Technologie & Rechte

#WeDecide: Direkte oder Repräsentative Demokratie - Wer entscheidet?

Bei kollektiven Entscheidungen, die unser Leben stark beeinflussen, sollten alle ein Mitspracherecht haben, trotzdem würden viele von uns lieber Zeit mit der Familie verbringen, statt sich über Steuerschwellen und Schifffahrtsvorschriften zu informieren.

by Orsolya Reich

Wie wir im viertenTeil dieser Serie dargelegt haben, halten einige die direkte Demokratie für die einzig wahre Form der Demokratie. Wenn wir den Abgeordneten die Macht geben, für uns Entscheidungen zu treffen, machen wir einen Kompromiss - einen Kompromiss zwischen unseren Idealen und der praktischen Realität. Wir würden gerne alle Entscheidungen treffen, die uns betreffen, wir verfügen aber leider nicht über die notwendigen Ressourcen. Jemand muss unser Brot backen, kaputte Waschmaschinen reparieren, Straßen bauen, gebrochene Knochen heilen und so weiter. Wenn wir alle versuchen würden, eine fundierte Entscheidung zu allen Fragen zu treffen, die eine gemeinsame Entscheidung erfordern, würden wir wohl alle verhungern, oder zumindest würden unsere Waschmaschinen nie repariert werden. Um Zeit zu sparen (und Geld, denn die Durchführung großer Volksabstimmungen ist ziemlich teuer!) und um die Möglichkeit zu haben, unseren täglichen Geschäften nachzugehen, delegieren wir lediglich einen Teil unserer Entscheidungsbefugnisse an Volksvertreter.

Einige, die oben genannte Ansicht teilen, sind auch der Meinung, dass es zwar in früheren Zeiten wahrscheinlich eine gute Idee war, einige tausend Menschen dafür zu bezahlen, in unserem Namen kollektive Entscheidungen zu treffen, heutzutage sei das aber nicht mehr der nötig. Beim jetzigen Stand der technologischen Entwicklung sind Informationen leicht zu beschaffen, und es ist viel billiger als früher Referenden abzuhalten. In Europa hat fast jeder einen einfachen Zugang zum Internet, wir müssen nur eine sichere Online-Plattform entwickeln, und alle können von zu Hause oder sogar über ihre Smartphones wählen. Folgerichtig argumentieren sie, es sei endlich an der Zeit, den alten Kompromiss loszuwerden, unsere Macht zurückzuerobern und diese gemeinsamen Entscheidungen direkt zu treffen.

Aber ist das wirklich so? Ist die repräsentative Demokratie nur ein trauriger, aber notwendiger Kompromiss, den wir im Namen der Effizienz eingehen müssen (oder mussten)? Ist die direkte Demokratie die eigentliche Form der Demokratie?

Erinnere Dich, der Begriff Demokratie steht für "das System, das unserer moralischen Unterstützung würdig ist". Auf der einen Seite scheint es, dass repräsentative Demokratien ziemlich gut funktionieren: Sie sind recht effizient bei der Lösung von Problemen und da die meisten Menschen meistens auch die Entscheidungen ihrer Repräsentanten akzeptieren, sind sie auch eher stabil. Sie funktionieren nicht nur gut, sie verdienen auch unsere moralische Unterstützung - sie behandeln alle Menschen öffentlich als gleichwertig und die Interessen aller zählen. Andererseits wird jedoch in den gleichen repräsentativen Demokratien das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben, die Wahlbeteiligung sinkt und die politische Entscheidungsfindung wird zunehmend von den Bürgern und ihren Präferenzen abgekoppelt. Diese Probleme bedürfen sicherlich einer Lösung, aber aus der Tatsache, dass die derzeitigen Probleme der repräsentativen Demokratien gelöst werden müssen, folgt noch lange nicht, dass wir uns vom repräsentativen Prinzip verabschieden müssen. Repräsentation ist kein trauriger, sondern ein notwendiger Kompromiss.

Bei kollektiven Entscheidungen, die unser Leben stark beeinflussen, sollten alle ein Mitspracherecht haben, trotzdem würden viele von uns lieber mehr Zeit mit der Familie verbringen, anstatt sich mit Mehrwertsteuerschwellen und Schifffahrtsvorschriften auseinanderzusetzen.

Viele von uns würden es zutiefst bedauern, jeden Abend auch nur 10 Minuten damit verbringen zu müssen, sich in die zentrale Referendumsplattform einzuloggen und auf die schönsten legislativen Optionen zu klicken. Zu behaupten, diejenigen von uns, die dazu keine Lust haben, seien eben faule Säcke und würden es deshalb auch nicht verdienen, dass ihre Ansichten berücksichtigt werden, ist kein besonders gutes Argument. Es ist schließlich eine legitimer Wunsch, die Freizeit lieber mit der Familie (oder mit fast allem anderen) zu verbringen, als - sagen wir - Frachtvorschriften zu studieren. Es ist ein völlig legitimer Wunsch, andere Menschen dafür bezahlen zu wollen, die Schifffahrtsvorschriften zu studieren und Dein Wertesystem und Deine Interesse zu berücksichtigen, wenn sie eine Entscheidung darüber treffen, welche Regeln sie aufstellen sollen, während Du die Bedürfnisse Deiner Lieben berücksichtigst. Wenn wir die Repräsentation abschaffen würden, würden wir die Legitimität dieser und ähnlicher vollkommen angemessener Wünsche leugnen.

Darüber hinaus hat auch die reine direkte Demokratie selbst eine Reihe von Mängeln, die auch nicht geringer sind als die der repräsentativen Demokratie. Erstens ist bei Volksabstimmungen die Anzahl der Optionen, die auf einen Stimmzettel Platz finden, begrenzt. Es gibt kein Forum, um nach politischen Entscheidungen zu suchen, die für alle akzeptabel wären. Zweitens, weil hinter den einzelnen Bürgern kein Wahlkreis steht, sind diese auch nicht dazu angehalten, die Bedürfnisse aller zu berücksichtigen, und wenn wir alles durch Referenden entscheiden würden, wären die Chancen, in eine Tyrannei der Mehrheit zu geraten, sehr hoch.

Das bedeutet aber nicht, dass wir überhaupt keine direkte Demokratie haben sollten. Die Probleme der repräsentativen Demokratie sind real. Die Menschen sollten das Vertrauen in die Demokratie zurückgewinnen und sehen, dass es für die Entscheidungsträger wichtige Anliegen gibt. Direkte und repräsentative Demokratie sollten sich gegenseitig ergänzen.

Ein pessimistischer Leser kann hier sagen, dass wir vorschlagen, zwei Systeme zu mischen, deren Unvollkommenheit wir gerade bewiesen haben. Aber so ist es nicht. Du bekommst kein gutes Brot, wenn du nur Mehl oder nur Hefe hast. Aber wenn du beides hast (und einige andere Zutaten), dann schon.

Reine direkte Demokratie und reine repräsentative Demokratie würden keine gute Demokratie ausmachen. Aber wenn wir sie mischen und freie Medien und eine gesunde Zivilgesellschaft hinzufügen, stehen die Chancen gut, dass wir genau das bekommen, was wir brauchen.

Wie denkst Du darüber? Bist Du der Meinung, dass Europa mehr direkte Demokratie braucht? Wenn ja, über welche Themen sollten wir in Referenden entscheiden und warum? Hinterlasse einen Kommentar unter unserem Facebook-Post und diskutiere deine Ideen mit uns und den anderen Lesern. Und denke daran, nächste Woche wiederzukommen, um den letzten Teil der #WeDecide-Serie zu lesen, in dem es um die EU gehen wird.

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