Es war das erste Mal, dass ein ungarisches Gericht das Verhältnis zwischen Hyperlinking und Meinungsfreiheit untersucht hat. Der Herausgeber des ungarischen Portals 444.hu wurde dabei vor Gericht durch die Hungarian Civil Liberties Union (HCLU) und die Londoner Media Legal Defence Initiative (MLDI) vertreten.
Das ungarische Nachrichtenportal hatte aus allen Perspektiven berichtet
Im September 2013 hatte 444.hu über eine Gruppe von Fußballfans berichtet, die mit einem Bus unterwegs nach Rumänien war. Nahe der ungarisch-rumänischen Grenze stoppte der Bus vor der Schule des Dorfes Konyár, deren Schüler überwiegend der Romo-Minderheit angehören. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war unklar, was dort genau vorgefallen ist und vor allem, ob die Fußballfans die Kinder bedroht haben. Der Autor des Artikels hatte sich bemüht, allen Beteiligten eine Stimme zu geben. Der Artikel präsentierte den Standpunkt des Schulleiters sowie des Polizeichefs und der lokalen Selbstverwaltung der Roma-Minderheiten.
Jobbik klagt gegen YouTube-Link im Artikel
Der Leiter der lokalen Selbstverwaltung der Roma-Minderheiten, Jenő Gyöngyösi, fasste seine Sicht der Ereignisse in einem YouTube-Video zusammen, auf das der Text mit einem Link verwies. In diesem Video sagte Gyöngyösi, die Anhänger einer ungarischen rechtsextremen Partei seien in das Dorf gekommen. Der Artikel von 444.hu selbst enthielt dies Aussage nicht und nahm auch nicht Bezug auf die Partei Jobbik. Jobbik klagte gegen die Website und argumentierte, diese habe durch den Link zu der Erklärung von Gyöngyösi den Ruf der Partei verletzt, weil� dort behauptet wurde, der Vorfall in der Nähe der Schule in Konyár sei tatsächlich von Jobbik organisiert worden.
HCLU und 444.hu haben vor ungarischen Gerichten zunächst verloren
Die HCLU ist der Ansicht, dass die Presse nicht für die Verlinkung von Inhalten Dritter, mit denen sie sich nicht unbedingt identifizieren kann, verantwortlich gemacht werden sollte, solange die Berichterstattung gewissenhaft erfolgt und die ethischen Regeln des Journalismus beachtet werden. Dies gilt insbesondere dann wenn, wie in diesem Fall, kontrastierende Standpunkte zu einem bestimmten Ereignis dargestellt werden. Die ungarischen Gerichte teilten diese Ansicht jedoch nicht und 444 und HCLU hatten den Fall in der ersten, zweiten und dritten Instanz verloren. Selbst das Verfassungsgericht konnte den Fall nicht klären. Nach ungarischer Rechtsprechung ist eine Zeitung, die jemanden zitiert, dafür genauso verantwortlich, als hätte die Zeitung das Zitat selbst gemacht, es sei denn, es handelt sich um einen Bericht über eine Pressekonferenz. Dieses sogenannte Prinzip der objektiven Verantwortung macht es der Presse äußerst schwierig, frei über öffentliche Veranstaltungen zu berichten. In der Hoffnung, dass er feststellen würden, dass die ungarische Praxis die Meinungsfreiheit verletzt, haben die genannten Menschenrechtsorganisationen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufung eingelegt.
Der Europäische Gerichtshof argumentiert, 444.hu habe 'in gutem Glauben' gehandelt.
In seinem Urteil stellte der EMRK fest, dass die ungarischen Gerichte bewusst nicht geprüft haben, ob der Journalist und die Website in gutem Glauben gehandelt und die journalistische Ethik respektiert haben, womit sie gegen die Rechtsprechung des EGMR verstoßen haben. Aus dem Urteil geht hervor, dass die ungarische Praxis der objektiven Verantwortung den freien Informationsfluss im Internet negativ beeinflussen und Autoren davon abhalten kann, Hyperlinks zu verwenden. Der EGMR hat sogar einen Test entwickelt, um zu entscheiden, ob der Autor für die Einbettung eines Hyperlinks verantwortlich gemacht werden kann, und betont, dass die Verantwortung nicht objektiv ermittelt werden kann. Alle Fälle müssen einzeln beurteilt werden.
Die HCLU begrüßt die Entscheidung
"Wir begrüßen die Entscheidung, die ungarische Gerichte, einschließlich des Verfassungsgerichts, verpflichtet, einen differenzierteren Ansatz in Bezug auf Hyperlinks im Internet zu entwickeln. Neben seiner Relevanz für Ungarn gibt es jedoch noch weitere Aspekte des Falles. Journalisten, Blogger und Internetnutzer, die Hyperlinks in ihre Inhalte einbetten, sollten sich künftig keine Gedanken mehr über die rechtlichen Auswirkungen machen müssen, solange sie verantwortungsbewusst handeln", sagte die HCLU Anwältin Dalma Dojcsák.