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Was ist das Recht auf freie Meinungsäußerung?
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist einer der Grundpfeiler des demokratischen Prozesses und wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, die für alle fair und gleich ist, muss es unbedingt geschützt werden. Tun wir das nicht, schwächen wir die Demokratie.
Jedes Mal, wenn du eine Nachricht auf einem deiner Social-Media-Kanäle teilst, an einer Demonstration teilnimmst oder dich zu einem Thema, das dir am Herzen liegt, an einen Lokalpolitiker wendest, übst du dein Recht auf freie Meinungsäußerung aus. Aber nicht jede Äußerung gilt als freie Meinungsäußerung. Wenn du dich zum Beispiel am Esstisch darüber streitest, ob du dein Gemüse essen sollst oder nicht, gilt das nicht als freie Meinungsäußerung.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist dann gewährleistet, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung - auch wenn sie regierungskritisch ist - äußern können, ohne negative Konsequenzen wie Gefängnis oder Gewaltandrohungen befürchten zu müssen.
Im Jahr 2000 wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung als Grundrecht in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgeschrieben:
- Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
- Die Freiheit und der Pluralismus der Medien sind zu achten.
Die Definition der Redefreiheit schützt jedoch nicht jede Art von Rede. Wie alle Grundrechte ist auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht absolut, d.h. es kann eingeschränkt werden, sofern es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt. Die Einschränkungen müssen zwei Bedingungen erfüllen: 1) Sie sind verhältnismäßig, d. h. die Beschränkungen sind nicht stärker als nötig, um ihr Ziel zu erreichen. 2) Sie sind notwendig und erfüllen tatsächlich Ziele im Interesse der Allgemeinheit oder sind erforderlich, um die Rechte und Freiheiten anderer zu schützen.
Daher kann sich jemand, der kriminalisierte Äußerungen wie Hassreden, terroristische Inhalte oder Kinderpornografie von sich gibt, dafür nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung berufen.
Warum ist das Recht auf freie Meinungsäußerung wichtig für die Demokratie? Warum ist es ein Grundprinzip?
Das Ziel der Demokratie ist, eine pluralistische und tolerante Gesellschaft zu schaffen. Damit das gelingt, muss es den Bürgerinnen und Bürgern möglich sein, frei und offen darüber zu sprechen, wie sie regiert werden möchten und die Machthaber zu kritisieren.
Dieser Austausch von Ideen und Meinungen findet nicht nur einmal am Wahltag statt, sondern ist eine ständige wechselseitige Kommunikation, die während der gesamten Amtszeit einer Regierung stattfindet.
1. Es ist ein Kampf um die Wahrheit
Damit die Bürgerinnen und Bürger sinnvolle Entscheidungen darüber treffen können, wie sie die Gesellschaft gestalten wollen, brauchen sie Zugang zu wahrheitsgemäßen und genauen Informationen über eine Vielzahl von Themen. Das geht nur, wenn die Menschen sich dabei sicher fühlen können, wenn sie die Themen, die ihre Gemeinschaft betreffen, ansprechen.
Der Schutz der Meinungsfreiheit ermutigt die Menschen, ihre Meinung zu sagen. Dadurch wird es einfacher, systemische Probleme von innen heraus anzugehen. Das schreckt Menschen davon ab, ihre Macht zu missbrauchen und davon profitieren langfristig alle.
2. Es sorgt dafür, dass alle zur Verantwortung gezogen werden können
Bei Wahlen haben die Bürger*innen die Möglichkeit, ihre Politiker*innen zur Verantwortung zu ziehen. Um zu entscheiden, wen sie wählen sollen, müssen sie wissen, wie gut eine politische Partei während ihrer Amtszeit gearbeitet hat und ob sie ihre Wahlversprechen erfüllt hat oder nicht.
Indem sie über die drängendsten sozialen Probleme der Gesellschaft berichten, tragen eine freie Presse und zivilgesellschaftliche Organisationen (CSO) dazu bei, dass die Öffentlichkeit erkennt, wie gut die Regierung arbeitet. Dies funktioniert jedoch nur, wenn sie die Freiheit genießen, wahrheitsgemäß über staatskritische Themen zu berichten.
3. Aktive Beteiligung der Bürger*innen
Wahlen und Volksabstimmungen sind eine gute Gelegenheit für die Bürgerinnen und Bürger, die Richtung zu bestimmen, in die sich die Gesellschaft entwickelt, aber sie finden nur alle paar Jahre statt.
