Ein in nur wenigen Tagen durch das Parlament gedrücktes Überwachungsgesetz wurde vom Obersten Gerichtshof Großbritanniens für illegal erklärt.
Aufgrund einer von den Parlamentariern David Davis und Tom Watson eingebrachten Klage, bei der diese von Liberty vertreten wurden, befand das Gericht, dass die Sektionen 1 und 2 des Data Retention and Investigatory Powers Act 2014 (DRIPA) nicht mit dem Recht der britischen Öffentlichkeit auf Privatsphäre, auf private Kommunikation und auf den Schutz persönlicher Daten unter den Artikeln 7 und 8 der EU-Charta der Grundrechte, kompatibel sind.
Ein wegweisendes Urteil
Das am Freitag verlesene wegweisende Urteil kommt genau ein Jahr nachdem DRIPA am 17 Juli 2014 die königliche Zustimmung erhalten hat. Drei Monate nachdem der Europäische Gerichtshof die existierende EU Direktive zur Voratsdatenspeicherung wegen der umfassenden Eingriffe in individuelle Rechte und die Privatsphäre für ungültig erklärt hatte, wurde das neue Gesetz von der Koalitionsregierung unter Berufung auf die Notwendigkeit einer Notfall-Gesetzgebung im Schnellverfahren durch das Parlament gepeitscht.
DRIPA erlaubt dem Innenminister, Netzbetreiber dazu aufzufordern, Kommunikationsdaten 12 Monate lang zu speichern. Erfasst werden sämtliche Kommunikationsdaten aller in Großbritannien lebenden Menschen, dazu gehören E-Mails, Anrufe, SMS, und Internetaktivitäten von Parlamentariern, Journalisten, Ärzten sowie weitere Korrespondenz vertraulicher oder geheimer Natur.
Unter DRIPA gesammelte Daten unterliegen dann einem extrem laxen Zugangsregime, wodurch hunderte von öffentlichen Behörden Zugriff auf sie erhalten, von denen viele sich selbst autorisieren können und zwar unter Angabe von Gründen, die nichts mit Ermittlungen im Zusammenhang mit schweren Verbrechen zu tun haben. Jedes Jahr werden etwa 500.000 Anfragen genehmigt
Illegal
Das Hohe Gericht befand die Sektionen 1 und 2 von DRIPA aus folgenden Gründen für illegal:
- es gelingt ihnen nicht, klare und eindeutige Regeln zu schaffen, mit denen sichergestellt wäre, dass Daten nur zum Zwecke der Verhinderung oder Aufklärung schwerer Verbrechen genutzt werden.
- Der Zugang zu den Daten wird nicht von einem Gericht oder einem unabhängigen Gremium autorisiert, deren Entscheidungen den Zugang auf das unbedingt notwendige beschränken könnten. Das Urteil stellt fest: "Die Notwendigkeit, dass die Genehmigung von einem Richter oder einem von der antragstellenden Seite vollständig unabhängigen Beamten kommt, sollte, zumindest wenn die verantwortliche Person ordentlich geschult bzw. erfahren ist, keine größeren Schwierigkeiten bereiten."
Die rechtswidrigen Sektionen von DRIPA werden bis Ende März 2016 in Kraft bleiben, um der Regierung Zeit zu geben, das Gesetz anzupassen. Ab dann werden sie wirkungslos.
Ruf nach Veränderung
James Welch, juristischer Direktor von Liberty:
"Liberty fordert schon seit langem eine grundsätzliche Reform unserer Überwachungsgesetze, um sicherzustellen, dass die Rechte der Öffentlichkeit von unserer Regierung respektiert werden - Die Reihen derjenigen die einen Wandel fordern wachsen. Aktivisten, Parlamentarier aus verschiedenen Parteien, der Regierungseigene Reviewer of Terrorism Legislation, sie alle fordern eine juristische Aufsicht und klarere Sicherheitsmechanismen. Jetzt kommt noch das Hohe Gericht dazu, indem es Kernbestimmungen von DRIPA für illegal erklärt. Jetzt ist es an der Zeit, dass der Innenminister sich zu einer Überwachungspolitik bekennt, die Vereinbar ist mit dem Recht auf Privatsphäre, mit der Demokratie und mit den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Man kann jetzt nicht einfach so weiter machen, als wäre nichts geschehen.
