Freiwillige Maßnahmen reichen nicht mehr aus, wenn es um die Beseitigung terroristischer Inhalte geht, erklärte der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker. In seiner jährlichen Rede zur Lage der Union stellte Juncker den Entwurf einer Verordnung vor, der Social Media-Unternehmen wie Facebook, Twitter und Google zwingen soll, extremistische Inhalte innerhalb einer Stunde zu entfernen.
Auf den ersten Blick wirken die Maßnahmen richtig und wichtig, geht es doch um die Bekämpfung extremistischer Propaganda. Bei einer genaueren Betrachtung fallen aber eine Reihe von Details auf, die diese neuste terrorismusbezogene Verordnung – immerhin die dritte in den letzten 12 Monaten - besonders beunruhigend erscheinen lassen. Und die Art und Weise, wie der Vorschlag formuliert wurde - ohne Transparenz, ohne Folgenabschätzung oder öffentliche Konsultation - ist ebenso alarmierend wie das, was darin steht.
Eher Wahlkampfinstrument als echter Gesetzentwurf
Gerüchte, dass dieser Entwurf ansteht, kursieren schon länger, spätestens seitdem die Financial Times im Sommer das erste entsprechende Dokument veröffentlicht hat. Die jetzige Ankündigung erfolgt besonders zeitnah vor dem geplanten Salzburger Gipfel der österreichischen EU-Präsidentschaft am 18. September, bei dem die Themen Innere Sicherheit und Migration im Mittelpunkt der Agenda stehen.
Die Juncker-Kommission strebt an, Vorschläge für Grenzkontrollen, Sicherheit und justizielle Zusammenarbeit mit einer dauerhaften und robusteren Migrationspolitik zu verbinden. Der Vorschlag zur Beseitigung extremistischer Inhalte ist ein weiteres Element in einem größeren Puzzle.
Und Tschüss, 'freiwilliger Ansatz'
Mit dem Vorschlag hat die Kommission beschlossen, im Umgang mit Internetunternehmen den freiwilligen Ansatz wieder aufzugeben und sie zu zwingen terrorbezogene Videos, Beiträge und Audiospuren von ihren Plattformen zu entfernen. Der freiwillige Mechanismus wurde erst im Januar 2018 etabliert, gefolgt von strengeren Richtlinien und einer auf eine Stunde verkürzten Frist für die Entfernung von Inhalten.
Der Entwurf der Kommission enthält die folgenden Punkte:
- Inhalte, die von (nicht näher definierten) Polizei- und Strafverfolgungsbehörden gekennzeichnet wurden, müssen innerhalb einer Stunde entfernt bzw. deaktiviert werden.
- Die zuständigen nationalen Behörden könnten auf terrorismusbezogene potenzielle Verstöße gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Unternehmen hinweisen, um eine freiwillige Prüfung durch die Internetunternehmen zu erreichen.
- Undefinierte proaktive Maßnahmen, die dazu führen können, dass eine Behörde eine allgemeine Überwachung der Inhalte einfordert.
Der letzte Punkt ist aus Sicht der Meinungsfreiheit besonders besorgniserregend, da er den ersten Vorschlag darstellt, der es den Mitgliedstaaten ermöglichen würde, eine ausdrückliche Ausnahme von Artikel 15 der E-Commerce-Richtlinie zu machen. Dies verbietet es den Regierungen ausdrücklich, von den Internetunternehmen zu verlangen, aktiv zu überwachen, was online hochgeladen und veröffentlicht wird.
Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass das Interesse der Mitgliedstaaten an Anti-Terror-Gesetzen nachgelassen hat - denn nur etwas mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten hat die EU-Richtlinie über Fluggastdatensätze, die von der EU als eine wichtige Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung angekündigt wurde, fristgerecht umgesetzt. Diese Richtlinie wurde im April 2016 nach den Terroranschlägen in Frankreich und Belgien verabschiedet.
Die EU hat unter den Mitgliedstaaten 70 Millionen Euro zur Unterstützung des Aufbaus des Informationsaustauschsystems verteilt. Unterstützer des Systems behaupten, es sei notwendig, um verdächtige Verhaltensmuster zu identifizieren. Aber Kritiker argumentieren, dass das Antiterrorgesetz die Grundrechte untergräbt und wenig dazu beiträgt, dass die Polizei Terrorverdächtige aufspüren kann. In Frankreich beispielsweise wurden nur 13 Personen auf der Grundlage des Informationsaustauschsystems abgefangen.
Eine Schuhgröße passt eben nicht für alle Füße
Angesichts der Lehren aus den früheren europäischen Terrorgesetzen ist Liberties der Ansicht, dass die EU davon absehen sollte, ein einheitliches Programm zur automatisierten Filterung und Entfernung von Inhalten anzuwenden, insbesondere ohne ordnungsgemäße Vorbereitung und Harmonisierung mit EU Gesetzen zur freien Meinungsäußerung und der Charta der Grundrechte.
Diese Lösung passt zu dem Filtertrend, den die Kommission in letzter Zeit für andere kontroverse Themen wie Online-Hassrede, Online-Kinderschutz, audiovisuelle Mediendienste oder jüngst Urheberrechtsschutz eingerichtet hat. Darüber hinaus fordert Liberties die Europäische Kommission nachdrücklich auf, zu vermeiden, die Aufgabe der Strafverfolgung an Internet-Giganten zu übertragen. Diesen Unternehmen fehlen die Ressourcen und das Wissen, um extremistische Inhalte richtig zu definieren. Und die bevorstehenden Europawahlen sollten nicht als Vorwand dienen, um sie zu zwingen, es zu versuchen.