Liberties Rule of Law Report 2023 ist bereits die vierte Ausgabe unseres Jahresberichts zur Rechtsstaatlichkeit in der EU und stellt einen Beitrag zur Konsultation der Europäischen Kommission (EK) für ihren eigenen Rule of Law Report dar, der noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll. Unser Schattenbericht ist der umfassendste Bericht eines NRO-Netzwerks, der 18 europäische Länder abdeckt und in Zusammenarbeit mit 45 Mitglieds- und Partnerorganisationen erstellt wurde.
Civic Space - der zivilgesellschaftliche Raum - ist ein zentrales Thema in unserem Bericht. Zivilgesellschaftliche Akteure wie NRO, Watchdogs, Bürgerinitiativen oder Menschenrechtsaktivist*innen spielen eine außerordentlich wichtige Rolle bei der Verteidigung und Stärkung der Rechtsstaatlichkeit. Wenn sich die Menschen frei organisieren und über Verbände mobilisieren können, ist es wahrscheinlicher, dass unsere gewählten Vertreter*innen unseren Anliegen Aufmerksamkeit schenken. Die Ergebnisse unseres Berichts deuten jedoch darauf hin, dass die Regierungen der EU die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Organisationen (Civil Society Organisations - "CSO") nicht (an)erkennen und sie in einigen Fällen sogar angreifen, um Kritik zum Schweigen zu bringen oder um die Menschen daran zu hindern, sich zusammenzuschließen und gemeinsam für Veränderungen einzustreten.
Vereinigungsfreiheit wird beschnitten
Mehrere unserer Mitglieds- und Partnerorganisationen berichten, dass die Vereinigungsfreiheit in ihrem Land stark eingeschränkt wird.
Neue Vorschriften für die Zivilgesellschaft schaffen ein Klima der Verunsicherung und Angst. In den Niederlanden droht zum Beispiel die Verabschiedung ein neues Gesetz, das die Auflösung von NGOs "aus Gründen der öffentlichen Ordnung" ermöglicht. Dies ist in Frankreich bereits Realität, wo ein Gesetz über "republikanische Werte" zur Auflösung von NGOs führte, die sich gegen antimuslimischen Hass einsetzen.
In Deutschland und Irland wurden keine Schritte unternommen, um die seit langem bestehenden Probleme zu lösen, die die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen behindern. Unzureichende und veraltete Vorschriften, die zu Rechtsunsicherheit führen, zwingen zivilgesellschaftliche Organisationen nach wie vor dazu, ihre Bemühungen bei der Verteidigung von Menschenrechten einzuschränken.
CSOs und Aktivist*innen werden ausgegrenzt oder mundtot gemacht
Die europäischen Regierungen scheinen sich aktiv vor ihrer Verantwortung zu drücken, bürgerschaftliches Engagement zu fördern. Es überrascht daher nicht, dass sich zivilgesellschaftliche Organisationen bei der Beteiligung an der politischen Entscheidungsfindung im Stich gelassen fühlen. Unsere Partnerorganisationen in Kroatien, Italien und der Slowakei berichten, dass die Beiträge der Zivilgesellschaft vom Staat einfach nicht als relevant angesehen werden. Einen der wenigen Lichtblicke bietet Slowenien, wo die neue Mitte-Links-Regierung den Dialog mit zivilgesellschaftlichen Organisationen verstärkt. Positive Entwicklungen sind auch aus der Tschechischen Republik zu vermelden, wo die Regierung eine Strategie verabschiedet hat, die darauf abzielt, zivilgesellschaftliche Organisationen besser in die politische Entscheidungsfindung einzubinden.
Der Trend, das Demonstrationsrecht einzuschränken, der ursprünglich auf gesundheitliche Bedenken im Zusammenhang mit Covid-19 zurückzuführen war, hält weiter an, obwohl große öffentliche Versammlungen keine Gefahr mehr darstellen. Vor allem in Deutschland, den Niederlanden und Schweden sind Klimaprotestierende unter Beschuss geraten und sehen sich unverhältnismäßigen Einschränkungen ausgesetzt. In Belgien wurde den Bürgermeistern die Befugnis erteilt, Proteste von Personen, die als "Unruhestifter" gelten, präventiv zu verbieten. Die neue rechtsgerichtete Regierung in Italien erschütterte die Zivilgesellschaft mit der Ankündigung ihres "Anti-Rave-Gesetzes", denn es ist zu befürchten, dass es dazu benutzt werden könnte, das Demonstrationsrecht einzuschränken.
Menschenrechtsverteidiger*innen werden oft zur Zielscheibe von SLAPPs, also von Scheinklagen, die nur darauf abzielen, sie zum Schweigen zu bringen. In Kroatien zum Beispiel sind SLAPPs zu einer gängigen Methode geworden, um Umweltaktivist*innen einzuschüchtern.
Die feindselige Haltung der Regierung trägt zu einem gefährlichen Umfeld für Aktivist*innen bei
Die belgischen Behörden mögen die einzigen sein, die es laut aussprechen, aber ihre Beschreibung von Aktivisten als "Störenfriede" scheint die Haltung mehrerer anderer EU-Regierungen widerzuspiegeln. In Italien, Slowenien und Schweden haben Politiker*innen Hetzkampagnen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen gestartet, um deren Glaubwürdigkeit zu untergraben. Einige Regierungen behindern aktiv die Arbeit der Zivilgesellschaft. Unsere Mitglieder berichten, dass Menschenrechtsaktivist*innen für ihre Arbeit schikaniert, kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt werden. Das betrifft vor allem Klimaaktivist*innen oder Nichtregierungsorganisationen (NRO), die Migrant*innen helfen.
