Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat keinen Grund gefunden, an der Beurteilung der nationalen Gerichte zu zweifeln, dass sich S. Drélingás des Völkermords schuldig gemacht hat.
Drélingas hätte wissen müssen, dass Partisanen getötet werden
Der EGMR wies auch das Argument zurück, dass Drėlingas nicht für Völkermord verurteilt werden könne, weil er persönlich nicht die Entscheidung getroffen habe, die Todesstrafe anzuwenden, oder die Partisanen zu verbannen. Der EGMR betonte, dass selbst reguläre Soldaten nicht blind Befehle befolgen sollten, die gegen die international anerkannten Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Leben, verstoßen. Die litauischen Gerichte stellten fest, dass S. Drėlingas hätte erkennen müssen, dass Partisanen umgebracht werden, da er Erfahrung mit dem MGB und dem KGB hatte.
S. Drėlingas wurde strafrechtlich verfolgt, nachdem Litauen seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte. Ihm wurde vorgeworfen, an einer geheimen Operation zur Inhaftierung eines Kommandanten des Widerstands gegen die sowjetische Besatzung, A. Ramanauskas (nom de guerre "Vanagas" oder "Der Falke"), und seiner Frau Birutė Mažeikaitė (nom de guerre "Vanda"), beteiligt gewesen zu sein.
Der Oberste Gerichtshof der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik verurteilte Vanagas zu einer Gefängnisstrafe, wo er unter brutaler Folter verhört, schwer verletzt und schließlich zum Tode verurteilt wurde. Der selbe Gerichtshof ordnete auch an, dass Vanda für acht Jahre nach Sibirien ins Exil geschickt wird.
Straßburger Gericht weist Beschwerde ab und stützt litauische Gerichte
In seiner Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stützte sich S. Drėlingas auf Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention (keine Strafe ohne Gesetz) und argumentierte, dass der Begriff des Völkermords, den die litauischen Gerichte in seiner Rechtssache anwandten, nicht mit dem Völkerrecht vereinbar sei und dass die Verurteilung selbst rückwirkend sei.
Der EGMR stimmte jedoch den Feststellungen des Obersten Gerichtshofs Litauens zu, insbesondere, dass litauische Partisanen "ein bedeutender Teil des litauischen Volkes als nationale, ethnische Gruppe" darstellten und dass die sowjetische Repression gegen einen bedeutenden Teil des litauischen Volkes gerichtet war, welches durch nationale und ethnische Merkmale definiert sei. Dieser Teil der nationalen, ethnischen Gruppe beeinflusste das Überleben des litauischen Volkes stark und trug zum Schutz der nationalen Identität, der Kultur und des nationalen Bewusstseins Litauens bei. Die Versuche, diese Gruppe zu zerstören, hätten eindeutig darauf abgezielt, das Überleben der litauischen Nation zu untergraben, was bedeutet, dass die damit in Zusammenhang stehenden Verbrechen als Völkermord im Sinne des UN-Übereinkommens gegen Völkermord angesehen werden können.
Mit diesen Argumenten bestätigte der EGMR, dass die Verurteilung von S. Drėlingas gerechtfertigt war und dass Artikel 7 nicht verletzt wurde.
Das vollständige Urteil im Fall Drėlingas v. Lithuania kann hier eingesehen werden.