Demokratie & Gerechtigkeit

Konditionalitätsmechanismus gegen Ungarn: Was ist zu erwarten?

Es gehört zu den Aufgaben der EU, dafür zu sorgen, dass die Abgaben der Bürger/innen auch im Sinner der Bürger/innen ausgegeben werden. Aber was passiert, wenn EU-Mittel in die Taschen korrupter Politiker und Unternehmen umgeleitet werden?

by Eleanor Brooks

Was ist der Konditionalitätsmechanismus? Wie fördert er die Rechtsstaatlichkeit?

Die EU stellt ihren Mitgliedsstaaten Mittel zur Verfügung, um das Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Das Geld stammt aus den Beiträgen der Bürgerinnen und Bürger, die über ihre Einkommenssteuer oder die Mehrwertsteuer, die beim Kauf von Waren und Dienstleistungen erhoben wird, bezahlt werden. Die Aufgabe der Regierung besteht darin, das Geld in die soziale Infrastruktur ihres Landes zu investieren, damit die Gemeinden davon profitieren können, z. B. durch den Bau von Krankenhäusern, durch Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, oder indem Schulen finanziert werden.

In gewisser Weise handelt es sich um ein Kreislaufsystem - das Geld wird von den Bürgerinnen und Bürgern gesammelt, von der EU treuhänderisch verwaltet und vertrauensvoll an die Regierungen der Mitgliedsstaaten weitergeleitet, damit diese es über öffentliche Dienstleistungen wieder an die Bürgerinnen und Bürger verteilen können.

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Wenn Politiker das Geld aber dazu verwenden, ihre eigenen Taschen zu füllen und ihre Freunde zu bereichern, bricht das System zusammen. Als Institution, die das Geld gesammelt hat, ist die EU den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Gelder auch in ihrem Sinne verwendet werden. An dieser Stelle kommt der Konditionalitätsmechanismus ins Spiel.

Der Konditionalitätsmechanismus ist ein Instrument, um das Geld der EU-Bürgerinnen und -Bürger zu schützen, indem er es der EU ermöglicht, bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit Gelder von einem Mitgliedsstaat zurückzuhalten. Wenn sich korrupte Politiker öffentliche Gelder in die eigene Tasche schaufeln, ist das ein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit.


Die Ursprünge des Konditionalitätsmechanismus

Dieses Rechtsinstrument kam nicht aus heiterem Himmel - das Verhaltensmuster der beiden Hauptverantwortlichen, Ungarn und Polen, führte zu der Forderung, Verstöße mit Sanktionen zu ahnden. Zum Entsetzen von Zivilgesellschaft und EU-Politikern haben beide Länder in den letzten Jahren die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürgerimmer weiter beschnitten. Gleichzeitig wurde die EU als ineffektiv und unfähig wahrgenommen, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Trotz Untersuchungen, Warnungen und Empfehlungen der Kommission trieben Polen und Ungarn Gesetzesreformen voran, die die Freiheiten ihrer Bürgerinnen und Bürger beschnitten und die Werte der EU missachteten.

Bis 2021 war die einzige Sanktion, die der EU zur Verfügung stand, Artikel 7 Absatz 1 des EU-Vertrags, ein Verfahren, mit dem einem Mitgliedstaat das Stimmrecht für EU-Beschlüsse und Gesetze entzogen werden kann, wenn die Gefahr besteht, dass er gegen die Grundwerte der Union verstößt. Zwar wurde 2018 ein Verfahren nach Artikel 7 gegen Ungarn und Polen eingeleitet, doch für die Aussetzung wäre ein einstimmiges Votum der verbleibenden Staatsoberhäupter erforderlich - eine Schwelle, die wahrscheinlich nicht erreicht wird, zumal sich beide Länder zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet haben.

Schon vor fünf Jahren wurde unter NROs, einigen Regierungen und EU-Kommissar*innen darüber gesprochen, dass Verstöße gegen die demokratischen Grundsätze der EU mit finanziellen Konsequenzen geahndet werden sollten. 2018 unterbreitete Liberties der Kommission einen Vorschlag, wie die EU durch geringfügige Änderungen der bestehenden Gesetze den Geldfluss an einzelne Mitgliedsstaaten unterbinden könnte.

Im Dezember 2020 verabschiedete die EU eine Verordnung nach dem Vorbild des Vorschlags von Liberties, durch die der Konditionalitätsmechanismus in Kraft gesetzt wurde. Damit hofft die EU, dass die Drohung, die Gelder zu kürzen, Ungarn und Polen zum Einlenken bewegen wird - und wenn nicht, dann geht das wenigstens nicht mehr auf Kosten der EU-Steuerzahler/innen.