Diese Diskreditierung der Zivilgesellschaft durch politische Akteure nährt die negative Wahrnehmung der Zivilgesellschaft und schafft sowohl online als auch offline ein gefährliches Arbeitsumfeld für Menschenrechtsverteidiger*innen. Zahlreiche Länder berichten, dass Angriffe, einschließlich körperlicher Gewalt, gegen Aktivist*innen, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen eine ständige Gefahr darstellen, von der LGBTQI+-Aktivist*innen besonders betroffen sind. Positiv zu vermerken ist, dass Belgien auf den Anstieg von Hassreden und Hassverbrechen mit der Vorlage eines neuen Plans zum Schutz der LGBTQI+-Gemeinschaft und eines Antirassismusplans reagierte. Leider müssen unsere Mitglieds- und Partnerorganisationen in Belgien, Estland, Deutschland, Irland, Rumänien und Slowenien berichten, dass dort gegen digitale Gewalt und Online-Belästigung nicht mit der gleichen Dringlichkeit vorgegangen wird.
Menschenrechtsverletzungen bleiben bestehen, während die Forderungen der Zivilgesellschaft ungehört verhallen
Viele dieser Probleme wurden bereits im letztjährigen Bericht angesprochen. Doch anstatt auf die Bedenken der Zivilgesellschaft einzugehen oder die Länderempfehlungen der Europäischen Kommission zu befolgen, haben die meisten EU-Regierungen darauf verzichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation zu verbessern, in einigen Fällen scheinen sie es sogar darauf anzulegen, den Abwärtstrend fortzusetzen.
Wenn Politikerinnen und Politiker nicht auf die Sorgen der einfachen Menschen hören, schwächt das unsere Fähigkeit, die Gesellschaft nach unseren Bedürfnissen zu gestalten. Laut den Partnern von Liberties wurden wenig bis gar keine Fortschritte gemacht, um den Forderungen der Zivilgesellschaft Rechnung zu tragen, in denen es um den Abbau des Schutzes der Menschenrechte während der Pandemie ging, der sich unverhältnismäßig stark auf gefährdete Gruppen auswirkte und bestehende Ungleichheiten noch verschärfte. Diskriminierung, Racial Profiling und Polizeibrutalität bleiben weiterhin unkontrolliert, während Migrant*innen und Asylsuchende an den europäischen Grenzen illegalen und häufig brutalen Repressionen ausgesetzt waren.
Angesichts der vielen Herausforderungen, die vor uns liegen - von der russischen Invasion in der Ukraine bis hin zum Klimawandel - ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Regierungen den Bedürfnissen und Anliegen ihrer Bürgerinnen und Bürger Beachtung schenken, um sicherzustellen, dass die Menschenrechte geachtet werden. Anstatt zivilgesellschaftliche Organisationen als Feind zu betrachten, sollten die Regierungen ihre Arbeit unterstützen und die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Aufrechterhaltung der Demokratie anerkennen. Die EU sollte mit gutem Beispiel vorangehen, doch die unangebrachte Kritik an zivilgesellschaftlichen Organisationen im Zuge von Qatargate ist ein alarmierender Schritt in die falsche Richtung. Die Zivilgesellschaft bildet eine Brücke zwischen den Menschen und dem Staat und ermöglicht es den Bürgerinnen und Bürgern, ihre Meinung zu äußern und Entscheidungen zu beeinflussen. Aber letzlich liegt der Ball bei den Regierungen, die ihnen auch zuhören müssen.
Ressourcen
Lade den vollständigen Bericht hier herunter.
Weitere Artikel zum Thema:
Governments Continue Weakening Democracy: EU Rule of Law Report By 45 NGOs
Civil Society in 2023: NGOs Still Left Out in the Cold
Länderberichte 2023
Der Bericht stellt die Ergebnisse von 45 Menschenrechtsorganisationen aus 18 EU-Mitgliedstaaten vor, diese sind:
- League of Human Rights (Belgien),
- Bulgarian Helsinki Committee (Bulgarien),
- Centre for Peace Studies (Kroatien),
- League of Human Rights, Glopolis (Tschechische Republik),
- Human Rights Center (Estland),
- Vox Public (Frankreich),
- the Society for Civil Rights, FragDenStaat, LobbyControl (Deutschland),
- the Hungarian Civil Liberties Union (Ungarn),
- the Irish Council for Civil Liberties, Irish Congress of Trade Unions, Trinity College Dublin School of Law, The Immigrant Council of Ireland, Inclusion Ireland, Intersex Ireland, Community Law and Mediation, Justice for Shane, Mercy Law Resource Centre, Irish Penal Reform Trust, The National Union of Journalists, Age Action Ireland, The Irish Network Against Racism, Outhouse, Irish Traveller Movement, Pavee Point, FLAC-Free Legal Advice Centres, Mental Health Reform (Irland),
- Antigone Association, Italian Coalition for Civil Liberties and Rights (CILD), A Buon Diritto Onlus, Association for Juridical Studies on Immigration or ASGI,Osservatorio Balcani e Caucaso Transeuropa (OBCT) (Italien),
- Human Rights Monitoring Institute (Litauen),
- Netherlands Helsinki Committee, Free Press Unlimited, Transparency International Nederlands (Niederlande),
- the Helsinki Foundation for Human Rights (Polen),
- Apador-CH (Rumänien),
- Via Iuris (Slowenien),
- Peace Institute (Slowenien),
- Rights International Spain (Spanien),
- Civil Rights Defenders, International Commission of Jurists (Schweden).
Die vorherigen Jahresberichte zur Rechtsstaatlichkeit: