PP) bei den spanischen Parlamentswahlen den ersten Platz, war aber nicht in der Lage, eine Koalitionsregierung mit den rechtsextremen Parteien zu bilden. Dies gab Sánchez und seiner Partido Socialista Obrero Español (Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens - PSOE) Zeit, eine Regierung mit anderen Parteien zu bilden, vor allem mit den beiden wichtigsten katalanischen Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten - der Republikanischen Linken Kataloniens und Junts per Catalunya. Als Teil des Koalitionsabkommens versprach die PSOE den katalanischen Separatistenführern jedoch eine Amnestie, was einen heftigen Gegenschlag der spanischen Rechten auslöste. Dieser Streit führte zu einer extremen Polarisierung, die im Wahlkampf zu den Europawahlen besonders deutlich wurde.
In diesem nationalen Kontext fand unser Interview mit Simona Levi von Xnet statt, einem Netzwerk von Experten und Aktivisten, das verschiedene Bereiche der digitalen Rechte untersucht und Maßnahmen vorschlägt, um die Demokratie in das 21.Jahrhundert zu bringen. Xnet kooperiert mit Liberties im Rahmen des Projekts Electoral Integrity and Political Microtargeting. Das Projekt konzentriert sich auf sechs Mitgliedsstaaten und untersucht, wie soziale Medienplattformen genutzt werden, um Wahlkampfregeln zu umgehen und wie diese Plattformen darin versagen, die Wähler zu schützen. Obwohl Xnet noch dabei ist, die von unserem Partner Who Targets Me erhaltenen Daten zu sichten, konnte uns Simona, die Gründerin von Xnet, bereits einige der ersten Ergebnisse vorstellen.
Linke Parteien gaben doppelt so viel aus wie die Rechten
Anhand von Facebook-Daten hat Xnet festgestellt, dass linke Parteien wie Sumar oder Podemos etwa doppelt so viel Geld für Werbung ausgaben wie rechte Parteien wie VOX. Simona glaubt, dass dies auf die spezifischen Schwerpunkte dieser Parteien zurückzuführen ist, und erklärt, wie zum Beispiel „VOX, die extreme Rechte in Spanien, nicht viel Geld auf Facebook ausgibt, sondern es lieber auf YouTube investiert. Dadurch wird ein jüngeres Publikum durch dynamischere und ansprechendere Videoanzeigen angezogen“.
Xnet beobachtete, dass mehrere Facebook-Seiten mit großer Anhängerschaft während des Wahlkampfes für die Ideale der Partei warben. Simona erklärte, dass diese Gruppen eher versuchten, ein Online-Umfeld zu schaffen, das mit der Botschaft einer Partei sympathisiert, als einen traditionellen Wahlkampf zu führen. „Was in diesen Fällen auffällt“, sagte sie, “ist, dass die Finanzierung hinter diesen Seiten und Kampagnen oft nicht direkt von politischen Parteien kommt, statt dessen treten Personen aus dem Netzwerk der Partei als Förderer dieser Kampagnen auf.“
Politische Kampagnen, die sich als Bürgerinitiativen tarnen
Simona hält dies für ein klares Beispiel von Astroturfing, einer Praxis, bei der Marketing- oder PR-Kampagnen als Graswurzlinitiativen getarnt werden, um die Illusion einer spontanen öffentlichen Unterstützung zu erwecken. Simona erzählte uns, dass sie eine Vielzahl von Facebook-Seiten der Linken beobachtet haben, die „über Ökologie sprechen, eine andere über die Rechte von Migranten“. Die größte „war eine Seite der Indignados-Bewegung, die von Podemos betrieben wurde, was aber niemand weiß. Jeder denkt, dass es sich um eine neutrale Indignados-Seite handelt, aber in Wirklichkeit ist es ein Werkzeug für eine politische Partei, aber niemand weiß es. Diese Seite war die größte Seite für Astroturfing“.
Diese Kampagnen sind an Wahlzyklen gebunden, und Simona gab Einblicke in die unterschiedlichen Strategien von linken und rechten Parteien. Sie erklärte uns, dass die Linke in der Regel zyklischer vorgeht und ihre Ausgaben nur während der Wahlkampfsaison erhöht. Die rechten Parteien hingegen sind viel beständiger und halten ihre Werbeausgaben größtenteils auch außerhalb der Wahlkampfzeiten aufrecht. Obwohl Simona diese Unterschiede erwartet hatte, ist sie der Meinung, dass eine weitere Auswertung dieser Daten einen Einblick in die zunehmende Toxizität in der spanischen Politik geben wird, wovon sie bei ihrer zukünftigen Arbeit zu profitieren hofft.
Xnet & Partner drängen Google weiterhin, seine Advocacy-Politik zu ändern
Für die Zukunft hofft Simona auf eine weitere Auseinandersetzung mit Googles Add-Library. Liberties und sechs Partnerorganisationen drängen Google, seine Werberichtlinien zu überarbeiten, um eine umfassende Abdeckung politischer Anzeigen zu gewährleisten. Über die Wahlperiode hinaus hofft Simona, sich für eine größere Transparenz von politischer Werbung einzusetzen. Xnet wird sich weiterhin für Transparenz einsetzen, damit die Öffentlichkeit weiß, was genau politische Parteien, Organisationen und Einzelpersonen für Werbung ausgeben und ob dieses Geld polarisierende politische Botschaften fördert. Weitere Einblicke in die Arbeit von Xnet gibt es hier.
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