Google kündigte an, sich ab Oktober 2025 aus der politischen Werbung in der EU zurückzuziehen. Auch wenn diese Entscheidung aufgrund der Turbulenzen bei den US-Wahlen und der Schwierigkeiten der EU, eine neue Kommission zu bilden, nur wenig Beachtung fand, könnte sie dennoch tiefgreifende Folgen für die Möglichkeiten der Menschen haben, online auf Informationen zuzugreifen oder sich an politischen Diskussionen zu beteiligen.
Die Entscheidung ist besonders für Organisationen der Zivilgesellschaft besorgniserregend, da ihre Aktivitäten oft als politisch eingestuft werden und die meisten ihrer bezahlten Anzeigen unter das neue Regulierungssystem für Transparenz und Targeting von politischer Werbung (TTPA) fallen werden. Googles Rückzug aus diesem Bereich könnte die Herausforderungen für die Zivilgesellschaft weiter verschärfen oder die Gründung neuer politischer Parteien behindern, die oft auf Big-Tech-Plattformen angewiesen sind, um ihr Publikum zu erreichen.
Google begründet seine Entscheidung damit, dass das TTPA zu Rechtsunsicherheit geführt habe. In der Ankündigung hebt Anette Kroeber-Riel, Vizepräsidentin für Regierungsangelegenheiten und öffentliche Politik bei Google in Europa, die übermäßig breite Definition von politischer Werbung im TTPA als einen der Hauptgründe für den Schritt hervor.
Auch wenn wir durchaus anerkennen, dass die Definition von politischer Werbung im TTPA tatsächlich übermäßig weit greift, ist die Entscheidung von Google eine kaum durchdachte Reaktion auf eine fehlerhafte Verordnung. In Googles Ankündigung kritisiert der Konzern den „Mangel an zuverlässigen lokalen Wahldaten, die eine konsistente und genaue Identifizierung von politischen Anzeigen ermöglichen“, auch weil die technischen Leitlinien voraussichtlich erst kurz vor Inkrafttreten der Vorschriften vorliegen werden.
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens immer wieder verschiedene Bedenken vorgebracht. Wir haben die europäischen Gesetzgeber vor den Gefahren einer Überregulierung gewarnt, weil dies den lebendigen öffentlichen Diskurs über kritische politische Anliegen gefährdet. Eine zu weit gefasste Definition von politischer Werbung stellt eine Gefahr für die Meinungsfreiheit und den Zugang zu Informationen dar, da sie restriktive Regeln für Inhalte auferlegt, die gar nicht in den Bereich der politischen Werbung fallen sollten.
Beispielsweise sollten Kampagnen zur Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt nicht auf die gleiche Weise reguliert werden wie Wahlkampagnen politischer Kandidaten. Diese Kampagnen unterscheiden sich erheblich in ihrer gesellschaftlichen Rolle, ihrem potenziellen Einfluss, der angestrebten Macht und ihrem Zugriff auf finanzielle Unterstützung. Die Zivilgesellschaft sollte nicht als Konkurrent politischer Parteien behandelt werden. Die Anwendung derselben Regeln auf ihre Kampagnen schafft unnötige Hindernisse, die ihre Fähigkeit einschränken, ihr Publikum zu erreichen, sich für gesellschaftliche Anliegen einzusetzen und ihre Fundraising-Aktivitäten aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus würde die Gleichsetzung der Zivilgesellschaft mit politischen Parteien der wachsenden Zahl autoritärer Staats- und Regierungschefs in Europa eine rechtliche Grundlage bieten, um die Arbeit der Zivilgesellschaft willkürlich einzuschränken.
Die Entscheidung von Google, keine politische Werbung mehr in der EU zu schalten, wird die Grundrechte der Menschen in dreierlei Hinsicht einschränken. Erstens werden überparteiliche Initiativen, einschließlich „Geh wählen“-Kampagnen, in den Diensten von Google verboten, was den Zugang der Wähler zu wichtigen Wahlinformationen einschränkt. Zweitens werden Kampagnen von Organisationen der Zivilgesellschaft zu allgemeinen Themen wie Abtreibung oder häusliche Gewalt, die mit Gesetzgebungsakten in Verbindung stehen, in den Diensten von Google, vor allem auf YouTube, in der EU nicht mehr erlaubt sein. Diese Einschränkung wird die Fähigkeit der Zivilgesellschaft, ihre Rolle im demokratischen öffentlichen Diskurs zu erfüllen, ernsthaft beeinträchtigen. Große Technologieunternehmen haben bereits politische Inhalte und Nachrichten auf ihren Plattformen herabgestuft. Die Änderung ihres Algorithmus ist an sich schon bedenklich, da nicht wenige Menschen ihre Informationen ausschließlich über diese Plattformen beziehen.
Schließlich führt der Rückzug von Google aus dem Markt für politische Werbung im Wesentlichen zu einem Ungleichgewicht in diesem Sektor, da Meta ein Monopol erhält und politische Parteien, die Zivilgesellschaft und andere Akteure dem Unternehmen ausgeliefert sind.
Die Europäische Union stand bei der Regulierung von Big Tech an vorderster Front. Wegweisende Richtlinien wie der Digital Services Act, der Digital Markets Act, der AI Act und die DSGVO haben die Praktiken der in den USA ansässigen Technologiegiganten maßgeblich geprägt. Es scheint jedoch, dass diese Führungsrolle nur mit Unterstützung der USA aufrechterhalten werden konnte. Die Ankündigung des designierten Präsidenten Trump, die Regulierungsmaßnahmen für Technologieunternehmen zu lockern und die entsprechenden Verfügungen von Präsident Biden an seinem ersten Tag im Amt zu verwerfen, deutet auf einen grundlegenden Wandel hin. Die EU wird sich wohl allein darum bemühen müssen, die Unternehmen zu regulieren, die den Alltag fast aller Menschen auf der Welt stark beeinflussen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass andere Unternehmen dem Beispiel von Google folgen und sich teilweise vom europäischen Markt zurückziehen werden.
Wenn ein Unternehmen, das so eng mit unserem täglichen Leben verbunden ist, einseitig solche Dienste einstellen kann und damit den Zugang zu Informationen, die Möglichkeit, sich eine Meinung zu bilden und am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, untergräbt, während es mit den Diensten, die es in der EU weiter betreibt, enorme Gewinne erzielt, dann sollten wir ein Problem mit dem Gesetz oder seiner Durchsetzung haben.
Die politischen Entscheidungsträger der EU müssen mit Google verhandeln, um sicherzustellen, dass politische Werbung, einschließlich zivilgesellschaftlicher Inhalte, auf ihren Plattformen gedeihen kann. Lokale Initiativen, gemeinnützige Zwecke und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen kommunizieren und erreichbar bleiben können, denn sie sind ein integraler Bestandteil unserer Demokratien.
Dieser Kommentar wurde ursprünglich im EUObserver veröffentlicht.