Was sind die Leitlinien der Konditionalitätsverordnung?

Der wichtigste Punkt, den du in Bezug auf die Konditionalität beachten musst, ist, dass sie im Grunde eine Maßnahme ist, die sicherstellen soll, das gewährte EU-Mittel für den beabsichtigten Zweck verwendet werden: das Leben der Menschen zu verbessern, die in den EU-Ländern leben und arbeiten. Wenn du einer Umweltschutzorganisation Geld spendest und herausfindest, dass sie damit Privatjets kauft (anstatt wie angekündigt Bäume zu pflanzen), würdest du sie wahrscheinlich nicht weiter unterstützen. Auch die EU möchte nicht, dass ihre finanziellen Mittel - von denen Ungarn und Polen in erheblichem Maße profitieren - für Dinge ausgegeben werden, die den dort lebenden Menschen mehr schaden als nützen.


Vor allem am eigenen Machterhalt interessierte Politikerinnen und Politiker, handeln in ihrem eigenen Interesse und nicht im Interesse der Menschen, die sie eigentlich vertreten sollen. Sie verwenden Steuergelder, um ihren Freunden lukrative Aufträge zu erteilen, anstatt sie für das auszugeben, was die Menschen brauchen. Sie machen Minderheiten zum Sündenbock, um die Menschen von ihren eigenen Fehlern abzulenken. Und sie vereinnahmen die Gerichte, damit sie Gesetze einführen können, die den Interessen der Bürgerinnen und Bürger zuwiderlaufen. Dieses autoritäre Verhalten verstößt gegen die Rechtsstaatlichkeit.

Die Rechtsstaatlichkeit wird in der Verordnung so definiert, dass sie grundlegende Werte wie Nicht-Diskriminierung, Gewaltenteilung, Rechtssicherheit, effektiven Rechtsschutz und freie Gerichte umfasst. Da es sich um eine finanzielle Maßnahme handelt, kann der Konditionalitätsmechanismus nur ausgelöst werden, wenn nachgewiesen wird, dass sich Verstöße gegen diese Werte negativ auf die Verwaltung des EU-Haushalts auswirken - allgemeine Verstöße allein rechtfertigen keine Maßnahmen. Ein Beispiel: Wenn nachgewiesen werden kann, dass die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz die Korruptionsprävention beeinträchtigt und somit zu einem Missbrauch von EU-Geldern führt, kann der Mechanismus ausgelöst werden.

Den Fluss der EU-Gelder zu stoppen ist der letzte Schritt in einem langwierigen Prozess. Zunächst muss die Kommission ein Verfahren gegen das betreffende Land einleiten und Beweise vorlegen, die einen Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen EU-Recht und der missbräuchlichen Verwendung von EU-Geldern herstellen. Dann sollte ein Brief an den Mitgliedstaat geschickt werden, in dem er aufgefordert wird, die vorgebrachten Bedenken zu klären. Wird keine angemessene Erklärung abgegeben, erfolgt eine formelle Benachrichtigung und das Verfahren wird offiziell eingeleitet.

Die Regierung des Mitgliedsstaates erhält die Möglichkeit, auf die Klage zu reagieren und Lösungen vorzuschlagen. Wenn dieser monatelange Austausch nicht zu einer Lösung führt, mit der die Kommission zufrieden ist, kann sie eine Empfehlung aussprechen, dass die EU-Mittel eingefroren werden sollen. Nach einem Monat stimmt der Rat über die Empfehlung ab, wofür eine Mehrheit von 55% (das entspricht 65% der EU-Bevölkerung) erforderlich ist. Der EU stehen unterschiedlich strenge Gegenmaßnahmen zur Verfügung. Gelder können teilweisen oder vollständig ausgesetzt, die Zahlung unterbrochen oder gekürzt werden.

Warum hat Brüssel den Konditionalitätsmechanismus gegen Ungarn ausgelöst?

