Demokratie & Gerechtigkeit

Bericht der Europäischen Kommission zur Rechtsstaatlichkeit 2024: Lückenanalyse

Liberties beleuchtet die Unstimmigkeiten im Rechtsstaatlichkeitsbericht der Kommission. Unser Fazit: Wenn der nächste Kommissar die ihm zur Verfügung stehenden Instrumente nicht auch einsetzt, bleibt der Bericht wenig mehr als eine Beobachtungsübung.

by Eleanor Brooks

Liberties hat eine umfassende Lückenanalyse veröffentlicht, in der wir die Unstimmigkeiten im Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission aufzeigen. Mit diesem Anschlussbericht wollen wir Empfehlungen aussprechen, wie die Kommission ihren jährlichen Rechtsstaatlichkeitszyklus (Annual Rule of Law Cycle - ARoLC) verbessern und demokratische Fehlentwicklungen wirksam eindämmen kann.

Zwar hat der fünfte Bericht der Kommission durchaus bemerkenswerte Verbesserungen gebracht, wie etwa eine Erweiterung um die Beitrittsländer, dennoch kommt unsere Analyse zu dem Schluss, dass der Berichtszyklus, jenseits der reinen Dokumentation von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Union, keine nennenswerten Auswirkungen hat.

Es ist davon auszugehen, dass der neue Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit nach einer Anhörung im nächsten Monat bestätigt wird. Zu Beginn dieses neuen Kapitels fordert Liberties den nächsten Kommissar nachdrücklich auf, die Ergebnisse unserer Lückenanalyse zu berücksichtigen und die bereits verfügbaren Instrumente zur Rechtsstaatlichkeit auch zu nutzen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Empfehlungen der Kommission nicht ignoriert werden.

Die Lückenanalyse baut auf den Ergebnissen des ausführlichen Schattenberichts von Liberties über die Rechtsstaatlichkeit auf, der von 37 NGOs aus 19 Ländern erstellt und Anfang des Jahres veröffentlicht wurde. Nachdem wir den Mitgliedern unseres Netzwerks und unseren Partnerorganisationen beraten haben, können wir mit unserer Analyse bemerkenswerte Auslassungen und methodische Schwächen im Bericht der Kommission aufzeigen.

Eher Beobachtungsübung als Durchsetzungsinstrument

Laut der Analyse von Liberties besteht eines der Hauptprobleme in der Kluft zwischen der angeblichen Funktion des Berichts und der Realität vor Ort. Die Kommission stellt den Bericht über die Rechtsstaatlichkeit als einen erfolgreichen Mechanismus zur Bekämpfung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit durch die Regierungen der Mitgliedstaaten dar. In der Praxis hat der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit jedoch nur begrenzten Wert, der kaum über die reine Überwachung hinausgeht.

Die Kommission behauptet, die Mitgliedstaaten hätten 68 % der Empfehlungen im Bericht von 2023 aufgegriffen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass nur 19 % der Empfehlungen erheblich vorangetrieben oder vollständig umgesetzt wurden, während die Mitgliedstaaten bei 50 % der Empfehlungen nur das Nötigste taten, wie z. B. das Ankündigen oder Einleiten von Maßnahmen. Insgesamt hat sich der Bericht nicht als wirksames Instrument zur Bekämpfung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit erwiesen.

Die meisten Mitgliedstaaten nehmen die Empfehlungen nicht ernst

Der mangelnde Fortschritt bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Reformen ist ein europaweites Problem. Es sind die üblichen Verdächtigen, gegen die sich die meisten Vorwürfe richten, weil sie die Empfehlungen der Kommission nicht umsetzen. Unsere Analyse zeigt aber auch, dass die meisten Mitgliedstaaten wenig Initiative gezeigt haben, um ihre Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit zu beheben.

Es ist zwar keine Überraschung, dass Länder mit autoritären Regierungen wie Ungarn und die Slowakei die Empfehlungen der Kommission zur Rechtsstaatlichkeit ignoriert haben, aber auch Mitgliedstaaten, die als Hauptstütze der EU-Werte gelten, sind nicht gerade mit Eifer bei der Sache. In unserer Lückenanalyse stellen wir beispielsweise fest, dass Deutschland, Frankreich, Österreich und Spanien keinen ernsthaften Versuch unternommen haben, auf die Bedenken der Kommission zu reagieren.

Wenn starke Demokratien den Bericht nur mit Lippenbekenntnissen würdigen, ohne seine Ergebnisse tatsächlich ernst zu nehmen, untergräbt dies den Zweck des ARoLC und es birgt die Gefahr, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit zur Normalität werden. Besonders besorgniserregend ist, dass dies die Behauptung der Kommission widerlegt, der Bericht verhindere einen demokratischen Niedergang; denn solche Behauptungen gefährden letzlich die Glaubwürdigkeit der Kommission. Selbst wenn die Demokratie in diesen Ländern weniger bedroht ist, ermutigt ihr schlechtes Beispiel Unruhestifter, den Bericht als politisches Theater zu missachten. Wenn nur bestimmte Länder gerügt werden, verleiht dies außerdem euroskeptischen Populisten wie Viktor Orbán Glaubwürdigkeit, wenn diese sich beklagen, bestimmte Mitgliedstaaten würden zu Unrecht herausgegriffen.

Die neue Kommission sollte den Bericht in das Instrumentarium zur Rechtsstaatlichkeit integrieren.

Als eigenständige Maßnahme fehlt es dem Rechtsstaatlichkeitsbericht an Biss, um Rückschritte in der Rechtsstaatlichkeit wirksam zu bekämpfen. Zum Glück für den neuen Kommissar verfügt er mit dem Instrumentarium der Rechtsstaatlichkeit über alle notwendigen Instrumente, um den Bericht für seine Zwecke fit zu machen. Darüber hinaus wurde das Mandat der Rolle, sinnvolle Fortschritte zu erzielen, von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in einem kürzlich veröffentlichten Mandatsschreiben an den designierten EU-Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit, Michael McGrath, aktualisiert.

In Liberties Lückenanalyse wird der neue Kommissar aufgefordert, den Bericht über die Rechtsstaatlichkeit in bestehende Rechtsstaatlichkeits-Instrumente wie Vertragsverletzungsverfahren und den Konditionalitätsmechanismus zu integrieren. Die Verknüpfung der Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Empfehlungen mit Durchsetzungsmechanismen erzeugt die erforderliche Dringlichkeit für die Regierungen, den Bericht ernst zu nehmen. Darüber hinaus sollte die Kommission bei der Bewertung der Fortschritte der Mitgliedstaaten die Wirksamkeit, das Tempo und die Auswirkungen der Reformen bewerten.

Im sechsten Jahr seines Bestehens läuft der Bericht über die bedrängte Rechtsstaatlichkeit Gefahr, als reine Pflichtübung abgetan zu werden. Der nächste Kommissar muss sich stärker dafür einsetzen, die zunehmend fragile Demokratie Europas zu stärken und sicherzustellen, dass die Zivilgesellschaft sich weiterhin für die ARoLC engagiert. Unsere Lückenanalyse zeigt den Weg in die Zukunft auf.

Hier geht es zum vollständigen Lückenanalysebericht.

Hier kann der Liberties Rule of Law Report 2024 heruntergeladen werden.


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