Der Abend war eine willkommene Abwechslung an einem kühlen Herbstabend, denn die Oppositionsparteien haben bei den polnischen Parlamentswahlen einen entscheidenden und gefeierten Sieg errungen. Zu Gast bei Liberties war die Rechtsstaatsexpertin Dr. Maria Skóra vom Institut für Europäische Politik.
Donald Tusk bezeichnete die Wahlen als die wichtigsten seit dem Fall des Kommunismus im Jahr 1989, und vielleicht war es gerade diese Bedeutung, die viele Erstwählerinnen und Erstwähler dazu veranlasste, sich auf den Weg zum Wahllokal zu machen. Die rekordverdächtig hohe Wahlbeteiligung von jungen Menschen und Frauen soll ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Bürgerkoalition, des Dritten Weges und der Linken gewesen sein, die voraussichtlich eine Koalition bilden und die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ablösen werden.
Für viele in der polnischen Gesellschaft ist die Aussicht auf eine neue Regierung eine willkommene Überraschung nach einem brutalen und umstrittenen Wahlkampf, in dem sich die Kandidatinnen und Kandidaten gegenseitig mit persönlichen Sticheleien attackierten und die zunehmende Spaltung der polnischen Gesellschaft deutlich machten. Angesichts der Verstöße gegen die Integrität der Wahlen durch die amtierende PiS ist der Sieg der Opposition sogar noch bemerkenswerter. Maria bezeichnete die Wahl als frei, aber nicht fair und verwies auf die nachweisliche Voreingenommenheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und auf aus öffentlichen Mitteln finanzierte Familienpicknicks, bei denen die PiS für ihre eigenen Kandidaten warb.
Zwei Visionen von Polen
Maria ist der Meinung, dass beide politischen Lager ihren Wahlkampf mit ideologischen Argumenten geführt haben. PiS-Chef Jarosław Kaczyński versprach, Polens Identität als Nation zu stärken, die auf traditionellen Werten beruht, während Tusk radikale Veränderungen und die Wiederherstellung der Demokratie versprach.
Auch wenn die nationalen Interessen Polens dieselben bleiben, haben die polnischen Wähler/innen für einen qualitativen Wandel gestimmt. Wenn es der Opposition in den kommenden Monaten gelingt, eine tragfähige Koalition zu bilden, können wir erwarten, dass Polen den konstruktiven Dialog mit seinen Nachbarländern wieder aufnimmt und zu freundschaftlichen Beziehungen mit der EU zurückkehrt.
Tusks Absicht, Polen zu ent-Orbanisieren, wird jedoch eine Mammutaufgabe sein. Die öffentlich-rechtlichen Medien Polens auf Vordermann zu bringen, wird relativ einfach sein, aber es gibt keinen klaren Fahrplan, um den juristischen Sumpf rund um das Justizsystem und die gekaperten staatlichen Institutionen zu beseitigen. Diese Gesetzesinflation, die auf die von der vorherigen Regierungspartei geschaffenen illiberalen Mechanismen zurückzuführen ist, die sich verfestigen und ein reibungsloses Funktionieren der Systeme verhindern, hat die Institutionen, die die Rechtsstaatlichkeit aufrechterhalten, im Chaos versinken lassen.
Der Weg zur Wiederherstellung demokratischer Werte ist zwar lang, aber Polen hat einen ersten und eindeutigen Schritt in die richtige Richtung gemacht.
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