Die freie Meinungsäußerung stärkt andere Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit, die die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen, um die öffentliche Entscheidungsfindung zu beeinflussen, indem sie an Protesten und Demonstrationen teilnehmen oder sich an Kampagnen beteiligen.
So können sie gegen eine unpopuläre Entscheidung protestieren, wie z. B. gegen das Abtreibungsverbot in Polen, oder der Regierung zeigen, dass sie ein stärkeres politisches Handeln in einer wichtigen Frage wünschen. Als die Demonstranten in Deutschland zu Hunderttausenden auf die Straße gingen, um gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren, war dies ein deutliches Zeichen an die Regierung, dass die Bevölkerung starke Sanktionen gegen Russland unterstützt.
4. Meinungsfreiheit fördert die Gleichberechtigung von Minderheiten
In einer demokratischen Gesellschaft sollten alle gleich und fair behandelt werden. Minderheitengruppen, die in der Regierung unterrepräsentiert sind, werden jedoch oft ausgegrenzt und ihre Meinungen werden zugunsten derjenigen der dominierenden gesellschaftlichen Gruppe vernachlässigt.
Indem sie Kampagnen organisieren und offen über die Probleme ihrer Gemeinschaften sprechen, können marginalisierte Menschen eine breite öffentliche Unterstützung für ihre Sache gewinnen. Dadurch haben sie mehr Möglichkeiten, die öffentliche Agenda zu beeinflussen und Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen.
5. Unverzichtbar für Veränderung und Innovation
Wir alle wollen, dass die Gesellschaft für alle besser wird, aber eine Voraussetzung dafür ist, dass die Gesellschaft die freie Meinungsäußerung aktiv fördert und vorantreibt. Autoritaristische Regierungen, die Kritik unterdrücken und Informationen von öffentlichem Interesse zurückhalten, verweigern den Bürgerinnen und Bürgern das Recht, informierte Entscheidungen zu treffen oder in wichtigen gesellschaftlichen Fragen aktiv zu werden.
Das Verschweigen wichtiger Informationen führt dazu, dass sich Probleme verschlimmern. Das behindert den Fortschritt und macht es viel schwieriger, eine Lösung zu finden, wenn das Problem schließlich ans Licht kommt.
In China zum Beispiel wurde der Arzt, der versuchte, die medizinische Gemeinschaft vor einem tödlichen Virus - Covid-19 - zu warnen, aufgefordert, "keine falschen Kommentare abzugeben", und es wurde gegen ihn wegen "Verbreitung von Gerüchten" ermittelt. Dies hatte den verheerenden Effekt, dass die Einführung von Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 verzögert wurde und fürhte schließlich zu einer weltweiten Pandemie mit Millionen von vermeidbaren Todesfällen.
Inwiefern ist das Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht?
1. die Regierung
Autoritaristische Regierungen, deren oberstes Ziel es ist, an der Macht zu bleiben, wollen sicherstellen, dass die Berichterstattung in den Medien positiv ausfällt. Um die öffentliche Berichterstattung zu kontrollieren, ernennen sie politische Figuren zu Entscheidern in Medienbehörden und üben finanzielle und redaktionelle Kontrolle über die Mainstream-Medien aus, wie unsere Mitgliedsorganisation in ihrem Bericht "Media Freedom Report 2022" zeigen. Ein besonders krasses Beispiel dafür ist Ungarn, wo über 80 % des Medienmarktes direkt oder indirekt von der ungarischen Regierung kontrolliert werden.
2. Justiz
Regierungen nutzen restriktive Gesetzesreformen, die Kontrolle von Menschenmengen durch die Polizei oder außergewöhnliche Notfallmaßnahmen, um die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Als Notfallmaßnahme während der Covid-19-Pandemie schränkten Länder wie Belgien, Bulgarien, Deutschland, Slowenien und Spanien die Ausübung des Rechts auf Protest im Interesse der öffentlichen Gesundheit unverhältnismäßig stark ein, und zwar durch hartes Durchgreifen der Polizei und durch gezielte Verhaftung von Aktivist*innen.
Andere rechtliche Mittel, die der Staat einsetzt, um den Informationsfluss zu kontrollieren, bestehen darin, die Verbreitung von Falschinformationen zu kriminalisieren oder den Zugang zu Informationen zu verweigern.
