In diesem Artikel analysiert Pilar Eirene de Prada den Fall Sacharow und dessen Einfluss auf eine breit angelegte Überwachung, die unsere Rechte und Freiheiten bedroht.
Seit 2013, als Edward Snowden die Methoden offenlegte, mit denen die Vereinigten Staaten und andere westliche Mächte die Kommunikation massiv abhören, ist es keine Frage mehr, ob diese Überwachung stattfindet. Mag sein, dass wir das ganze ohne allzu große Sorge akzeptiert haben, wir fühlten uns geschützt durch die Anonymität der Zahlen und die Annahme, wir hätten nichts zu verbergen, aber die international wirksamen Mechanismen der Massenüberwachung sind eine ernsthafte Bedrohung der Menschenrechte, was sich auch in der wachsenden Sorge der Vereinten Nationen wiederspiegelt.
Hyper-Überwachung
Die UNO-Generalversammlung hat Resolutionen verabschiedet, z.B. das right to privacy in the digital age, die UN-Menschenrechtskommission hat Berichte veröffentlicht und im Juli 2015 wurde ein Sonderberichterstatter eingesetzt. Seit 9/11 ist das Niveau der Überwachung und der sozialen Kontrolle ins Groteske gewachsen und Tag für Tag strengen sich die Regierungen an, es durch neue Gesetze weiter zu verfestigen.
Das von der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Roman Zakharov vs. Russia gesprochene Urteil sollte in Zusammenhang mit dieser zunehmenden Besorgnis gesehen werden. Die ersten Anzeichen dieser Sorge waren - auf europäischer Ebene - das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Aufhebung der Safe-Harbor Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten (der Fall Schrems) und die Resolution des Europäischen Parlaments in Bezug auf die großflächige Überwachung der europäischen Bürger, wobei jeweils die wichtige Rolle Snowdens hervorgehoben wurde.
Die Demokratie wird durch Rechte definiert
Dies ist ein äußerst wichtiger Fall und angesichts der globalen Dimension des Problems darauf angelegt ist, einen Präzedenzfall zu schaffen.Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterzieht das russische Rechtssystems einer gründlichen Analyse in Bezug auf das relative Ausmaß, in dem Instrumente zur geheimen Überwachung des Telekommunikationsverkehrs geregelt sind.Eine großzügige Auslegung von Artikel 34 der Konvention machte es möglich ein ganzes System auf den Prüfstand zu setzen, wobei ausdrücklich auf das Minderheitsvotum des Richters Dedov verwiesen wurde.
Das Recht auf Privatsphäre, wie auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, sind von wesentlicher Bedeutung und zwar nicht nur für Individuen, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Es ist eines der Rechte, welche die Demokratie definieren, was sich auch in der der Mehrheitsmeinung des Richters Ziemele ausdrückt, der erklärt, dass Gesetze wie das russische "dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen zuwiderlaufen."
Der EGMR betont, dass die Legalisierung keine ausreichende Garantie gegen Missbrauch und den willkürlichen Einsatz des geheimen Zugangs zu Kommunikation darstellt, denn diese Legalisierung garantiert nicht unbedingt, dass die Mittel der Überwachung ausschließlich dann zum Einsatz kommen, wenn es "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist."
Er legt fest, dass eine echte und effektive Kontrolle über diese Interventionen zu gewährleisten ist, sowohl durch das Gesetz als auch durch die Bürgerinnen und Bürger bei der Wahrnehmung und Verteidigung ihrer Rechte.Diese Kontrolle sollte den gesamten Prozesses der Überwachung betreffen und die Umstände und Bedingungen definieren, unter denen die abgehörten Daten gespeichert oder vernichten werden.
Machs wie die Russen?
Wir sollten das Urteil als Aufforderung verstehen, uns einmal unser eigenes System gründlich anzuschauen. Die spanische Gesetzgebung zu diesem Thema unterscheidet sich kaum von der russischen. Spanien hat 2001 mit SITEL ein integriertes System der Kommunikationskontrolle eingeführt, allerdings war dieses System aufgrund von Zweifeln an seiner Rechtmäßigkeit erst 2004 einsatzbereit.Die Nationale Polizei, die Guardia Civil und der Nachrichtendienst (CNI) haben direkten Zugang zu diesem System.
Doch während im russischen Recht die 'Order 70' die technischen Details des geheimen Zugangs zu Kommunikation beschreibt, bleiben der Öffentlichkeit in Spanien die technischen Details, wie 'SITEL' oder gar das neue System 'Evident X-Stream' funktionieren verborgen.
SITEL ermöglicht den direkten Zugriff auf die Systeme der Netzwerkanbieter, um Informationen über ihre Nutzer zu erhalten, was wiederum bedeutet, dass Abhörmaßnahmen vor der Gerichtsentscheidung beginnen können, und zwar auch um Indizien zu erhalten, die später verwendet werden können, um die Operation zu rechtfertigen. In dieser Hinsicht ist der EGMR eindeutig und erklärt, eine Möglichkeit der Absicherung gegen Missbrauch und willkürlichen Zugang der Behörden läge darin, zu verlangen, dass dem Dienstanbieter vor dem Zugang zu den Kommunikationsdaten eine richterliche Genehmigung vorgelegt werden muss.
Ungenügende Garantien
Das Gesetz, welches die Untersuchungen des CNI vor der Ausstellung eines Durchsuchungsbefehls regelt, lässt fast alle entscheidenden Aspekte dieser heiklen Angelegenheit undefiniert.Es legt nicht fest, wie und unter welchen Umständen abgefangene Daten gespeichert, genutzt oder zerstört werden können bzw. müssen.
Die Reform des Strafprozessrechts hat auch viele Lücken. Sie bietet Überwachungsmöglichkeiten, die enorme Unsicherheiten erzeugen. Die Verwendung von Spionage-Software, welche die Überwachung von fast allem ermöglicht, wird erwogen und es wird den Richtern überlassen, dafür zu sorgen, dass diese Daten nicht Missbraucht werden. Fragen der Speicherung und der Vernichtung von Daten bleiben ungeklärt, so dass der Ermessensspielraum in diesen wichtigen Fragen übermäßig groß ist.
Der EGMR ist nicht der Auffassung, dass die Systeme, die auf richterliche Genehmigungen und Durchsuchungsbefehle setzen, um die Kommunikation abzuhören ausreichende Garantien bieten.
Darüber hinaus verlangt das Gericht wesentlich höhere Standards in Bezug auf die "Qualität" der Rechtsvorschriften, die das geheime Abhören der Kommunikation der Bürger sowie die Möglichkeiten derselben dagegen in Berufung zu gehen regeln, um die Eingriffe in die Grundrechte der Bürger zu rechtfertigen.
Pilar Eirene de Prada ist als Rechtsanwältin und Politologin spezialisiert auf 'peace-building', sie ist auch Aktivistin für Menschenrechte und Frieden. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Rolle der Zivilgesellschaft in Friedensprozessen.