David Davis, Konservativer Parlamentarier:
Das Gericht hat festgestellt, was vielen schon letztes Jahr klar war, dass die übereilte und schlecht durchdachte Gesetzesinitiative vollständig gescheitert ist. Sie werden jetzt das Gesetz dahingehend anpassen müssen, dass eine juristische oder unabhängige Genehmigung erlangt werden muss, bevor die Daten unschuldiger Menschen freigegeben werden, was auch dem neuen Konsens der Experten des Anderson und des RUSI Berichts entspricht. Diese Änderung wird sowohl die Privatsphäre als auch die Sicherheit verbessern und während die Regierung dem Parlament nur einen Tag Zeit gegeben hat, sein neues Gesetz zu bearbeiten, hat das Gericht der Regierung knapp neun Monate Zeit gegeben.
Tom Watson, Labour MP:
"Die Regierung war vorgewarnt, dass das Durchpeitschen wichtiger Sicherheitsgesetze nur zu einem verpfuschten Ergebnis führen kann. Jetzt hat das hohe Gericht bestimmt, dass sie es zurück ans Parlament geben sollen um die Sache ordentlich zu machen. Die Regierung hatte den Parlamentariern einen Tag Zeit gegeben, um das Gesetz zu diskutieren, welches fälschlicherweise so präsentiert wurde, als würde es das Recht auf Privatsphäre respektieren, jetzt hat sie bis März 2016 Zeit, um sicherzustellen, dass das Gesetz neu verfasst wird. Es muss eine unabhängige Übersicht über die Fähigkeit der Regierung geben, Daten zu sammeln und es muss einen ordentlichen rechtlichen Rahmen und verbindliche Regeln über die Nutzung und den Zugang zu den Kommunikationsdaten der Bürger geben.
Ein wachsender Konsens
Das Urteil folgt in seiner Einschätzung weitgehend dem umfassenden Bericht des Reviewer of Terrorism Legislation der Regierung, dem Anwalt der Krone David Anderson, welcher das gegenwärtige Gesetz als "undemokratisch" und "nicht tolerierbar" beschreibt und eine umfassende Überarbeitung der, die staatliche Überwachung regulierenden, Gesetze fordert. Unter anderem empfiehlt er die Erfordernis einer vorherigen juristischen Genehmigung für alle Überwachungsanordnungen und einige Kommunikationsdatenabfragen - eine Forderung für die Liberty schon seit mehr als einer Dekade kämpft.
Ein Bericht zur Überwachung des Royal United Services Institute (RUSI), dessen Gremium ein früherer Generaldirektor des MI5, ein Chef des Geheimdienstes und ein Direktor des Geheimdienstes der Metropolitan Police angehören, hat diese Woche bereits eine ähnliche Empfehlung ausgesprochen. Auch die Labour Partei, die SNP, die Liberaldemokraten, die Grünen und eine Reihe hochrangiger konservativer Parlamentarier, einschließlich des früheren Generalstaatsanwalts und Anwalts der Krone Dominic Grieve, unterstützen die Erfordernis einer juristische Genehmigung.
Jetziges System Unangebracht
An den seltenen Fällen, in denen das Ausspionieren in den letzten Jahren öffentlich geworden ist, kann man sehen, wie unangemessen das derzeitige System ist. Londons Metropolitan Police hat auf die Kommunikationsdaten von Journalisten zugegriffen, die Baronin Doreen Lawrence und ihre Familie ausspioniert und Bürgerinitiativen aus dem sozialen und dem Umweltbereich infiltriert. Dabei sind sie so weit gegangen, dass Aktivistinnen in betrügerischer Absicht zu langfristigen Liebesbeziehungen gebracht wurden, wobei eine Frau sogar ein Kind mit einem verdeckten Ermittler hatte.
Gleichzeitig haben gerichtliche Klagen ergeben, dass das ''Gouvernement Communications Headquarter'' (GCHQ) rechtlich geschützte Gespräche eines Folteropfers abgehört hat, in denen es um dessen Klage gegen die britische Mittäterschaft bei seiner Auslieferung an Gaddafis Lydien ging. Im gleichen Zusammenhang wurden auch anerkannte Menschenrechtsorganisationen ausspioniert.
Innenministerin Theresa May weigert sich bisher noch, sich zu den Empfehlungen des Anderson Berichts zu bekennen Großbritannien ist das einzige Land der Five Eyes Gruppe, einem Zusammenschluss der Geheimdienste Großbritanniens, der USA, Australiens, Kanadas und Neuseelands, in dem es für eine Abhörgenehmigung keines Richters bedarf.
Das gesamte Urteil kann hier nachgelesen werden.
Liberty, Privacy International, Open Rights Group, Big Brother Watch, Article 19 und English PEN haben gemeinsam eine Zusammenfassung über die übereilte verabschiedete Data Retention and Investigatory Powers Bill herausgegeben, die hier erhältlich ist.