Die EU verhandelt derzeit über ihren nächsten siebenjährigen Ausgabenplan, den so genannten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR). Im März 2018 veröffentlichte Liberties ein Papier mit zwei detaillierten Vorschlägen. In diesen Vorschlägen wird dargelegt, wie die EU den neuen MFR zum Schutz der Grundrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie einsetzen könnte. Das Original dazu findest Du hier. Das Europäische Parlament hat gerade über zwei Legislativvorschläge abgestimmt, welche die Ideen von Liberties in die Tat umsetzen sollen.
Ein neuer Freiheitsfonds für die EU
Liberties forderte die EU nachdrücklich auf, einen Fonds einzurichten, um Organisationen und Aktivisten in ihren Mitgliedsländern zu finanzieren, die sich für den Schutz und die Förderung von Rechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzen. Wir nannten es das European Values Instrument (Instrument für Europäische Werte). Kurz nachdem wir unsere Idee veröffentlicht hatten, nahm das Europäische Parlament eine eigene Entschließung an, in der es unseren Vorschlag unterstützte. In der Entschließung des Europäischen Parlaments wird die Europäische Kommission aufgefordert, einen Legislativvorschlag für ein Instrument für europäische Werte in ihre Liste der neuen Finanzierungsprogramme im Rahmen des MFR aufzunehmen. Weitere Hintergrundinformationen über das European Values Instrument kannst Du hier finden.
Die Kommission veröffentlichte daraufhin einen Vorschlag für einen Fonds für Rechte und Werte und versuchte, diesen als seine Antwort auf die Forderung des Europäischen Parlaments zu verkaufen. Trotz des schönen Titels ist der Vorschlag der Kommission für einen Fonds für Rechte und Werte leider nur eine Sammlung bestehender Finanzierungsprogramme unter einem neuen Namen. Und diese bestehenden Finanzierungsprogramme tragen wenig dazu bei, dass Bürgerrechts- und Demokratiegruppen, die für unsere Werte kämpfen, unterstützt werden. Wenn Du wissen möchtest, warum Liberties den Vorschlag der Kommission für Murks hält, kannst Du dich hier informieren.
Das Europa-Parlament hat heute beschlossen, wichtige Änderungen am Vorschlag der Kommission vorzunehmen. Kurz gesagt, das Europäische Parlament möchte das European Values Instrument in den Fonds für Rechte und Werte integrieren. Das Europäische Parlament hat für die nächsten 7 Jahre zusätzliche 1 Milliarde Euro für Bürgerrechtsgruppen gefordert, einschließlich kleinerer Organisationen, die auf lokaler und nationaler Ebene arbeiten und für die es oft schwierig ist, Mittel zu erhalten. Diese Finanzierung würde Bürgerrechtsgruppen beispielsweise Folgendes ermöglichen:
- Gerichtsverfahren und Lobbyarbeit gegen Politiker, um zu verhindern, dass Regierungen Bürgerrechte einschränken;
- die Öffentlichkeit darüber zu informieren, wenn ihre Freiheiten bedroht sind;
- die Öffentlichkeit über die Grundlagen der Demokratie, die Grundrechte und die Bedeutung unabhängiger Gerichte aufzuklären.
Damit das entsprechende neue Gesetz verabschiedet werden kann, müssen die nationalen Regierungen im Rat und im Europäischen Parlament in den kommenden Monaten eine Einigung erzielen. Aber die nationalen Regierungen im Rat haben sich mehr oder weniger gerade dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission angeschlossen. Wenn also der neue Fonds für Bürgerrechtsgruppen geschaffen werden soll, muss das Europäische Parlament die nationalen Minister davon überzeugen, ihre Meinung zu ändern.
Streichung von EU-Geldern für autoritäre Regierungen
Eine zweite Idee, die Liberties skizzierte, war, wie die EU Mittel für Regierungen kürzen könnte, die versuchen, ihren Justizapparat unter politische Kontrolle zu bringen. Die Europäische Kommission schien unseren Vorschlag zu mögen und hat sich für ihren Vorschlag für ein neues Gesetz an unserem Papier orientiert.
