Mit der zunehmenden Bedeutung politische Werbung in Wahlkämpfen auf der ganzen Welt eröffnen sich mit dem Aufstieg digitaler Plattformen neue Möglichkeiten für politische Parteien, um Unterstützung zu gewinnen. Unsere Partnerorganisation Reset Tech hat die Wirkung politischer Facebook-Werbung bei den jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) untersucht und dabei einen dringend benötigten Blick darauf geworfen, wie moderne deutsche Wähler mit Botschaften von Politikern und ihren Parteien umgehen.
Europawahlen: Deutschlands Rechtsruck im Jahr 2024
Die Wahl zum Europäischen Parlament 2024 war in Deutschland ein herausragendes politisches Ereignis. Die oppositionelle CDU/CSU ging mit rund 30 Prozent der Stimmen als stärkste Partei aus der Wahl hervor und konnte ihr Ergebnis von 2019 leicht verbessern, während die regierende Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP erhebliche Verluste hinnehmen musste. Vor allem in den ehemaligen ostdeutschen Wahlkreisen dominierte die rechtsextreme AfD, die sich so einen stabilen zweiten Platz sichern konnte. Auch die neu gegründete pro-russische populistische Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“ konnte im Osten ähnliche Zugkraft gewinnen.
Neue Forschungsergebnisse zeigen unerwartete Muster bei den Werbeausgaben
Trotz des starken Anstiegs der Unterstützung für rechtsgerichtete Kandidaten und Parteien bei den Europawahlen 2024 hat die Untersuchung von Reset Tech überraschende Ergebnisse bei der Aufschlüsselung der Wahlkampfausgaben der Parteien ergeben. Um diese Ausgabenmuster zu messen, wurde die Browser-Erweiterung „Who Targets Me“ verwendet, die Facebook-Werbedaten von Nutzern sammelt, die das Tool freiwillig heruntergeladen haben. Die Studie nutzte auch die Facebook-Werbebibliothek, um die gemeldeten Werbeausgaben verschiedener politischer Gruppen zu vergleichen, was zu überraschenden Ergebnissen führte.
Reset Tech entdeckte ein Ausgabenmuster, das ursprünglich nicht vorhergesagt worden war: Rechtsextreme Parteien gaben trotz wachsender Unterstützung vergleichsweise weniger für Facebook-Werbung aus als andere Parteien. Wie ist es möglich, dass Parteien mit wachsender Unterstützung, insbesondere in den sozialen Medien, vergleichsweise weniger ausgeben als Parteien, die an Boden verloren haben? Wie Reset Tech berichtet, könnte dies auf die algorithmische Bevorzugung rechter Inhalte zurückzuführen sein, wodurch der Bedarf an bezahlter Werbung und Verbreitung sinkt. Theoretisch würde dies bezahlte Facebook-Werbung für gemäßigte oder linke Parteien im Vergleich ineffektiv machen, unabhängig davon, wie erfolgreich ihre Kampagnen außerhalb der digitalen Plattformen sind.
Empfehlungen für einen faireren Wahlprozess
Um die unfairen Vorteile zu bekämpfen, die algorithmische Anreize für bestimmte politische Botschaften mit sich bringen, empfiehlt Reset Tech eine Verschärfung der EU-Vorschriften für zielgerichtete Werbung sowie der Transparenzanforderungen. Die Organisation ist der Ansicht, dass eine Ausweitung des Geltungsbereichs der Verordnung über zielgerichtete Werbung und die Transparenz politischer Werbung (TTPA) auf Ausgabenobergrenzen und eine zentralisierte Durchsetzung die Integrität von Wahlen erheblich verbessern würde, indem Regulierungslücken geschlossen und die Effizienz erhöht würden. Diese Änderungen könnten die dringend benötigten Instrumente für mehr Flexibilität in einer sich ständig verändernden politischen Medienlandschaft bereitstellen.
Ressourcen
Reset Tech's research brief (Englisch)
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