Die Venedig-Kommission hat eine Stellungnahme zu dem umstrittenen neuen Gesetz über das polnische Verfassungsgericht abgegeben, das im Dezember 2015 verabschiedet wurde. Der Entwurf des Dokuments wurde an die Presse weitergegeben und in einer Tageszeitung veröffentlicht, was von einigen Abgeordneten kritisiert wurde.
Beschleunigtes Verfahren
Mitte Dezember 2015 wurde das neue Gesetz über das Verfassungsgericht im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments vorgestellt. Das Gesetzgebungsverfahren wurde ungewöhnlich beschleunigt, was zu vielen Fehlern führte - Experten wurden nicht konsultiert, und auch die durch den Legislativrat des Sejm geäußerten Einwände wurden nicht berücksichtigt.
Eine ganze Reihe von erheblichen Änderungen am ursprünglichen Vorschlag wurde erst während der ersten und zweiten Anhörung eingeführt. Der Sejm verabschiedete das Gesetz am 22. Dezember, und der Senat (das Oberhaus) folgte in einer Abstimmung nach einer Nachtsitzung am 23-24 Dezember. Der Präsident unterzeichnete das Gesetz am 28. Dezember.
Das Gesetz führt viele Vorschriften ein, welche die alltägliche Arbeit des Tribunals behindern. Nach der Reform soll das Tribunal in den meisten Fällen Urteile in einem Plenum mit mehr Richtern entscheiden (13 statt 9).
Zudem müssen alle Fälle in der Reihenfolge behandelt werden, in der sie vor Gericht gebracht wurden und die Verfahren können frühestens 3 oder 6 Monate nachdem alle Parteien informiert wurden stattfinden.
Laut der Helsinki Foundation for Human Rights, welche die aktuelle Verfassungskrise in Polen von Anfang an beobachtet, tragen alle oben erwähnten Änderungen zu der Lähmung der Arbeit des Verfassungsgerichts bei.
Stellungnahme der Kommission
Am 23. Dezember 2015 wandte sich Außenminister Witold Waszczykowski mit der Bitte um eine Stellungnahme zu den Änderungen des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof (die zu dem Zeitpunkt noch vor dem Parlament lagen) an die Venedig-Kommission.
Mitte Februar reisten Delegierte der Kommission nach Polen. Während eines zweitägigen Besuchs trafen sie mit dem Präsidenten, dem Ombudsmann für Bürgerrechte, sowie mit Vertretern des Sejm, des Nationalrats der Justiz, des Verfassungsgerichts und von NGOs zusammen.
Bei dem Treffen mit den Delegierten der Kommission wies die HFHR auf spezifische Regelungen hin, die mit dem neuen Gesetz verabschiedet wurden, die zu einer vollständigen Lähmung der Arbeit des Verfassungsgerichts führen können.
Die HFHR äußerte sich besorgt, dass das neue Gesetz die Unabhängigkeit der Richter einschränken oder einen negativen Einfluss auf das Recht auf ein faires Verfahren haben kann.
Pünktlich nach dem Zeitplan, schickte die Venedig-Kommission am 26. Februar den Entwurf einer Stellungnahme an die Regierung, um ihr die Möglichkeit zu geben zu reagieren. Am nächsten Tag wurde der Entwurf von der Tageszeitung Gazeta Wyborcza veröffentlicht.
"Zerstörerische Wirkung"
Die Venedig-Kommission schloss in dem Entwurf, dass die Arbeit des Verfassungsgerichts deaktiviert wurde, was die grundlegenden Qualitäten der Demokratie verletzt. Die Kommission wünscht, dass der Sejm das Gesetz zurückzuzieht, nach dem neue Richter anstatt derer bestellt wurden, die rechtmäßig vom vorherigen Parlament ernannt wurden.
Die Kommission forderte außerdem alle staatlichen Organe, vor allem die Regierung auf, in Übereinstimmung mit den Urteilen des Gerichtshofs zu handeln.
Die Venedig-Kommission erörtert die umstrittensten Regelungen des Gesetzes im Detail. Bei der Analyse der neuen Regel, nach der Fälle in der Reihenfolge in der sie vor Gericht gebracht wurden zu verhandeln sind, räumte die Kommission ein, dass andere Gerichte in den Ländern des Europarates, etwa das Verfassungsgericht von Luxemburg, auch nach dieser Prämisse arbeiten. Allerdings erlauben die Regelungen dort Ausnahmen und wichtige Fälle können auch außer der Reihe untersucht werden.
Der Entwurf beinhaltet Bemerkungen über die "zerstörerische Wirkung [des Gesetzes] auf das Verfassungsgericht" und stellt fest, dass der Akt drei Grundregeln des Europarats verletzt: Demokratie, Menschenrechte sowie Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit.
Die Venedig-Kommission empfahl ausdrücklich, dass "die Änderungen in den Verordnungen vom 22. Dezember 2015, die die Wirksamkeit des Verfassungsgerichts beeinflussen, gelöscht werden müssen."
Kontroverse
Die Veröffentlichung des Entwurfs der Stellungnahme der Kommission führte zu einer hitzigen Diskussion. Einige Mitglieder der Regierung drückten ihre Überraschung und Empörung über die Tatsache aus, dass der Text an die Medien durchsickern konnte.
Premierministerin Beata Szydło, sagte in einem Interview mit dem TV-Sender TRWAM, dass das Dokument nur ein Entwurf des endgültigen Gutachtens sei und, dass die Regierung plane, diese direkt anzusprechen.
Dennoch erwähnt Szydło, dass "diese Stellungnahme in keiner Weise verbindlich ist, in dem Sinne, dass der Staat den Empfehlungen folgen oder das Gesetz der Stellungnahme anpassen müsste, da wir ein unabhängiges Land sind."
Der Außenminister, bat die Venedig-Kommission, die Sitzung auf der die endgültige Fassung der Stellungnah
me angenommen werden würde bis Juni zu verschieben, aber die Venedig Kommission lehnte diese Anfrage ab.
"Es tut mir leid zu sagen, dass die Arbeit der Venedig-Kommission, sogar noch vor ihren endgültigen Schlussfolgerungen, skrupellos für politische Zwecke verwendet wurde", schrieb der Außenminister an den Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland.
Die endgültige Fassung der Stellungnahme ist bei der Kommissionssitzung am 11. März und 12. März 2016 verabschiedet worden.