Der Vorschlag der Kommission würde es der EU ermöglichen, die Mittel für eine Regierung zu kürzen, die die Unabhängigkeit der Gerichte, Staatsanwälte oder anderer nationaler Behörden beeinträchtigt, da diese sicherstellen, dass die EU-Gelder ordnungsgemäß verwendet werden. Nach Ansicht der Kommission müssen die Länder über unabhängige Institutionen verfügen, um sicherzustellen, dass die EU-Gelder rechtmäßig verwendet, und Betrug und Korruption vermieden werden.
Das Europäische Parlament wünscht, dass der Vorschlag etwas weiter gefasst wird. Es möchte die EU in die Lage versetzen, überall dort Mittel zu kürzen, wo die Gefahr besteht, dass eine weitreichende Verletzung der Grundrechte dazu führen könnte, dass EU-Gelder veruntreut werden könnten. Die Abgeordneten fordern auch, dass die EU ein unabhängiges Organ schafft, das darüber entscheidet, wann der entsprechende Mechanismus ausgelöst werden soll. Das sind positive Vorschläge. Wenn ein unabhängiges Organ über die Einstellung der Finanzierung entscheidet, würde dies verhindern, dass die Kommission ihre Entscheidungen auf politische und nicht auf objektive Kriterien stützt. Und die Bestrafung von Regierungen wegen Verstößen gegen Grundrechtsnormen würde es für die Regierungen schwieriger machen, die Rechtsnormen anzugreifen, die unsere Freiheiten und nicht nur die Gerichte schützen. Auf der anderen Seite ist es vielleicht nicht ganz einfach zu beweisen, dass eine massive Rechtsverletzung wirklich Auswirkungen darauf hat, ob eine Regierung EU-Gelder unterschlagen kann.
Es gibt noch zwei Probleme mit dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag. Erstens, was passiert mit den unschuldigen Bürgern, für welche die gekürzten EU-Mittel ursprünglich gedacht waren? Nach Auffassung der Kommission laufen die EU-Mittel ohnehin über die nationalen Behörden und werden erst später von der EU erstattet. Selbst wenn die Kommission die Mittel kürzt, sind die nationalen Behörden also immer noch gesetzlich verpflichtet, die Zahlungen aufrechtzuerhalten. Aber es ist schwer vorstellbar, dass dies wirklich passieren würde. Es besteht die große Gefahr, dass eine Regierung einfach aufhört, Mittel für Projekte auszuzahlen, die von der EU finanziert werden sollten, und es als Vorwand benutzt, um die Wähler in Rage zu bringen. Das könnte bedeuten, dass die Kürzung von EU-Mitteln nach hinten losgeht. Anstatt Autoritäre unter Druck zu setzen, die Gerichte zu schützen, könnte man damit mehr Unterstützung bei wütenden Wählern erzeugen. Das Europäische Parlament hat auch keine wirksame Alternative vorgeschlagen, um das Geld fließen zu lassen. Liberties deutete an, dass die EU in einer solchen Situation einfach die Verwaltung der Mittel selbst übernehmen und sie direkt auszahlen könnte, um Projekte für unschuldige Bürger zu finanzieren, die davon profitieren sollten.
Das zweite Problem besteht darin, dass der Juristische Dienst des Rates (die internen Rechtsberater des Rates) erklärt hat, dass große Teile des ursprünglichen Vorschlags illegal sind. Es ist nicht das erste Mal, dass der Juristische Dienst des Rates versucht, die Schritte der EU zum Schutz der Grundfreiheiten zu sabotieren. Die Regierungen müssen der Meinung des Juristischen Dienstes nicht folgen, und EU-Rechtsexperten haben die schlechte Qualität der Analyse des Juristischen Dienstes kritisiert. Mehr dazu erfährst Du hier.
Diese beiden Abstimmungen im Europäischen Parlament sind wichtige und positive Schritte zum besseren Schutz unserer Rechte und Freiheiten. Bis zum Abschluss der Verhandlungen zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament ist jedoch unklar, ob das Endprodukt wirklich zum Schutz unserer Freiheiten beitragen wird. Wenn diese Verhandlungen nicht vor den Europawahlen im Mai abgeschlossen werden und die Autoritäten bei diesen Wahlen gut abschneiden, müssen wir sogar damit rechnen, dass die Vorschläge stark verwässert oder ganz aufgegeben werden.