In Russland wird der Einmarsch in die Ukraine von Putin als "Militäroperation" bezeichnet und die Russinnen und Russen verstehen sehr gut, dass sie mit der Verwendung des Wortes "Krieg" gegen die "Fake News" Gesetze verstoßen, was zu einer Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren führen kann. Das hat zur Folge, dass viele Russ*innen, die gegen den Krieg sind, zum Schweigen gebracht werden, während andere die Wahrheit über das, was passiert, vielleidcht gar nicht kennen.
3. Angriffe auf Journalisten, CSOs und Whistleblower
Politiker*innen und mächtige Persönlichkeiten, die befürchten, dass Journalist*innen ihr korruptes Verhalten aufdecken könnten, greifen zu schmutzigen, außergesetzlichen Taktiken, um sie zum Schweigen zu bringen. Zu den üblichen Strategien gehörenjuristische Schikanen durch SLAPPs (strategische Klagen) oder Verleumdungskampagnen, die darauf abzielen, kritische CSOs zu diskreditieren.
Whistleblower sind mit verheerenden persönlichen Konsequenzen konfrontiert, wenn sie gegen das öffentliche Interesse gerichtete Aktivitäten wie Korruption, illegale Machenschaften oder Fehlverhalten aufdecken.
Journalist*innen und Bürgerrechtsaktivist*innen sind außerdem immer häufiger von verbaler oder körperlicher Gewalt bedroht, auch durch die Polizei.
4. Online
Hassreden oder Online-Trolling können ein feindseliges digitales Umfeld schaffen, das Frauen und marginalisierte Menschen davon abhält, sich an sozialen Online-Debatten zu beteiligen.
Gut gemeinte Bemühungen, dieses Problem zu bekämpfen, können jedoch ungewollt die gleichen mundtot machenden Auswirkungen haben.
Die Europäische Union setzt derzeit den Digital Services Act durch, der das Internet sicherer machen und die Meinungsfreiheit im Netz schützen soll. Die von ihr vorgeschlagene Lösung zur Bekämpfung von Desinformation könnte jedoch das Gegenteil bewirken. In unserem Brief an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments haben wir davon abgeraten, Upload-Filter zwingend vorzuschreiben, um schädliche Online-Inhalte zu entfernen, denn sie sind nicht ausgereift genug, um zwischen Humor und Missbrauch zu unterscheiden. Wenn sie eingesetzt werden, könnten sie die freie Meinungsäußerung im Internet einschränken.
5. Selbstzensur
Jeder Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung vermittelt die Botschaft, dass es gefährlich sein kann, die Wahrheit auszusprechen. Die Unklarheit darüber, was akzeptabel ist und was nicht, bringt die Menschen dazu, vorsichtig zu sein und sich selbst zu zensieren. In unserem Media Freedom Report 2022 haben wir festgestellt, dass sich Journalist*innen in Bulgarien, Deutschland, Ungarn, Italien, Slowenien und Schweden aufgrund von Online-Angriffen oder Belästigungen selbst zensieren.
Wie lässt sich das Recht auf freie Meinungsäußerung schützen?
Um die Meinungsfreiheit zu schützen, sollte es Gesetze geben, die Personen und Organisationen schützen, die bedroht werden, weil sie Korruption oder unethisches Verhalten aufdecken. Journalist*innen, Watchdogs, Aktivist*innen und Whistleblower sollten einen soliden rechtlichen Schutz erhalten, der es ihnen ermöglicht, ihre Arbeit sicher zu verrichten und sie vor Vergeltungsmaßnahmen derjenigen abschirmt, die sie zum Schweigen bringen wollen.
Aus diesem Grund setzt sich Liberties für bessere Gesetze zum Schutz der Medienfreiheit ein. Der Media Freedom Act (MFA), der derzeit von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wird, hat das Potenzial, wirklich etwas zu bewirken. Wir haben der Kommission unseren Bericht über die Medienfreiheit vorgelegt, in dem wir den Zustand der Medienfreiheit in 15 EU-Ländern untersucht haben, außerdem ein Strategiepapier mit Empfehlungen, die unserer Meinung nach im MFA berücksichtigt werden sollten. Dazu gehören Maßnahmen zur Förderung der Transparenz bei den Medieneigentümern und Regeln, die die journalistische Arbeit sicherer machen sollen.