Es ist kein Geheimnis, dass in den letzten zehn Jahren der Autoritarismus in Ungarn auf dem Vormarsch war. Jahrelang blieben die Empfehlungen und Warnungen der EU unbeachtet, während Orbán weiterhin Gelder, die eigentlich der ungarischen Bevölkerung zugutekommen sollten, veruntreute. Anfang dieses Jahres beschuldigten Mitglieder des Europäischen Parlaments Orbán, "den Reichtum durch Agrarsubventionen zu zentralisieren und an seinen inneren Kreis umzuverteilen". Nach Untersuchungen in Ungarn berichtete die Zeitschrift The Times, dass Orbán die EU-Gelder als "ein Klientelsystem nutzt, das seine Freunde und Familie bereichert, seine politischen Interessen schützt und seine Rivalen bestraft".


Liberties "Rule of law reports" von 2022 und 2021 haben gezeigt, dass sich die ungarische Demokratie im Niedergang befindet. Die eklatante politische Einflussnahme auf die Justiz führte zu einer Aushöhlung der unabhängigen Gerichte und des öffentlichen Vertrauens in das Justizsystem. Das hohe Maß an Korruption blieb aufgrund fehlender wirksamer Maßnahmen und mangelnder Rechenschaftspflicht unkontrolliert, und die bewusste Unterdrückung der Medienfreiheit brachte 80 % der ungarischen Medien direkt oder indirekt unter staatliche Kontrolle. Weitere besorgniserregende antidemokratische Maßnahmen waren die umstrittene Anti-LGBTQIA+-Gesetzgebung, das harte Durchgreifen gegen Nichtregierungsorganisationen und die Ausnutzung der Pandemie als Vorwand für eine übermäßige Machtausweitung.

Orbáns Taktik stammt direkt aus dem Handbuch für autoritäre Führer, die in erster Linie dem Wohl der ungarischen Bürgerinnen und Bürger schaden. Anstatt seinen Job zu machen - den Bedürfnissen des Volkes zu dienen - versucht Orbán schamlos, seine Macht zu festigen, selbst wenn das offensichtlich negative Auswirkungen auf das Leben der Ungar*innen hat. Öffentliche Gelder sollten für den Aufbau von Dienstleistungen verwendet werden, die den Bedürfnissen der Menschen entsprechen - wie der Ausbau von Krankenhäusern, damit die Menschen die nötige Pflege erhalten, wenn sie krank werden, oder Investitionen in das Schulsystem, damit Kinder eine gute Ausbildung bekommen. Indem Orbán die EU-Gelder für seine eigenen politischen Ziele umleitet, verbaut er den einfachen Ungar*innen die Chance auf eine höhere Lebensqualität.

Was ist von dem Konditionalitätsmechanismus gegen Ungarn zu erwarten?

Die Meinungen über die Wirksamkeit des Konditionalitätsmechanismus gehen auseinander. Der ungarische Verfassungsrechtler Gabor Halmai meint: "Die Tatsache, dass die EU im Falle Ungarns seit zehn Jahren und im Falle Polens seit fünf Jahren nicht in der Lage ist, schwerwiegende Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien zu sanktionieren, ändert sich durch den Mechanismus nicht."

Kritiker haben argumentiert, dass die Verpflichtung, den Missbrauch von EU-Geldern nachzuweisen, den ursprünglichen Zweck des Mechanismus verwässert - nämlich die Mitgliedstaaten daran zu hindern, gegen die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger zu handeln - was in der Praxis bedeutet, dass er als Anti-Korruptionsmechanismus fungiert.

Diese Finanzklausel geht auf die von Ungarn und Polen durchgesetzte "Auslegungserklärung" zurück (was bedeutet, dass der Mechanismus nur aktiviert werden kann, wenn EU-Gelder betroffen sind), die laut Liberties das Risiko birgt, dass der Mechanismus "zahnlos" wird. Das Ergebnis ist, dass Angriffe auf Minderheiten oder die LGBTQIA+-Gemeinschaft, die sich nicht auf den EU-Haushalt auswirken, von dem Mechanismus nicht erfasst werden - was dazu führt, dass ohnehin schon gefährdete Gruppen ungeschützt bleiben.

Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung der Kommission, den Konditionalitätsmechanismus auszulösen, eine Botschaft an Orbán und seine Kumpane, dass der Missbrauch von EU-Geldern in Ungarn nicht ungestraft bleiben wird.

Das Ergebnis bleibt zwar abzuwarten, aber die EU trifft Orbán (hoffentlich) endlich dort, wo es weh tut.

Mehr dazu:

Was ist Rechtsstaatlichkeit? Definition, Geschichte, Beispiele, Bedeutung, Berichte

Speechbag Podcast E08: 'We Must Not Feed Our Inner Putin'

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Bildnachweis: Tib Tib (Flickr)

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