Die Anti-SLAPP-Initiative der EU-Kommission ist ein wegweisender Schritt, um die Zunahme missbräuchlicher Klagen zu stoppen, mit denen Journalist*innen oder Menschenrechtsgruppen zum Schweigen gebracht werden sollen. Aber die eigenliche Arbeit beginnt erst jetzt: Die Europäische Kommission muss jetzt ordentlich Gas geben und dafür sorgen, dass sich das Europäische Parlament und die EU-Regierungen ernsthaft mit diesem Vorschlag auseinandersetzen und sich unverzüglich auf eine starke EU-Anti-SLAPP-Richtlinie einigen. Es muss erreicht werden, dass die Behörden in den einzelnen Ländern unverzüglich damit beginnen konkrete Antworten auf die Empfehlungen der Kommission auszuarbeiten.
"Damit SLAPP-Kläger wirklich abgeschreckt werden und alle SLAPP-Opfer einen wirksamen Schutz erhalten, müssen die EU-Entscheidungsträger so schnell wie möglich die ehrgeizigste EU-Anti-SLAPP-Verordnung verabschieden. Außerdem müssen sie bei allen Verantwortlichen ein Umdenken fördern, damit in jedem EU-Land konkrete Fortschritte erzielt werden", sagt Linda Ravo, Senior Advocacy Advisor bei Liberties und Mitglied der EU-Expertengruppe zu SLAPPs.
Liberties sieht drei Bereiche, auf die die Europäische Kommission, das Parlament und die EU-Regierungen ihre Bemühungen vorrangig konzentrieren sollten:
1. Den Ehrgeiz beibehalten.
Die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie übernimmt viele Lösungen, die auch von Experten der Zivilgesellschaft gefordert werden. Während der Verhandlungsphase müssen die EU-Entscheidungsträger dranbleiben und sich weiterhin für möglichst strenge Regeln einsetzen. Jeder Versuch, den Vorschlag abzuschwächen, muss abgewehrt werden: Der Geltungsbereich muss weit gefasst und fest mit dem eigentlichen Ziel verankert bleiben, nämlich die der EU eingeräumten Befugnisse zum Schutz jeglicher Form von Öffentlichkeitsbeteiligung in vollem Umfang zu nutzen. Dabei müssen sie berücksichtigen, dass SLAPPs oft grenzüberschreitende Auswirkungen haben, wenn sie darauf abzielen, Watchdogs zum Schweigen zu bringen, die sich mit Angelegenheiten befassen, deren Relevanz über die Grenzen eines Landes hinausreicht.
Die Bemühungen sollten vielmehr darauf abzielen, etwaige Schlupflöcher zu schließen: durch verstärkte Sicherheitsvorkehrungen, damit Klagen, die eindeutige Anzeichen von Missbrauch aufweisen, gar nicht erst vor Gericht gehen können; durch die Beseitigung bestimmter Unklarheiten, wie z. B. den Ausschluss von Fällen, die sich auf Verwaltungsangelegenheiten beziehen, in Anbetracht der vielen SLAPPs, die auf der Grundlage von Datenschutzbestimmungen angestrengt werden; und durch die Verringerung der Risiken für den Schutz, z. B. durch die Einschränkung des Ermessensspielraums der Gerichte bei der Gewährung wichtiger Rechtsbehelfe wie Kostenerstattung und Schadensersatz, oder beim Verhängen von Bußgeldern. Wenn solche Regeln vereinbart werden, muss die Kommission darauf bestehen, dass die Regierungen die Regeln auf alle SLAPP-Fälle anwenden, sowohl auf grenzüberschreitende als auch auf inländische, damit alle Opfer das gleiche Schutzniveau genießen können.
2. Umdenken erforderlich.
Damit die Regeln und Empfehlungen echte Fortschritte bringen, ist ein tiefgreifender Kulturwandel erforderlich. Das betrifft Anwälte, Richter und Behörden in der gesamten EU. Neue Gesetze und Praktiken sind ein guter Anfang, aber ohne einen Mentalitätswandel wird es keine echte Veränderung geben. Die Taktiken der SLAPP-Kläger müssen von den Behörden aufgedeckt und angeprangert werden. Die Kommission sollte Anwalts- und Richtervereinigungen mobilisieren, um sie dabei zu unterstützen, indem sie ihre Disziplinarregelungen anpassen und die Rechts- und Justizbehörden für dieses Thema sensibilisieren. Wirksame und nachhaltige Unterstützungsmechanismen und die Verfügbarkeit von kostenlosem Rechtsbeistand müssen selbstverständlich werden. Erst dann können sich die Opfer von SLAPP-Klagen gestärkt und sicher fühlen.
3. Den Ursachen auf den Grund gehen.
SLAPPs sind ein Symptom für den zunehmenden Trend, diejenigen zu schikanieren, die sich für das Gemeinwohl einsetzen. Sie dienen dazu, kritische Meinungen zum Schweigen zu bringen und die Meinungsfreiheit zu zensieren. Diese giftigen Klagen werden durch Vorschriften ermöglicht, die die Meinungsfreiheit einschränken und die Arbeit von Watchdogs wie Journalist*innen und zivilgesellschaftlichen Gruppen behindern. Als Teil ihrer Arbeit zur Verteidigung der Medienfreiheit und zum Schutz des zivilgesellschaftlichen Raums sollte die Europäische Kommission auf ihrer Anti-SLAPP-Initiative aufbauen, um in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren wie den Vereinten Nationen und dem Europarat sicherzustellen, dass die Regierungen konkrete Schritte unternehmen, um bestehende Gesetze zu überprüfen, die die freie Meinungsäußerung unangemessen einschränken, und um Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch einzuführen, wie z. B. Obergrenzen für Schadensersatzansprüche und strengere Regeln dafür, wo und aus welchen Gründen Klagen eingereicht werden können.
Liberties und andere zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich in der CASE-Koalition zusammengeschlossen haben, sind bereit, die Bemühungen der Kommission weiterhin zu unterstützen, auch im Rahmen ihrer Expertengruppe zu SLAPPs, und werden sich mit dem Europäischen Parlament und den Regierungen und Behörden der EU zusammensetzen, um sicherzustellen, dass diese Initiative zu echten Fortschritten vor Ort führt.
Liberties ist eine in Berlin ansässige Netzwerkorganisation für Bürgerrechte, die Kampagnen und Berichte in der gesamten EU koordiniert, darunter den Rule of Law Report 2022 oder den Media Freedom Report 2022.
Was ist ein SLAPP?
SLAPPs sind missbräuchliche Klagen, die von wohlhabenden und mächtigen Klägern angestrengt werden, um die Rechenschaftspflicht zu blockieren und demokratische Rechte zu untergraben. Sie zielen darauf ab, öffentliche Beobachter*innen (Watchdogs) mit Hilfe von Gerichtsverfahren zum Schweigen zu bringen, die sie nur anstrengen, um die Kosten in die Höhe zu treiben und ihre Zielpersonen zu schikanieren. Eine aktuelle Studie von CASE zeigt, dass die Zahl der SLAPP-Klagen in Europa von Jahr zu Jahr steigt.