Die europäischen Demokratien sehen sich in den letzten Jahren durch den Aufstieg autoritärer Politiker und Politikerinnen, durch schwache Regeln für politische Werbung im Internet und aufgrund zunehmender Angriffe auf Presse und zivilgesellschaftliche Watchdog-Organisationen einer immer stärker werdenden Bedrohung ausgesetzt.
Der Aktionsplan für Demokratie ist eine sinnvolle Absichtserklärung der Kommission, aber sie muss die bestehenden Probleme jetzt frontal angehen und darf nicht auf Zehenspitzen um sie herumschleichen.
Die Kommission schlägt vor, sich mit den Regeln für politische Online-Werbung zu befassen, um das Microtargeting von Wählern in sozialen Medien einzudämmen.
Eva Simon, Senior Advocacy Officer der Civil Liberties Union for Europe (Liberties):
"Die Regeln für politische Online-Werbung werden zunehmend als ein Trojanisches Pferd wahrgenommen, mit dessen Hilfe gewisse politische Gruppierungen und andere unheilvolle Einflüsse versuchen, Wahlen zu manipulieren. Die Absicht der Kommission, im Jahr 2021 einen Gesetzesvorschlag zur Transparenz gesponserter politischer Inhalte vorzulegen, kommt deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt.
Mehr Transparenz darüber zu schaffen, wer welche Anzeigen schaltet und auf wen diese Werbung zielt, ist ein wichtiger erster Schritt. Aber Transparenz allein wird das Problem in den sozialen Netzwerken nicht lösen, wo durch die Echo-Kammern die Chance, von Gegenargumenten erreicht zu werden und an politischen Debatten teilzunehmen, immer weiter abnimmt.
Zusätzlich zu einer vernünftigen Gesetzgebung, die Transparenz vorschreibt, müssen wir die bestehenden Datenschutzbestimmungen durchsetzen, so dass, wenn keine Zustimmung der Betroffenen vorliegt, Data Harvesting und Micro-Targeting tatsächlich verboten und Verstöße gegebenenfalls auch sanktioniert werden.
Seit dem Bekanntwerden des Cambridge-Analytica-Skandals haben wir gesehen, wie wichtige Wahlen manipuliert werden können, wenn keine ausreichenden demokratischen Schutzmechanismen vorhanden sind: indem man die Daten von Menschen online sammelt und sie einseitigen, auf sie zugeschnittenen Botschaften aussetzt
Eva Simon war maßgeblich an einer gemeinsamen Kampagne verschiedener Akteure für vollständige Transparenz im Bereich der politischen Online-Werbung beteiligt.
Auch die Freiheit der Medien muss gewahrt werden
Aber Demokratie besteht nicht nur aus Wahlen. Es geht auch darum sicherzustellen, dass Organisationen, die den Demokratien helfen, richtig zu funktionieren, wie etwa unabhängige Medien und eine starke Zivilgesellschaft, frei von übermäßigem Druck arbeiten können. Knebelklagen, sogenannte SLAPPs, sind ein sich ausbreitendes Mittel in der EU, mit desse Hilfe öffentliche Beobachter (Watchdogs) und Journalisten, die Fehlverhalten, Korruption oder schädliche Praktiken aufdecken, schikaniert und eingeschüchtert werden können.
Linda Ravo, Advocacy Consultant bei der Civil Liberties Union for Europe (Liberties):
"Die Kommission hat Recht, wenn sie gegen SLAPP-Klagen vorgehen will, weil diese eine Bedrohung für die Demokratie darstellen. Zwielichtige Unternehmen und korrupte Politiker überziehen regelmäßig Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Aktivistengruppen in der gesamten EU mit missbräuchlichen Gerichtsverfahren, um sie finanziell und personell ausbluten zu lassen, ihren Ruf zu schädigen und das Leben der Betroffenen zur Hölle zu machen. Der einzige Zweck dieser Klagen besteht darin, unerwünschte zivile Aufsicht einzuschränken".
"SLAPPs sind eine gefährliche Form der Zensur, mit der Medien und zivile Beobachter (Public Watchdogs) ausgeschaltet werden sollen. Wir sind aber auf diese Akteure angewiesen, um die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen und die demokratische Debatte aufrechtzuerhalten. Dennoch gibt es in keinem EU-Land brauchbare Regeln, um diesem Missbrauch entgegenzuwirken. SLAPPs sind ein Problem in der gesamten EU, und deshalb brauchen wir eine Lösung, die EU-weite Mindeststandards festlegt. Wir hoffen, dass ein starkes EU-Anti-SLAPP-Gesetz den Kern der Initiative bildet, welche die Kommission für 2021 als Teil ihres Aktionsplans für Demokratie angekündigt hat".
Linda Ravo hat ein Modell für ein EU-Anti-SLAPP-Gesetz (a model EU anti-SLAPP law) verfasst, das diese Woche veröffentlicht wurde - eine Initiative einer Koalition von mehr als 60 NGOs und Medien, die den politischen Entscheidungsträgern in der EU zeigen soll, dass Regeln zum Schutz ziviler Beobachter vor solchen Knebelklagen in Reichweite sind und dass es Zeit ist zu handeln.